144 Alm
Die weißen Bänder des elektrischen
Weidezauns blinken regelrecht im Wind, wenn er sie hin und her dreht.
Die beiden Bäche rauschen. Die Vögel zwitschern. Es ist ein heißer
Sommertag, aber hier auf der Alm geht eine angenehme Brise. In der
schaukeln sich die Grashalme, bewegen sich die kräftigen Blätter
vom jungen Hollerbusch, tanzen ganz leicht die Äste und Zweige der
blitzgeköpften Fichte. Der kleine grüne Traktor steht ruhig da, als
würde er uns zuschauen. Ein auffällig orangener Geländewagen
kämpft sich wohlwollend den Almweg entlang. Er müßte gar nicht so
kämpfen, er tut auch nur so, aus Sanftmut gegenüber dem Almboden
fährt er ganz langsam. Fliegen probieren den Geschmack meiner Haut
aus. Die Bäuerin ruft herüber, ob uns die Luna nicht lästig wird.
Es ist nicht ein drängelnder Mond gemeint, sondern die Hündin vom
Hof, die hier auf der Alm die Abwechslung liebt. Ob sie auch unten im
Tal Abwechslung sucht, weiß ich nicht.
Das Herkommen war wie ein Heimkommen,
obwohl uns hier nichts gehört. Der neue Stall nebenan glänzt noch
hell und fast gelblich im Sonnenlicht. Er gehört einem anderen
Bauern. Wie lang dauert es, bis das Holz vom Wetter grau geworden
sein wird? Der rote Faden, der eigentlich ein Band ist, kitzelt im
Wind meine nackten Beine. Eine Kuh schaut drüben aus dem alten Stall
heraus, zuerst liegt sie noch, dann steht sie auf und kommt heraus.
Sie geht schon schwer, jeden Tag wird das Kalb erwartet. Jetzt schaut
eine zweite Kuh heraus und äugt neugierig herüber. Sie muß bemerkt
haben, was ich schreibe, denn jetzt schaut sie auffällig
desinteressiert drein. Sie reibt ihren Hals am Türpfosten und schaut
wieder her. In der Ferne hört man ein Auto, das näher kommt. Dann
ist es nicht mehr zu hören, obwohl es nicht näher gekommen ist. Ah!
Jetzt ist auch die zweite Kuh aus dem Stall herausgestiegen. Sie
schaut lange her und ich grüße sie bloß halblaut, aber ziehe die
Kappe, die ich wegen der starken Sonne trage. Auch sie scheint
trächtig.
Majestätisch sanfte Wolken ziehen in
majestätischem Tempo nach Osten. Nicht zu langsam und nicht zu
schnell. Nicht so langsam, daß man denkt, sie können nicht mehr
weiter, und nicht so schnell, daß man meint, sie haben es auf
unwürdige Weise eilig. Ein dichterer Schwall von Almgeruch, diese
belebende Mischung aus Wiesenduft, Trockenheit, Feuchtigkeit und den
Geruch von Kuhfladen, erreicht mich kurz und flüchtig.
Die Luna läuft nach Hause. Eine
überirdische Trägheit kommt über mich. Oder steigt in mir auf.
(Ich bin nicht so gut in der Energiekörperanatomie.)
Die langen Schatten der
spätnachmittäglichen Bäume legen sich situationselastisch in die
Almwiese. Wenn man sich umschaut, sind einige steinerne Köpfe dabei,
sich aus den Gräsern empor zu heben, als würden alte, mythische
Gestalten seit Jahrtausenden versuchen aufzustehen und sich aus der
schweren Erde zu erheben, in einer schier unglaublich langsamen
Bewegung. Oder es ist umgekehrt; sie versuchen schon seit Ewigkeiten,
wieder in die schützende Erde zu versinken, und wir schnelllebig
hektischen Wesen können das nicht erkennen.
Der milde Wind trägt das Rauschen des
näheren Baches einmal stärker her, ein andermal treibt er es eher
fort. Was ist die richtige Wahrnehmung? Welche Winde noch blasen
Wahrnehmbares fort? Ein Flugzeug mit normalem Kondensstreifen rast
nach Westen bis es hinter dem Hüttendach verschwunden ist. Was
dahinter ist, weiß ich jetzt nicht. Fast an der gleichen Stelle
kommt ein anderes Flugzeug hervor, das nach Osten fliegt. Sein
Kondensstreifen ist vierfach und ich weiß nicht so recht. Nein, auch
er verschwindet ganz schnell. Der Wind läßt seine Puppen aus Heu
tanzen. In der Senke da vorn drehen sich alle im Kreis und legen sich
dann hin. Wahrscheinlich wird auch dieses Ballett in die Erde
verschwinden. Keine Ahnung, wie lange das braucht. Ich stehe nur da
und schaue.
Ich kann mich nicht satt sehen. Ich
weide meine Augen hauptsächlich auf grünlichen Flächen, schicke
sie hinauf zum blauen Gewölbe, ein bißchen auf Weiß.Und manchmal
streifen sie braun und grau des verwitternden Holzes. Dieses
wundervolle Spiel von Sonnenlichtflecken und schattigen Stellen,
Hide-and-Seek von Sonne und Wolken. Die kahlen Fichtenstämme
leuchten in der Sonne, im Schatten glänzen sie fast bläulich, wenn
sie nicht ganz im Dunkel des Waldes verschwinden. Eine Krähe schreit
ihr typisches Krah im Baum dort und fliegt herunter zum Boden. Eine
zweite folgt ihr auf dem Fuß oder Flügel. Was verhandeln die immer
aus? Wer aufpaßt und wer frißt? Du bist dran zum Schmiere stehen!
Nein, du!? Oder bettelt die eine die andere an? Vom Flügelschlag her
kommt's mir so vor.
Meine Gedanken stürzen in einen
wohltuenden Abgrund, wie beim Aufwachen die verfallenden Traumbilder.
Werde ich aus dem Traum dieser Welt bald aufschrecken? Und wo?
Daß Buben es immer so lieben, mit
Stecken auf Zäune zu schlagen! Eine Fliege, die sich als Wespe
ausgeben will, landet auf meinem gelben, grantigen Leiberl. Die
zweite Kuh ist übrigens nicht trächtig. Da habe ich mich geirrt.
Nun ist die Abenddämmerung
herangeschlichen und ich halte Ausschau nach Sternen. Eine Zeitlang
habe ich nichts gesehen, dann ist plötzlich Arktur aufgetaucht, so
ziemlich im Süden und im Osten die Wega. Und ein dritter, den ich
nicht kenne. Kühl ist es geworden, das Rauschen der Bäche lauter,
das Läuten der Kuhglocken von jenseits des Baches dringt manchmal
durch. Kann ich noch die Kondensstreifen der Flugzeuge sehen oder
bilde ich mir das nur ein? Meine Brillen beschlagen sich mit der
Feuchtigkeit der Abendluft. Jedenfalls ziehe ich mir die Kapuze
meiner coolen Jacke auf den Kopf. Ich hebe den Kopf und den Blick
vom Papierblatt, das die sanfte Brise umzublättern versucht, zum
Himmel und sehe die Spica. Neben mir liegt die Sternenkarte und die
ersten zwei Sterne vom Adler sind auch schon zu sehen. Dann müßten,
wenn ich um die Hütte herumgehe, auch die drei hellsten vom Schwan
zu sehen sein. Tatsächlich, ich sehe schon vier. Und jetzt leuchten
allmählich beim Arktur seine Kompagnons auf, die anderen Sterne des
Rinderhirten und die nördliche Krone ahnt man bereits.
Jetzt schimmert schon der
Schlangenträger durch und Herkules dehnt sich aus und streckt seine
Muskel. Eine Fledermaus flattert lautlos durch mein himmelwärts
gerichtetes Blickfeld und ich lasse dann meine Augen da drüben bei
den Büschen und Bäumen nach Glühwürmchen suchen. Sie finden aber
keine.
Ich tappe im Dunkeln wieder auf die
andere Seite der Hütte und sehe zu meiner besonderen Freude
Kassiopeia, mein erstes Sternbild der zweiten Generation. Allmählich
tanzen sie alle an: Kepheus, der Schlangenträger mit der Schlange.
Der große und der kleine Wagen sind schon längst eingeparkt; ....
der Drache... Und plötzlich schwebt ganz nah an mir ein Glühwürmchen
vorbei und leuchtet groß und hell. Ein anderes hat sich vor mir in
die Wiese gesetzt und erlischt fast zur Gänze und leuchtet wieder
auf. Es blinkt herunten wie die Sterne oben, nur im
Zeitlupenrhythmus. Jetzt wird mir kalt und ich gehe in die Hütte.
Später in der Nacht ist der Mond leise
aufgegangen. Er hatte noch sehr wenig von seiner Fülle verloren und
beleuchtete alles sehr hell. Ein wenig Dunst ist aufgekommen und die
Sterne sind kaum noch zu sehen.
©Peter
Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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