Montag, 11. Mai 2015

129 Die Signatur des Himmels


Es war Anfang der Neunzigerjahre, in der Zeit, als ich mein abgebrochenes Theologiestudium fortsetzte und ernsthaft und verzweifelt versuchte, zur katholischen Kirche zurückzufinden. Den Anstoß dafür gab der Astrologe Döbereiner. Von selber wäre ich nicht auf die Idee gekommen, wieder in dieses bereits abgelegte Kostüm zu schlüpfen zu versuchen.

Ich lebte arm und zurückgezogen und bin oft von meiner kleinen Substandartwohnung im fünfzehnten Bezirk mit der Straßenbahn zum Ring gefahren und dann zu Fuß durch den Burggarten und dann weiter zum Stephansdom zur Messe gegangen.

Wie gesagt, ich strengte mich an, zur katholischen Kirche, zur christ-katholischen Religion mit allem Drum und Dran zurückzufinden, aber etwas in mir wollte da nicht mitmachen. Ich konnte unter anderem auch meine Träume von sexuellen Abenteuern nicht loswerden. Je mehr ich es versuchte, desto stärker wurden sie.

Im realen Leben – Kirche hin oder her – war ich weit davon entfernt, mir diese Träume erfüllen zu können. Erstens war ich ein schüchterner Mensch und zweitens damals verarmt und gleichgültig meinem Äußeren gegenüber. Ich war so sehr in innere Kämpfe verstrickt – Kämpfe um innere Klarheit, was wahr und was falsch ist, stimmt es, was die Kirche und die christliche Tradition sagt? und so weiter - daß ich zum Beispiel gar nicht wahrnahm, daß bei meinem Mantel hinten der Stoff auf der Innenseite zerrissen war und von außen sichtbar in Fransen herunterhing, geschweige denn, daß ich es schaffte, einfach eine Schere zu nehmen und das runterhängende, zerfetzte Stück Stoff abzuschneiden.

Es war also zwischen dem, was sich in meinem Kopf an Ideen – ob katholisch, asketisch oder sexuell – abspielte und meinem wirklichen Leben ein ziemlich großer, unüberwindlich scheinender Graben. Und außerdem – je weniger Leben, desto mehr Phantasien. Es hätte schon eines Wunders bedurft, um diesen Graben zu überspringen.

Eines Tages also marschiere ich wieder durch den Burggarten – ob zur Messe oder nur so in die Innenstadt weiß ich nicht mehr – und komme auf eine Abzweigung zu. So nebenbei registriere ich, daß eine schöne, elegante Frau aus entgegengesetzter Richtung auf mich zukommt. Sie ist nur mehr ein paar Meter entfernt, aber die Abzweigung nehmend war ich schon dabei, mich von ihr wieder zu entfernen.
Da kam sie auf mich zu, legte mir ihre Hand auf meine linke Schulter und zog mich zu sich.

Ich war erschrocken und höchst erfreut gleichzeitig.
Was sich in den nächsten Sekunden in meinen Gedanken abspielte, klang ungefähr so:

„Ein Wunder! Eine wildfremde, schöne Frau schnappt mich einfach! Zieht mich einfach zu sich! Kein Herumreden, keine komplizierten Anbandelungsmanöver. Einfach zack und passt schon!“
Gleichzeitig war ich – wie schon gesagt – erschrocken, denn so „gach“ wäre ich durchaus überfordert gewesen. Was ist da dahinter? Mein Mißtrauen war auch gleich in Aktion. Ich war nie der Typ für schnelle Abenteuer – dafür bin ich ein viel zu unsicherer Mensch. Aber geträumt habe ich davon schon.
Das alles spielte sich in dieser Sekunde – viel mehr wird es nicht gewesen sein – in meinem Kopf ab.

Da nahm die schöne Fremde ihre großen Sonnenbrillen ab und ich sehe, es ist eine Bekannte von mir, zu der ich eine rein freundschaftliche Beziehung pflegte und die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte.
Da mußte ich lachen und ich glaube, ich habe ihr auch andeutungsweise, wirklich nur sehr andeutungsweise, erzählt, welcher Film sich bei mir gerade abgespielt hat.
Wir haben etwas geplaudert – ob wir auch auf einen Kaffee gegangen sind, weiß ich nicht mehr – jedenfalls sind wir dann wieder unserer Wege gegangen und das war's.

Ein paar Monate später hatte sich meine „soziale Lage“ noch mehr verschlechtert und deswegen kaufte ich keine Fahrscheine mehr und ging alle Wege zu Fuß.
So marschierte ich zu Fuß vom fünfzehnten Bezirk die Mariahilferstraße hinunter, diesmal weiß ich es, ich war auf dem Weg zur Messe im Stephansdom. Und als ich in Gedanken versunken im Burggarten dann an diese Abzweigung kam, fiel mir die gerade geschilderte Szene mit dem beinahen Abenteuer ein und ich schmunzelte vor mich hin. Und unwillkürlich entrang sich meinem Inneren ein Stoßseufzer Richtung Himmel, ob denn ein solches Abenteuer nicht doch möglich wäre!
Da machte es „Platsch!“, denn eine Taube hatte mir auf die linke Schulter geschissen. Auf die linke Schulter! Das ist die, wo die schöne, vermeintlich Fremde mir ihre Hand aufgelegt hatte, um mich zu sich zu ziehen!
Ich bin im Deuten von Omen nicht gut, aber damals dachte ich, die Antwort des Himmels ist eher nicht zustimmend, sondern geht in die Richtung. „Du kannst mich mal!“

Jedenfalls mußte ich – nachdem der erste Ärger über den Dreck verraucht war - sehr lachen, denn solche Lebenskorrekturen gefallen mir.
Obwohl – vom Döbereiner gibt es den Satz: „der Himmel signiert mit Tauben.“






©Peter Alois Rumpf  Mai 2015     peteraloisrumpf@gmail.com

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