129 Die Signatur des Himmels
Es war Anfang der Neunzigerjahre, in
der Zeit, als ich mein abgebrochenes Theologiestudium fortsetzte und
ernsthaft und verzweifelt versuchte, zur katholischen Kirche
zurückzufinden. Den Anstoß dafür gab der Astrologe Döbereiner.
Von selber wäre ich nicht auf die Idee gekommen, wieder in dieses
bereits abgelegte Kostüm zu schlüpfen zu versuchen.
Ich lebte arm und zurückgezogen und
bin oft von meiner kleinen Substandartwohnung im fünfzehnten Bezirk
mit der Straßenbahn zum Ring gefahren und dann zu Fuß durch den
Burggarten und dann weiter zum Stephansdom zur Messe gegangen.
Wie gesagt, ich strengte mich an, zur
katholischen Kirche, zur christ-katholischen Religion mit allem Drum
und Dran zurückzufinden, aber etwas in mir wollte da nicht
mitmachen. Ich konnte unter anderem auch meine Träume von sexuellen
Abenteuern nicht loswerden. Je mehr ich es versuchte, desto stärker
wurden sie.
Im realen Leben – Kirche hin oder her
– war ich weit davon entfernt, mir diese Träume erfüllen zu
können. Erstens war ich ein schüchterner Mensch und zweitens damals
verarmt und gleichgültig meinem Äußeren gegenüber. Ich war so
sehr in innere Kämpfe verstrickt – Kämpfe um innere Klarheit, was
wahr und was falsch ist, stimmt es, was die Kirche und die
christliche Tradition sagt? und so weiter - daß ich zum Beispiel
gar nicht wahrnahm, daß bei meinem Mantel hinten der Stoff auf der
Innenseite zerrissen war und von außen sichtbar in Fransen
herunterhing, geschweige denn, daß ich es schaffte, einfach eine
Schere zu nehmen und das runterhängende, zerfetzte Stück Stoff
abzuschneiden.
Es war also zwischen dem, was sich in
meinem Kopf an Ideen – ob katholisch, asketisch oder sexuell –
abspielte und meinem wirklichen Leben ein ziemlich großer,
unüberwindlich scheinender Graben. Und außerdem – je weniger
Leben, desto mehr Phantasien. Es hätte schon eines Wunders bedurft,
um diesen Graben zu überspringen.
Eines Tages also marschiere ich wieder
durch den Burggarten – ob zur Messe oder nur so in die Innenstadt
weiß ich nicht mehr – und komme auf eine Abzweigung zu. So
nebenbei registriere ich, daß eine schöne, elegante Frau aus
entgegengesetzter Richtung auf mich zukommt. Sie ist nur mehr ein
paar Meter entfernt, aber die Abzweigung nehmend war ich schon dabei,
mich von ihr wieder zu entfernen.
Da kam sie auf mich zu, legte mir ihre
Hand auf meine linke Schulter und zog mich zu sich.
Ich war erschrocken und höchst erfreut
gleichzeitig.
Was sich in den nächsten Sekunden in
meinen Gedanken abspielte, klang ungefähr so:
„Ein Wunder! Eine wildfremde, schöne
Frau schnappt mich einfach! Zieht mich einfach zu sich! Kein
Herumreden, keine komplizierten Anbandelungsmanöver. Einfach zack
und passt schon!“
Gleichzeitig war ich – wie schon
gesagt – erschrocken, denn so „gach“ wäre ich durchaus
überfordert gewesen. Was ist da dahinter? Mein Mißtrauen war auch
gleich in Aktion. Ich war nie der Typ für schnelle Abenteuer –
dafür bin ich ein viel zu unsicherer Mensch. Aber geträumt habe ich
davon schon.
Das alles spielte sich in dieser
Sekunde – viel mehr wird es nicht gewesen sein – in meinem Kopf
ab.
Da nahm die schöne Fremde ihre großen
Sonnenbrillen ab und ich sehe, es ist eine Bekannte von mir, zu der
ich eine rein freundschaftliche Beziehung pflegte und die ich schon
länger nicht mehr gesehen hatte.
Da mußte ich lachen und ich glaube,
ich habe ihr auch andeutungsweise, wirklich nur sehr andeutungsweise,
erzählt, welcher Film sich bei mir gerade abgespielt hat.
Wir haben etwas geplaudert – ob wir
auch auf einen Kaffee gegangen sind, weiß ich nicht mehr –
jedenfalls sind wir dann wieder unserer Wege gegangen und das war's.
Ein paar Monate später hatte sich
meine „soziale Lage“ noch mehr verschlechtert und deswegen kaufte
ich keine Fahrscheine mehr und ging alle Wege zu Fuß.
So marschierte ich zu Fuß vom
fünfzehnten Bezirk die Mariahilferstraße hinunter, diesmal weiß
ich es, ich war auf dem Weg zur Messe im Stephansdom. Und als ich in
Gedanken versunken im Burggarten dann an diese Abzweigung kam, fiel
mir die gerade geschilderte Szene mit dem beinahen Abenteuer ein und
ich schmunzelte vor mich hin. Und unwillkürlich entrang sich meinem
Inneren ein Stoßseufzer Richtung Himmel, ob denn ein solches
Abenteuer nicht doch möglich wäre!
Da machte es „Platsch!“, denn eine
Taube hatte mir auf die linke Schulter geschissen. Auf die linke
Schulter! Das ist die, wo die schöne, vermeintlich Fremde mir ihre
Hand aufgelegt hatte, um mich zu sich zu ziehen!
Ich bin im Deuten von Omen nicht gut,
aber damals dachte ich, die Antwort des Himmels ist eher nicht
zustimmend, sondern geht in die Richtung. „Du kannst mich mal!“
Jedenfalls mußte ich – nachdem der
erste Ärger über den Dreck verraucht war - sehr lachen, denn solche
Lebenskorrekturen gefallen mir.
Obwohl – vom Döbereiner gibt es den
Satz: „der Himmel signiert mit Tauben.“
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015
peteraloisrumpf@gmail.com
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