Donnerstag, 16. Juli 2015

145 Die Leite


Der Bach unten im Graben rauscht. Am gegenüber liegenden Hang steht der Wald still wie eine im Heranrücken erstarrte Armee. Dabei ist es dort weich und feucht und im Moment wohl auch heiß. Bloß von Weitem kann man den Wald für eine Armee halten. Nichts rührt sich, nur ein paar Insekten und die Zweige der Fichte links neben mir. Wenn man genau schaut, dann sind es viele Insekten, und auch am Gegenhang geht manchmal eine ganz leichte Brise an ganz bestimmten, einzelnen Stellen. Die Brise ist ein wenig stärker geworden und ich höre ihr sanftes Rauschen im Geäst. Nein, das war das kleine Bacherl, das die Forststraße begleitet. Oder doch auch der Wind?

Hier in diesem ebenerdigen Hochstand im Steilhang, gleich über der Forststraße, die den Steilhang durchschneidet, komme ich mir wie ein Wegelagerer vor, der auf Beute lauert, die unter mir vorbeikommen kann.

Die schlaffe Müdigkeit der Hitze erfaßt mich und der Wald vor mir beginnt zu verschwimmen. Ich fühle mich wohl und geborgen in diesem Unterstand und verliere den Faden. Das Vogelgezwitscher höre ich erst jetzt, eine heranfliegende Fliege erinnert mich daran, auch die für das Summen der Insekten zuständigen Wahrnehmungskanäle einzuschalten. Ein Teil des Summens, das ich jetzt höre, scheint in meinen Ohren zu sein, es kommt aus meinem Inneren und ich trage es überall mit.

Am Gegenhang wird ein ganz bestimmter kleiner Busch von der Brise geschüttelt, während sich die Bäume um ihn herum nicht rühren. Trauen sie sich nicht? Halten sie die Luft an, damit der Wind nicht über sie kommt? Damit der Wind nicht auf sie aufmerksam wird und sie nicht ins Zentrum seines Rüttelns geraten? Oder ist es gar kein Angriff, sondern eine heftige Liebeserklärung? Wer weiß das schon. Jetzt scheint die Brise bis zu mir herangetanzt zu sein, denn ein zarter, warmer Windhauch weht durch die Fugen der Bretterwand vor mir und streicht milde liebkosend über meine Unterschenkel. Irgendwas war mit dem Rauschen vom wilden Bach tief unten im Graben, denn jetzt klingt es anders.

Meine Gedanken werden wieder konkreter und schweifen ab. Und wieder rüttelt es den kleinen Busch am Gegenhang und jetzt ist es wieder an meinen Unterschenkeln. Aus dem Wald gegenüber leuchten immer wieder kleine Lichtungen hervor. Und weiter rechts auf diesem Hang gegenüber zieht sich überhaupt eine unbewaldete Leite bis zum Bach ganz unten im Graben herab, für mich von atemberaubender Schönheit.

Ein sanftes Wiegen geht durch den Gegenhang, ich glaube von oben nach unten. Jetzt ist es da! Es könnte der Wind sein, der das Rauschen des Baches verändert. Jetzt hüllt die Brise meine ganze Gestalt ein. Nur kurz, dann wandert sie weiter. Ja, es ist auch das Rauschen des leichten Windes in den Bäumen, das ich höre. Ich sehe Grün und Gelb, und manchmal ein weißliches Glitzern. Jetzt werde ich weitergehen.





©Peter Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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