125 Daumen hoch!
„Hey, was geht ab? Die Finger, wenn
du nicht aufpasst!“ „Daumen hoch! ...gegen Handverletzungen!“
Solche und ähnliche Plakate habe ich in letzter Zeit herumhängen
gesehen.
Deshalb schreibe ich heute über meinen
Arbeitsunfall vor zirka achtunddreißig Jahren, bei dem ich mir den
halben linken Daumen an der Kreissäge abgeschnitten habe.
Im Vergleich zu dem, was es sonst alles
gibt, ist dieser Unfall nicht der Rede wert und der zur Hälfte
abgeschnittene Daumen behindert mich nur wenig, sondern macht mich
eher interessanter. (Hi,hi!) Kommt mir zumindest vor.
Ich hatte mein Studium endgültig
abgebrochen und aufgegeben und dachte, angeregt durch einen dubiosen
Typen auf dem Ferienalternativcamp 1977 am Edersee, ein Handwerk wäre
das Gescheiteste. Und da bin ich auf Tischler gekommen. Obwohl mir
immer gesagt worden war, daß ich zwei linke Hände hätte. Aber ich
wollte das tapfer „überwinden“. Ich weiß nicht mehr, wer mir
den Tipp gegeben hat, daß es Umschulungen gibt, als WIFI-Kurse über
das Arbeitsamt finanziert, also vom Staat.
Der zuständige Mann dort war äußerst skeptisch mir gegenüber, die Maßnahme war gedacht für Arbeiter, die in ihrer Branche keine Arbeit mehr finden, nicht als Rettungsschirm für gescheiterte Studenten. Außerdem unterstellte er mir, daß ich vorhabe, dann gleich „irgendwas mit Kunst“ zu machen, und nicht ordentliches, anständiges, normales Handwerk. Im Endeffekt hatte der gute Mann vollkommen recht, aber ich selber hatte damals – trotz „Aktion Wetzawinkel“ - überhaupt nichts mit Kunst im Sinn, eher schwebte mir anfangs vage irgendetwas wie Landkommune mit Handwerk vor. Später dann wollte ich wirklich ein normaler Tischler werden. Weil ich mir da ganz sicher war, konnte ich ihn überreden, mich doch ins Umschulungsprogramm aufzunehmen. Daß da möglicherweise Staatsgelder an mir verschwendet werden, an das dachte ich überhaupt nicht. Ich meinte es ja ernst damit. Nebenbei: es gab bei uns im Kurs einen Metaller, der also zum Tischler umgeschult wurde und im gleichzeitig laufenden Umschulungskurs auf Metaller einen Tischler, der eben in die andere Richtung umgeschult wurde.
Der zuständige Mann dort war äußerst skeptisch mir gegenüber, die Maßnahme war gedacht für Arbeiter, die in ihrer Branche keine Arbeit mehr finden, nicht als Rettungsschirm für gescheiterte Studenten. Außerdem unterstellte er mir, daß ich vorhabe, dann gleich „irgendwas mit Kunst“ zu machen, und nicht ordentliches, anständiges, normales Handwerk. Im Endeffekt hatte der gute Mann vollkommen recht, aber ich selber hatte damals – trotz „Aktion Wetzawinkel“ - überhaupt nichts mit Kunst im Sinn, eher schwebte mir anfangs vage irgendetwas wie Landkommune mit Handwerk vor. Später dann wollte ich wirklich ein normaler Tischler werden. Weil ich mir da ganz sicher war, konnte ich ihn überreden, mich doch ins Umschulungsprogramm aufzunehmen. Daß da möglicherweise Staatsgelder an mir verschwendet werden, an das dachte ich überhaupt nicht. Ich meinte es ja ernst damit. Nebenbei: es gab bei uns im Kurs einen Metaller, der also zum Tischler umgeschult wurde und im gleichzeitig laufenden Umschulungskurs auf Metaller einen Tischler, der eben in die andere Richtung umgeschult wurde.
Interessant auch die Reaktion meiner
Eltern damals. Obwohl ich sie immer als Gegner meines
Theologiestudiums empfunden habe – wieweit zu recht oder zu unrecht
kann ich schwer sagen – das war ihnen doch nicht recht. Meiner
Mutter passte der „soziale Abstieg“ nicht,
oder besser gesagt, der Niedergang
ihrer Aufstiegsprojektionen auf mich, mein Vater war sehr
skeptisch, was meine handwerklichen Möglichkeiten betrifft. Selbst
mein Großvater, der sonst nie auf diese Art mit mir redete, sagte
mir, daß „ich dafür nicht die richtigen Hände“ hätte. So in
dem Sinn, „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ - und das von
einem, der als gestandener Arbeiter und Sozialist innerlich längst
aus der Kirche ausgetreten war. Ich habe mich damals sehr gewundert,
weil ich dachte, dieser Teil der Verwandtschaft verachtet mein
Theologiestudium.
Meine Mutter war so enttäuscht, daß
sie meinen jüngeren Bruder trotz Begabung nicht mehr aufs Gymnasium
lassen wollte, weil „ich mir das nicht mehr antun will“ -
wie sie wörtlich sagte.
Einige meinten, daß ich mich als
intelligenter Bursche doch mit dem Tischlerkurs leicht tun sollte. So
in dem Sinn, daß man von oben heruntersteigt und sich dann mit der
„niedrigeren“ Ausbildung spielt. Was für ein Irrtum! Es werden
dabei doch einfach andere Fähigkeiten und Fertigkeiten verlangt, als
bei einem Studium, die man als ehemaliger Student haben kann oder
auch nicht. Aber irgendwas von dieser Herabstiegsidee muß in mir
auch gesteckt sein, sonst hätte ich die Schwierigkeiten, die auf
mich zukamen, nicht so unterschätzt.
Ich hatte nämlich eine romantische
Vorstellung von der Tischlerei – das hat der Mann vom Arbeitsamt
sehr richtig gesehen. Und erst als ich das erstemal in die Werkstatt
kam, wurde mir bewußt, daß ich Angst vor den Maschinen hatte und
ihre Geräusche mich erschreckten.
In diesem Tischlerkurs ließen sich
auch zwei Brüder adeliger Herkunft zu Tischler umschulen. Vor allem
einer von ihnen, den Namen habe ich vergessen, war ein
unbestechlicher Beobachter und Kommentator. Unbestechlich und
gnadenlos konnte er Dinge beim Namen nennen, unbarmherzig gegen
subjektive Schutz- oder Verschleierungsbedürfnisse, sowohl bei den
andern, als auch bei sich selbst. Für astrologisch Interessierte:
sicher ein mehrstöckiger Skorpion – darauf trau ich mich wetten.
Hart gegen sich selbst und andere. Mich hat er öfters ganz schön
ins Schleudern gebracht, wenn er mir irgendwelche Sachen über mich
ins Gesicht gesagt hat. Sein Motiv war nicht irgendein subjektiver
Vorteil, sondern die Unbedingtheit der „Wahrheit“, so wie er sie
erkannt hatte. Oder erkannt zu haben glaubte.
Ins Schleudern bin ich gekommen, weil
ich seine Urteile als richtig anerkennen mußte – auch wenn sie mir
nicht passten.
Dieser Mann hatte vor kurzem erst bei
einem Jagdunfall ein Auge verloren, als ihm beim Aufbrechen des
erlegten Hirsches eines der Enden seines Geweihs ins Auge gefahren
ist. Und er hat erzählt, daß er in der Nacht davor diesen Unfall
geträumt hatte; genauso wie er dann abgelaufen ist. Er hatte also
offensichtlich eine hellseherische Begabung. Ich habe diesen Mann
deshalb so ausführlich zu beschreiben versucht, um klarzumachen, daß
das kein Typ war, der Schmähs erzählt oder schwindelt. Darum glaube
ich ihm das auch.
Während dieser Zeit fastete ich viel
und war sehr dünn, und in der Mittagspause nach dem Essen rannte ich
jedesmal einen kleinen „Berg“ hinauf und wieder herunter
(Zusertalgasse oder Hochsteingasse).
An diesem 21. Dezember nicht.
(Für Astrologen: Beginn der Steinbockzeit - Holz). Da saß ich nach dem Mittagessen mit den anderen in der Cafeteria und
döste vor mich hin. Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hatte,
mein Laufritual ausfallen zu lassen.
Dann gingen wir wieder in die
Werkstatt. Ich war ein wenig wie in einem Nebel gefangen. Ich nahm
ein Holzstück und sollte es der Länge nach zurechtschneiden. Wie
gesagt, ich hatte immer Angst vor den Maschinen; der Meister, der uns
beaufsichtigen sollte, war mit einem Freund tratschen gegangen und so
stand ich allein vor der Kreissäge. Ich schob brav mit dem
Schiebestock in der rechten Hand das Holzstück in die Säge, aber
als Linkshänder hatte ich den unbewußten Impuls, mit der linken
Hand, mit der ich mich sicherer fühlte, noch nachzuschieben. Und
übersah, daß sich das Holzstück zu mir hin verjüngte, daß also
das Sägeblatt sozusagen immer näher zu meinem linken Daumen „kam“.
Und plötzlich machte es einen Tuscher und ich denke, da ist jetzt
etwas passiert. Aber was? Erst als ich rote Flecken am Holzstück
sah, schaute ich meine Hände an und stellt fest, der halbe linke
Daumen ist weg, nur ein Hautfetzten hängt noch dran, wo vorher mein
oberstes Daumenglied war. Gottseidank, denn diesen Hautfetzten
konnten sie mir später im Unfallkrankenhaus über die Wunde legen und mußten
den übriggebliebenen Daumenknochen nur abrunden, nicht kürzen, um
genügend Haut zum Schließen der Wunde zu haben.
Ich hielt mir die Ader zu und hatte im
Schock noch den Nerv, meine Arbeitskollegen zu bitten, das
abgeschnittene Stück Daumen zu suchen – vielleicht könne man es
noch annähen. Aber es wurde nicht gleich gefunden.
Gefunden hat es dann später der oben
beschriebene unbestechliche „Aristokrat“. Es war in eine Ecke der
Werkstatt geschleudert worden. Er hat mich nachher, als ich vom
Spital zurück gekommen war, noch gefragt, ob ich das Daumenstück
haben wolle. Als ich verneinte, fragte er mich, ob er es sich
behalten könne. Ich bejahte und er hat dann mein Daumenstück in
irgendeine konservierende Lösung gegeben und in einem Gurkenglas
aufbewahrt. Eine etwas makabre Idee.
Aber das Wichtigste: der gute Mann hat
mir auch erzählt, daß er kurz vor dem Unfall ein ungutes Gefühl
hatte und den „Unfall“ wie im Raum schweben sah oder fühlte,
sozusagen suchend, wo beziehungsweise bei wem er Wirklichkeit werden
wolle oder könne und daß er spürte, daß ich im Visier war und er
den Impuls hatte, mich zu warnen, aber sich dann doch zu blöd
vorkam, mir zuzurufen: „geh weg von der Kreissäge!“.
So etwas dauert höchstens ein paar
Sekunden, und als er noch zögert, da ist es schon passiert.
Wie gesagt, das hat er mir nachher
erzählt, aber ich nehme ihm das ab.
Nicht daß ich den Unfall erklären
kann oder das ganze Geschehen verstehen. Aber etwas Schicksalhaftes
scheint mir schon am Werk gewesen zu sein – auch wenn das
„Schicksal“ selbst „produziert“ gewesen sein sollte.
Aufpassen allein hätte wohl nicht genügt, das zu verhindern. Dafür
wären wohl vorher mehrere Verstrickungen von mir aufzulösen
gewesen. Oder er war der sichtbare, „fleischgewordene“ Ausdruck
dafür, daß ich mir mit dem Abbrechen des Studiums eine Wunde
zugefügt hatte. Vielleicht. Vielleicht gibt es an soetwas auch gar
nichts zu verstehen.
Jedenfalls frage ich als
Telefoninterviewer in der Firma die Respondenten für die Statistik
nie – wie es im vorgegebenen Text steht – nach der „höchsten,
abgeschlossenen Bildung“, sondern nach der höchsten,
abgeschlossenen Ausbildung –
im Bewußtsein, daß eine Lehre und ein Studium nicht hierarchisch
übereinander gestapelte Ausbildungen sind, sondern einfach
verschiedene Ausbildungen für verschiedene Bereiche. Und das, obwohl
mir der Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung bewußt und sehr
wichtig ist.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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