145 Die Leite
Der Bach unten im Graben rauscht. Am
gegenüber liegenden Hang steht der Wald still wie eine im
Heranrücken erstarrte Armee. Dabei ist es dort weich und feucht und
im Moment wohl auch heiß. Bloß von Weitem kann man den Wald für
eine Armee halten. Nichts rührt sich, nur ein paar Insekten und die
Zweige der Fichte links neben mir. Wenn man genau schaut, dann sind
es viele Insekten, und auch am Gegenhang geht manchmal eine ganz
leichte Brise an ganz bestimmten, einzelnen Stellen. Die Brise ist
ein wenig stärker geworden und ich höre ihr sanftes Rauschen im
Geäst. Nein, das war das kleine Bacherl, das die Forststraße
begleitet. Oder doch auch der Wind?
Hier in diesem ebenerdigen Hochstand im
Steilhang, gleich über der Forststraße, die den Steilhang durchschneidet, komme ich mir wie ein
Wegelagerer vor, der auf Beute lauert, die unter mir vorbeikommen
kann.
Die schlaffe Müdigkeit der Hitze
erfaßt mich und der Wald vor mir beginnt zu verschwimmen. Ich fühle
mich wohl und geborgen in diesem Unterstand und verliere den Faden.
Das Vogelgezwitscher höre ich erst jetzt, eine heranfliegende Fliege
erinnert mich daran, auch die für das Summen der Insekten
zuständigen Wahrnehmungskanäle einzuschalten. Ein Teil des Summens,
das ich jetzt höre, scheint in meinen Ohren zu sein, es kommt aus
meinem Inneren und ich trage es überall mit.
Am Gegenhang wird ein ganz bestimmter
kleiner Busch von der Brise geschüttelt, während sich die Bäume um
ihn herum nicht rühren. Trauen sie sich nicht? Halten sie die Luft
an, damit der Wind nicht über sie kommt? Damit der Wind nicht auf
sie aufmerksam wird und sie nicht ins Zentrum seines Rüttelns
geraten? Oder ist es gar kein Angriff, sondern eine heftige Liebeserklärung?
Wer weiß das schon. Jetzt scheint die Brise bis zu mir herangetanzt
zu sein, denn ein zarter, warmer Windhauch weht durch die Fugen der
Bretterwand vor mir und streicht milde liebkosend über meine
Unterschenkel. Irgendwas war mit dem Rauschen vom wilden Bach tief unten im Graben, denn jetzt
klingt es anders.
Meine Gedanken werden wieder konkreter
und schweifen ab. Und wieder rüttelt es den kleinen Busch am
Gegenhang und jetzt ist es wieder an meinen Unterschenkeln. Aus dem
Wald gegenüber leuchten immer wieder kleine Lichtungen hervor. Und
weiter rechts auf diesem Hang gegenüber zieht sich überhaupt eine
unbewaldete Leite bis zum Bach ganz unten im Graben herab, für mich von atemberaubender Schönheit.
Ein sanftes Wiegen geht durch den
Gegenhang, ich glaube von oben nach unten. Jetzt ist es da! Es könnte
der Wind sein, der das Rauschen des Baches verändert. Jetzt hüllt
die Brise meine ganze Gestalt ein. Nur kurz, dann wandert sie weiter.
Ja, es ist auch das Rauschen des leichten Windes in den Bäumen, das
ich höre. Ich sehe Grün und Gelb, und manchmal ein weißliches
Glitzern. Jetzt werde ich weitergehen.
©Peter
Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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