Mittwoch, 15. Juli 2015

144 Alm

Die weißen Bänder des elektrischen Weidezauns blinken regelrecht im Wind, wenn er sie hin und her dreht. Die beiden Bäche rauschen. Die Vögel zwitschern. Es ist ein heißer Sommertag, aber hier auf der Alm geht eine angenehme Brise. In der schaukeln sich die Grashalme, bewegen sich die kräftigen Blätter vom jungen Hollerbusch, tanzen ganz leicht die Äste und Zweige der blitzgeköpften Fichte. Der kleine grüne Traktor steht ruhig da, als würde er uns zuschauen. Ein auffällig orangener Geländewagen kämpft sich wohlwollend den Almweg entlang. Er müßte gar nicht so kämpfen, er tut auch nur so, aus Sanftmut gegenüber dem Almboden fährt er ganz langsam. Fliegen probieren den Geschmack meiner Haut aus. Die Bäuerin ruft herüber, ob uns die Luna nicht lästig wird. Es ist nicht ein drängelnder Mond gemeint, sondern die Hündin vom Hof, die hier auf der Alm die Abwechslung liebt. Ob sie auch unten im Tal Abwechslung sucht, weiß ich nicht.

Das Herkommen war wie ein Heimkommen, obwohl uns hier nichts gehört. Der neue Stall nebenan glänzt noch hell und fast gelblich im Sonnenlicht. Er gehört einem anderen Bauern. Wie lang dauert es, bis das Holz vom Wetter grau geworden sein wird? Der rote Faden, der eigentlich ein Band ist, kitzelt im Wind meine nackten Beine. Eine Kuh schaut drüben aus dem alten Stall heraus, zuerst liegt sie noch, dann steht sie auf und kommt heraus. Sie geht schon schwer, jeden Tag wird das Kalb erwartet. Jetzt schaut eine zweite Kuh heraus und äugt neugierig herüber. Sie muß bemerkt haben, was ich schreibe, denn jetzt schaut sie auffällig desinteressiert drein. Sie reibt ihren Hals am Türpfosten und schaut wieder her. In der Ferne hört man ein Auto, das näher kommt. Dann ist es nicht mehr zu hören, obwohl es nicht näher gekommen ist. Ah! Jetzt ist auch die zweite Kuh aus dem Stall herausgestiegen. Sie schaut lange her und ich grüße sie bloß halblaut, aber ziehe die Kappe, die ich wegen der starken Sonne trage. Auch sie scheint trächtig.

Majestätisch sanfte Wolken ziehen in majestätischem Tempo nach Osten. Nicht zu langsam und nicht zu schnell. Nicht so langsam, daß man denkt, sie können nicht mehr weiter, und nicht so schnell, daß man meint, sie haben es auf unwürdige Weise eilig. Ein dichterer Schwall von Almgeruch, diese belebende Mischung aus Wiesenduft, Trockenheit, Feuchtigkeit und den Geruch von Kuhfladen, erreicht mich kurz und flüchtig.

Die Luna läuft nach Hause. Eine überirdische Trägheit kommt über mich. Oder steigt in mir auf. (Ich bin nicht so gut in der Energiekörperanatomie.)

Die langen Schatten der spätnachmittäglichen Bäume legen sich situationselastisch in die Almwiese. Wenn man sich umschaut, sind einige steinerne Köpfe dabei, sich aus den Gräsern empor zu heben, als würden alte, mythische Gestalten seit Jahrtausenden versuchen aufzustehen und sich aus der schweren Erde zu erheben, in einer schier unglaublich langsamen Bewegung. Oder es ist umgekehrt; sie versuchen schon seit Ewigkeiten, wieder in die schützende Erde zu versinken, und wir schnelllebig hektischen Wesen können das nicht erkennen.

Der milde Wind trägt das Rauschen des näheren Baches einmal stärker her, ein andermal treibt er es eher fort. Was ist die richtige Wahrnehmung? Welche Winde noch blasen Wahrnehmbares fort? Ein Flugzeug mit normalem Kondensstreifen rast nach Westen bis es hinter dem Hüttendach verschwunden ist. Was dahinter ist, weiß ich jetzt nicht. Fast an der gleichen Stelle kommt ein anderes Flugzeug hervor, das nach Osten fliegt. Sein Kondensstreifen ist vierfach und ich weiß nicht so recht. Nein, auch er verschwindet ganz schnell. Der Wind läßt seine Puppen aus Heu tanzen. In der Senke da vorn drehen sich alle im Kreis und legen sich dann hin. Wahrscheinlich wird auch dieses Ballett in die Erde verschwinden. Keine Ahnung, wie lange das braucht. Ich stehe nur da und schaue.
Ich kann mich nicht satt sehen. Ich weide meine Augen hauptsächlich auf grünlichen Flächen, schicke sie hinauf zum blauen Gewölbe, ein bißchen auf Weiß.Und manchmal streifen sie braun und grau des verwitternden Holzes. Dieses wundervolle Spiel von Sonnenlichtflecken und schattigen Stellen, Hide-and-Seek von Sonne und Wolken. Die kahlen Fichtenstämme leuchten in der Sonne, im Schatten glänzen sie fast bläulich, wenn sie nicht ganz im Dunkel des Waldes verschwinden. Eine Krähe schreit ihr typisches Krah im Baum dort und fliegt herunter zum Boden. Eine zweite folgt ihr auf dem Fuß oder Flügel. Was verhandeln die immer aus? Wer aufpaßt und wer frißt? Du bist dran zum Schmiere stehen! Nein, du!? Oder bettelt die eine die andere an? Vom Flügelschlag her kommt's mir so vor.

Meine Gedanken stürzen in einen wohltuenden Abgrund, wie beim Aufwachen die verfallenden Traumbilder. Werde ich aus dem Traum dieser Welt bald aufschrecken? Und wo?

Daß Buben es immer so lieben, mit Stecken auf Zäune zu schlagen! Eine Fliege, die sich als Wespe ausgeben will, landet auf meinem gelben, grantigen Leiberl. Die zweite Kuh ist übrigens nicht trächtig. Da habe ich mich geirrt.

Nun ist die Abenddämmerung herangeschlichen und ich halte Ausschau nach Sternen. Eine Zeitlang habe ich nichts gesehen, dann ist plötzlich Arktur aufgetaucht, so ziemlich im Süden und im Osten die Wega. Und ein dritter, den ich nicht kenne. Kühl ist es geworden, das Rauschen der Bäche lauter, das Läuten der Kuhglocken von jenseits des Baches dringt manchmal durch. Kann ich noch die Kondensstreifen der Flugzeuge sehen oder bilde ich mir das nur ein? Meine Brillen beschlagen sich mit der Feuchtigkeit der Abendluft. Jedenfalls ziehe ich mir die Kapuze meiner coolen Jacke auf den Kopf. Ich hebe den Kopf und den Blick vom Papierblatt, das die sanfte Brise umzublättern versucht, zum Himmel und sehe die Spica. Neben mir liegt die Sternenkarte und die ersten zwei Sterne vom Adler sind auch schon zu sehen. Dann müßten, wenn ich um die Hütte herumgehe, auch die drei hellsten vom Schwan zu sehen sein. Tatsächlich, ich sehe schon vier. Und jetzt leuchten allmählich beim Arktur seine Kompagnons auf, die anderen Sterne des Rinderhirten und die nördliche Krone ahnt man bereits.

Jetzt schimmert schon der Schlangenträger durch und Herkules dehnt sich aus und streckt seine Muskel. Eine Fledermaus flattert lautlos durch mein himmelwärts gerichtetes Blickfeld und ich lasse dann meine Augen da drüben bei den Büschen und Bäumen nach Glühwürmchen suchen. Sie finden aber keine.

Ich tappe im Dunkeln wieder auf die andere Seite der Hütte und sehe zu meiner besonderen Freude Kassiopeia, mein erstes Sternbild der zweiten Generation. Allmählich tanzen sie alle an: Kepheus, der Schlangenträger mit der Schlange. Der große und der kleine Wagen sind schon längst eingeparkt; .... der Drache... Und plötzlich schwebt ganz nah an mir ein Glühwürmchen vorbei und leuchtet groß und hell. Ein anderes hat sich vor mir in die Wiese gesetzt und erlischt fast zur Gänze und leuchtet wieder auf. Es blinkt herunten wie die Sterne oben, nur im Zeitlupenrhythmus. Jetzt wird mir kalt und ich gehe in die Hütte.

Später in der Nacht ist der Mond leise aufgegangen. Er hatte noch sehr wenig von seiner Fülle verloren und beleuchtete alles sehr hell. Ein wenig Dunst ist aufgekommen und die Sterne sind kaum noch zu sehen.



©Peter Alois Rumpf Juli 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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