133 Der fundamentalistische Rauswurf
Spricht man über Religion, ist es
wichtig, sich über die Begriffe im Klaren zu sein. Meint man mit
Religion – vom lateinischen Wort religare, das heißt anbinden,
zurückbinden – die Verbindung zum Ursprung, zur Transzendenz oder
wie man es nennen will, im Sinne von Zurückgebunden-Sein an das,
woher und woraus wir kommen? In diesem Sinn hat Religion die Aufgabe,
durch Wort und Kult an diese Verbindung zu erinnern und sie zumindest
symbolisch darzustellen, wenn nicht - für wenigstens kurze „heilige“
Momente – wirklich herzustellen. Manche würde das Entfalten dieser
Verbindung eher als Spiritualität bezeichnen und reservieren den
Begriff Religion für religiöse Denksysteme und Institutionen samt
Religionsbehörden und Religionsbürokratie. Die Begriffe können
klären, aber auch verwirren.
Ich halte es da mit Castaneda, der
sagt, daß wir alle – wie es diese Seher ausdrücken – eine
Verbindung zum Abstrakten haben, die aber durch unsere Sozialisation
zu Alltagsmenschen beinah lahmgelegt wurde und nicht genutzt wird.
Wir Alltagsmenschen nutzen nur ein paar Promille unseres angeborenen
und angestammten Potentials. Wir spüren und ahnen diese vergessene
Verbindung mehr oder weniger unbewußt und suchen sie mit mehr oder
weniger geeigneten Mitteln. Wir spüren den Verlust als Mangel, der
uns unglücklich macht.
Hat man diese Verbindung defacto
verloren – ganz kann sie nicht abreißen – neigt zum Beispiel der
moderne, aufgeklärte Mensch dazu, zu leugnen, daß es diese
Verbindung überhaupt gibt.
Oder man hält an Religionssystemen
fest, obwohl man die Verbindung in seinem Inneren verloren hat, und
klammert sich an Lehrsätze, Autoritäten, Formeln und Formen,
Rituale, die dann leer geworden sind.
Der religiöse Fundamentalist und der
aufgeklärte Spötter sind miteinander ganz nah verwandt.
Dazu passt eine lustige Episode aus
meiner Kirchenannäherungszeit.
Ich habe schon oft hergeschrieben, wie
ich – gedrängt durch den Astrologen Döbereiner – zur
katholischen Kirche zurückfinden wollte. Mein Herz war aber ganz wo
anders. Trotzdem versuchte ich „tapfer gegen mein
Empfinden“ (W. Döbereiner), mich in die Kirche zu „implantieren“.
Nun habe ich damals zwar nie an der
Möglichkeit gezweifelt, daß der Mensch eine „Verbindung zum
Abstrakten“ haben kann, aber erstens konnte ich meine nicht
aktivieren, und zweitens bezweifelte ich, daß dafür die Kirche viel
hergibt.
Also: ich versuchte, in die Kirche zu
finden, obwohl ich dachte, dort ist für eine echte Verbindung zur
Transzendenz – um es einmal so auszudrücken – nicht allzuviel zu
holen.
Ich wollte mir das aber nicht abnehmen,
weil ich in diesem Punkt ganz dem Döbereiner vertraute. So in dem
Sinn – wenn der es sagt, dann muß etwas dran sein. Wer bin
ich schon, daß ich das besser weiß?
Und somit war ich durchaus in Gefahr,
als „unechter Fundamentalist“ in das Fahrwasser eines gewissen
Fanatismus zu geraten und - vermittelt über Döbereiner – in eine
denkerische Rigidität. Noch dazu, wo ich an einer Auflösung des
„Religiösen“ in intellektuell-aufklärerische Philosophie oder
Sozialethik – am „progressiven“ Fluchtweg also – überhaupt
nicht interessiert war. Das hatte ich in meiner linken Phase zur
Genüge genossen.
Ich ging in dieser Zeit täglich zur
Messe, oft zu Mittag in den Stephansdom. Das meine ich noch nicht mit
„fanatisch“. Das hatte etwas für sich. Auch wenn ich es heute
nicht mehr mache. Denn ich hatte dabei das Gefühl, der Welt und
ihren Ansprüchen „die lange Nase zu zeigen“. Das mochte ich. Und
es gab bei meinen Meßbesuchen glückliche Momente. Mir kommt auch
heute noch vor, daß bei den Lesungen und Gebeten dort und beim
Vollzug der Riten öfter meine Herzensangelegenheiten vorkommen und
behandelt werden, als bei den meisten Partygesprächen. Zum
Beispiel. Das nur zur Klärung.
Dennoch saß ich oft in der Messe und
dachte, „wo bin ich da hingeraten!“ Wenn ich mich umschaute –
die Meßbesucher und die Zelebranten wirkten nicht so, als hätten
sie ihre „Verbindung zum Abstrakten“ aktiviert. Das hatte ich
selber auch nicht, aber was kann ich dann von ihnen lernen? Auch die,
die fröhlich dreinschauten, wirkten auf mich eher künstlich,
verlogen, unecht. Da wird schon auch Arroganz meinerseits dabei
gewesen sein, aber die Frage war berechtigt, ob ich hier in einer
Sackgasse gelandet bin oder ob die wirklich von einem weiterführenden
Weg wissen, oder ihn nur propagieren und versprechen.
In meinem Inneren hätte ich gesagt:
Nein, da führt kein gscheiter Weg weiter, aber: Döbereiner hat
gesagt....
Umso verkrampfter klammerte ich mich
fest.
Wenn man um zwölf Uhr Mittag in den
Stephansdom zur Messe geht und schon etwas vor der Zeit dort ist –
was ich gerne machte, um den Dom und seine Atmosphäre in mich
aufzunehmen – dann gibt es eine Übergangsphase, wo schon die
Meßbesucher in den Bänken vorne sitzen, aber noch Touristen und
Dombesucher herumgehen, bevor sie gebeten werden, den
Gottesdienstbereich zu verlassen.
In so einer Phase kam eines Tages ein
Mann mit zwei Frauen herein und machte sich über die Betenden und
Knienden lustig, indem er sie in übertriebenen Gesten nachäffte.
Mein Eindruck war, er wollte vor den zwei Weibern angeben. Ich aber
wurde zornig und sagte ihm, er solle verschwinden. Es kam zu einem
Disput, dessen genauen Wortlaut ich vergessen habe, aber wir haben
uns schon ordentlich beschimpft. Er hat dann irgendwas gesagt wie
„wenn wir jetzt nicht in der Kirche wären, würde ich dich
niederschlagen!“ Oder habe ich das als erster gesagt? Ich weiß es
nicht mehr. Jedenfalls sage ich dann: „Gut! Dann gehen wir raus!“
- ich glaube sogar: „dann gemma aussi auf die bluatwiesn!“
Ich war richtig zornig. Die Meßner
dort sind schon unschlüssig-zögernd herumgestanden, aber mir war
klar, wenn ich keine Rauferei im Stephansdom will, dann müssen wir
raus vor das Tor.
Jetzt muß ich eine Zwischenbemerkung
machen: ich war in meinem Leben nie ein Raufer, ich habe nie einen
Kampf gewonnen. Meistens hat ein Schlag genügt, und ich bin am Boden
gelegen. Ich habe solche Situationen wie die Pest gemieden. Ich mußte
also damit rechnen, furchtbar Prügel zu beziehen. Aber in meinem
„heiligen“ Zorn war mir das völlig wurscht. Ich weiß nur, daß
ich geschlagen und getreten hätte, solange es nur gegangen wäre.
So, wir gehen also – high noon –
nebeneinander von ganz vorne beim Altar den langen Weg zum
Hauptportal, ich voll zum Kampf bereit. Und dann geschah etwas
Eigenartiges, für mich völlig Unerwartetes. Der Typ, der mir
gedroht hatte, mich zu verprügeln, fing an zu winseln. Ja, er wisse,
er sei zu weit gegangen. Er wäre ja auch einmal Ministrant gewesen.
ja, es tue ihm auch leid. Schließlich entschuldigte er sich bei mir.
Gleichzeitig dämmerte mir ganz allmählich, daß mein Zorn daher rührte, daß dieser Spötter genau das
ausgesprochen, repektive gezeigt hatte, was ich selber dachte und
empfand. Sein Spott über diese eigenartige, wenig überzeugende
Ansammlung von Betern war auch das, was ich in meinem Inneren dachte.
Da mußte ich innerlich lachen.
Als wir beim Tor draußen waren, hatte
ich lachend seine Entschuldigung angenommen und gesagt, daß es okey
ist. Beinahe empfand ich ihn schon als Freund, nur zeigte ich ihm das
nicht und weigerte mich, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen, sondern
betonte lediglich nochmals, daß für mich jetzt alles okey sei. Ich
wollte einfach meinen „Sieg“ auskosten und nicht durch
Händeschütteln nivellieren. Mein erster Sieg im Leben! Mein Zorn
war verraucht, weil ich schon begonnen hatte, ihn zu durchschauen. Darum war ich damals
auch kein wirklicher Fundamentalist, denn ich mußte dann viel über mich
und mein Manöver lachen. Deshalb bereue ich daran auch nichts und erinnere mich mit Vergnügen dieser Szene.
Nachzutragen ist noch, daß ich in
meiner linken Phase davor selber ein großer Spötter vor dem Herrn
war und mir - als Künstler - ein paar „blasphemische Geräte“
ausgedacht hatte, wenn ich sie dann auch nie gebaut habe.
Im Übrigen meine ich schon, daß man
betende Menschen in Ruhe lassen kann und ihre Andacht – ob echt
oder nicht – nicht stören braucht.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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