Montag, 18. Mai 2015

133 Der fundamentalistische Rauswurf


Spricht man über Religion, ist es wichtig, sich über die Begriffe im Klaren zu sein. Meint man mit Religion – vom lateinischen Wort religare, das heißt anbinden, zurückbinden – die Verbindung zum Ursprung, zur Transzendenz oder wie man es nennen will, im Sinne von Zurückgebunden-Sein an das, woher und woraus wir kommen? In diesem Sinn hat Religion die Aufgabe, durch Wort und Kult an diese Verbindung zu erinnern und sie zumindest symbolisch darzustellen, wenn nicht - für wenigstens kurze „heilige“ Momente – wirklich herzustellen. Manche würde das Entfalten dieser Verbindung eher als Spiritualität bezeichnen und reservieren den Begriff Religion für religiöse Denksysteme und Institutionen samt Religionsbehörden und Religionsbürokratie. Die Begriffe können klären, aber auch verwirren.

Ich halte es da mit Castaneda, der sagt, daß wir alle – wie es diese Seher ausdrücken – eine Verbindung zum Abstrakten haben, die aber durch unsere Sozialisation zu Alltagsmenschen beinah lahmgelegt wurde und nicht genutzt wird. Wir Alltagsmenschen nutzen nur ein paar Promille unseres angeborenen und angestammten Potentials. Wir spüren und ahnen diese vergessene Verbindung mehr oder weniger unbewußt und suchen sie mit mehr oder weniger geeigneten Mitteln. Wir spüren den Verlust als Mangel, der uns unglücklich macht.

Hat man diese Verbindung defacto verloren – ganz kann sie nicht abreißen – neigt zum Beispiel der moderne, aufgeklärte Mensch dazu, zu leugnen, daß es diese Verbindung überhaupt gibt.
Oder man hält an Religionssystemen fest, obwohl man die Verbindung in seinem Inneren verloren hat, und klammert sich an Lehrsätze, Autoritäten, Formeln und Formen, Rituale, die dann leer geworden sind.
Der religiöse Fundamentalist und der aufgeklärte Spötter sind miteinander ganz nah verwandt.

Dazu passt eine lustige Episode aus meiner Kirchenannäherungszeit.
Ich habe schon oft hergeschrieben, wie ich – gedrängt durch den Astrologen Döbereiner – zur katholischen Kirche zurückfinden wollte. Mein Herz war aber ganz wo anders. Trotzdem versuchte ich „tapfer gegen mein Empfinden“ (W. Döbereiner), mich in die Kirche zu „implantieren“.

Nun habe ich damals zwar nie an der Möglichkeit gezweifelt, daß der Mensch eine „Verbindung zum Abstrakten“ haben kann, aber erstens konnte ich meine nicht aktivieren, und zweitens bezweifelte ich, daß dafür die Kirche viel hergibt.
Also: ich versuchte, in die Kirche zu finden, obwohl ich dachte, dort ist für eine echte Verbindung zur Transzendenz – um es einmal so auszudrücken – nicht allzuviel zu holen.
Ich wollte mir das aber nicht abnehmen, weil ich in diesem Punkt ganz dem Döbereiner vertraute. So in dem Sinn – wenn der es sagt, dann muß etwas dran sein. Wer bin ich schon, daß ich das besser weiß?
Und somit war ich durchaus in Gefahr, als „unechter Fundamentalist“ in das Fahrwasser eines gewissen Fanatismus zu geraten und - vermittelt über Döbereiner – in eine denkerische Rigidität. Noch dazu, wo ich an einer Auflösung des „Religiösen“ in intellektuell-aufklärerische Philosophie oder Sozialethik – am „progressiven“ Fluchtweg also – überhaupt nicht interessiert war. Das hatte ich in meiner linken Phase zur Genüge genossen.

Ich ging in dieser Zeit täglich zur Messe, oft zu Mittag in den Stephansdom. Das meine ich noch nicht mit „fanatisch“. Das hatte etwas für sich. Auch wenn ich es heute nicht mehr mache. Denn ich hatte dabei das Gefühl, der Welt und ihren Ansprüchen „die lange Nase zu zeigen“. Das mochte ich. Und es gab bei meinen Meßbesuchen glückliche Momente. Mir kommt auch heute noch vor, daß bei den Lesungen und Gebeten dort und beim Vollzug der Riten öfter meine Herzensangelegenheiten vorkommen und behandelt werden, als bei den meisten Partygesprächen. Zum Beispiel. Das nur zur Klärung.

Dennoch saß ich oft in der Messe und dachte, „wo bin ich da hingeraten!“ Wenn ich mich umschaute – die Meßbesucher und die Zelebranten wirkten nicht so, als hätten sie ihre „Verbindung zum Abstrakten“ aktiviert. Das hatte ich selber auch nicht, aber was kann ich dann von ihnen lernen? Auch die, die fröhlich dreinschauten, wirkten auf mich eher künstlich, verlogen, unecht. Da wird schon auch Arroganz meinerseits dabei gewesen sein, aber die Frage war berechtigt, ob ich hier in einer Sackgasse gelandet bin oder ob die wirklich von einem weiterführenden Weg wissen, oder ihn nur propagieren und versprechen.
In meinem Inneren hätte ich gesagt: Nein, da führt kein gscheiter Weg weiter, aber: Döbereiner hat gesagt....
Umso verkrampfter klammerte ich mich fest.

Wenn man um zwölf Uhr Mittag in den Stephansdom zur Messe geht und schon etwas vor der Zeit dort ist – was ich gerne machte, um den Dom und seine Atmosphäre in mich aufzunehmen – dann gibt es eine Übergangsphase, wo schon die Meßbesucher in den Bänken vorne sitzen, aber noch Touristen und Dombesucher herumgehen, bevor sie gebeten werden, den Gottesdienstbereich zu verlassen.

In so einer Phase kam eines Tages ein Mann mit zwei Frauen herein und machte sich über die Betenden und Knienden lustig, indem er sie in übertriebenen Gesten nachäffte. Mein Eindruck war, er wollte vor den zwei Weibern angeben. Ich aber wurde zornig und sagte ihm, er solle verschwinden. Es kam zu einem Disput, dessen genauen Wortlaut ich vergessen habe, aber wir haben uns schon ordentlich beschimpft. Er hat dann irgendwas gesagt wie „wenn wir jetzt nicht in der Kirche wären, würde ich dich niederschlagen!“ Oder habe ich das als erster gesagt? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls sage ich dann: „Gut! Dann gehen wir raus!“ - ich glaube sogar: „dann gemma aussi auf die bluatwiesn!“

Ich war richtig zornig. Die Meßner dort sind schon unschlüssig-zögernd herumgestanden, aber mir war klar, wenn ich keine Rauferei im Stephansdom will, dann müssen wir raus vor das Tor.

Jetzt muß ich eine Zwischenbemerkung machen: ich war in meinem Leben nie ein Raufer, ich habe nie einen Kampf gewonnen. Meistens hat ein Schlag genügt, und ich bin am Boden gelegen. Ich habe solche Situationen wie die Pest gemieden. Ich mußte also damit rechnen, furchtbar Prügel zu beziehen. Aber in meinem „heiligen“ Zorn war mir das völlig wurscht. Ich weiß nur, daß ich geschlagen und getreten hätte, solange es nur gegangen wäre.

So, wir gehen also – high noon – nebeneinander von ganz vorne beim Altar den langen Weg zum Hauptportal, ich voll zum Kampf bereit. Und dann geschah etwas Eigenartiges, für mich völlig Unerwartetes. Der Typ, der mir gedroht hatte, mich zu verprügeln, fing an zu winseln. Ja, er wisse, er sei zu weit gegangen. Er wäre ja auch einmal Ministrant gewesen. ja, es tue ihm auch leid. Schließlich entschuldigte er sich bei mir.

Gleichzeitig dämmerte mir ganz allmählich, daß mein Zorn daher rührte, daß dieser Spötter genau das ausgesprochen, repektive gezeigt hatte, was ich selber dachte und empfand. Sein Spott über diese eigenartige, wenig überzeugende Ansammlung von Betern war auch das, was ich in meinem Inneren dachte. Da mußte ich innerlich lachen.

Als wir beim Tor draußen waren, hatte ich lachend seine Entschuldigung angenommen und gesagt, daß es okey ist. Beinahe empfand ich ihn schon als Freund, nur zeigte ich ihm das nicht und weigerte mich, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen, sondern betonte lediglich nochmals, daß für mich jetzt alles okey sei. Ich wollte einfach meinen „Sieg“ auskosten und nicht durch Händeschütteln nivellieren. Mein erster Sieg im Leben! Mein Zorn war verraucht, weil ich schon begonnen hatte, ihn zu durchschauen. Darum war ich damals auch kein wirklicher Fundamentalist, denn ich mußte dann viel über mich und mein Manöver lachen. Deshalb bereue ich daran auch nichts und erinnere mich mit Vergnügen dieser Szene.

Nachzutragen ist noch, daß ich in meiner linken Phase davor selber ein großer Spötter vor dem Herrn war und mir - als Künstler - ein paar „blasphemische Geräte“ ausgedacht hatte, wenn ich sie dann auch nie gebaut habe.

Im Übrigen meine ich schon, daß man betende Menschen in Ruhe lassen kann und ihre Andacht – ob echt oder nicht – nicht stören braucht.





©Peter Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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