Montag, 20. April 2015

118 Spaziergang


Ich gehe die Stiegen des Stiegenhauses hinunter. Im Rucksack mein Notizbuch. Ich will mir einen Platz zum Schreiben suchen. Im Freien? Im Cafe? Welches Cafe? Wo im Freien? Ich weiß es nicht. Ich bin unten, trete aus dem gläsernen Haustor und bleibe unschlüssig stehen. Ich will fühlen, in welche Richtung es mich zieht.
Da tritt eine junge Frau mit streng im Nacken zusammengefaßten Haaren und leuchtend roten Lippen auf mich zu und sagt: „Guten Tag. Sind wir zu einem Termin verabredet?“ Ich antworte: „Nicht daß ich wüßte!“

Sie zieht sich sogleich wieder zurück und ich werde verlegen, während mein Gedankenapparat anspringt und sich zu drehen beginnt. Was für eine Verabredung könnte das sein? Und: wer weiß, wo meine abgespaltenen Bewußtseinsanteile herumgegeistert sind und welche Termine sie ausgemacht haben. Man kann ja nie wissen!

Ich sage noch zur Dame, aber ohne sie anzuschauen: „Ich weiß noch nicht, in welche Richtung ich gehen soll.“ Das soll sie beruhigen. Und weil sie rechts von mir steht gehe ich links, aber schräg nach vor in eine Gasse, die ich sonst nur von der anderen Seite her durchmarschiere. Außer bei Wahlen, da durchschreite ich sie in derselben Richtung wie jetzt.

Zum Augarten? Bei Kreuzungen mit Ampel verwende ich das Grün-Prinzip. Ich gehe in die Richtung, die gerade auf grün geschaltet ist. So wandere ich Richtung Gaußplatz am Augarten vorbei. Ich spiele Tourist. Ich stelle mir vor, ich bin in einer fremden Stadt und spaziere hier zum erstenmal herum. Das fällt mir ganz leicht. Ich wandere durch den Grünstreifen zwischen Häuserfront und Hauptstraße. Abrupt endet der asphaltierte Weg an einer Querstraße und setzt sich dann versetzt als Schotterweg fort. Wie das sofort die Atmosphäre ändert! Die Ränder zur Wiese sind ausgefranst und Erlebnisse werden auf einmal wahrscheinlicher. Ich meine gute Erlebnisse. Spielende Kinder werden vorstellbar. Ich erinnere mich selber an mich als über Wiesen und Wege hüpfendes Kind.

Eine junge, kleine, drahtige Frau mit federndem Schritt redet gerade fröhlich mit den feinen Kabeln, die ihr aus den Ohren kommen und unter das Kinn gehen.
Na gut, in den zwanzigsten Bezirk. Warum nicht. Dort komme ich kaum hin. Vage entsteht vor meinem inneren Auge das Bild eines bürgerlichen Kaffeehauses. Das könnt als Schreibort passen. Das sollte irgendwo in der Klosterneuburgerstraße sein. Beim Vorbeifahren mit der Staßenbahn ist es mir öfters schon aufgefallen.

Aber zuerst umrunde ich den Gaußplatz, ob es nicht hier schon etwas gäbe für mich. „Mein kleines Cafe“ ist zu und leer. An einer geschlossenen, heruntergekommenen und offensichtlich aufgegebenen Lottoannahmestelle steckt ein Fähnchen mit der Aufschrift „Dreifachjackpot“.

Ich wandere weiter in die Klosterneuburgerstraße. Die Cafes heißen Zero, Glamour, Victoria und Joker's und ziehen mich nicht an. Der Versuchung, gleich da hinüber zum Donaukanal auszuweichen, widerstehe ich. Da müßte doch mein imaginiertes Kaffeehaus sein. War es da? Der Schnitzelkönig? Vielleicht. Ich kann mich nicht erinnern. Ich gehe weiter. Ein dicklicher junger Mann mit dunklen Haaren telefoniert mit gesenktem Kopf ohne Kabel oder Handy. Mit wem redet er? Wenn ich von mir auf ihn schließen darf, dann rechtfertigt er sich gerade vor seinem inneren Tribunal.

Es scheint die Sonne. Die Bäume tragen ihr unnachahmliches Frühlingsgrün. Jetzt fällt es einem erst auf, wie viele Bäume es in den Straßen und auf den Plätzen gibt. Der Wind weht fast ständig, aber mit unterschiedlicher Intensität. Und die Wolken erzeugen ein abwechslungsreiches Licht und Schattenspiel. Wirklich ein schöner Tag. Nicht zu kalt und nicht zu warm. Ich wandere weiter. Ich genieße die Sonne und den Wind und lasse mich treiben.

Da! Da ist das Kaffeehaus. Das müßte es sein. Geschlossen. Ich biege in eine Seitengasse. Ein rostiges Haus mit Eisenfassade beherbergt eine Holzgalerie.

Ich habe mich wo reingesetzt. Draußen wiegt oder schüttelt der Wind das frische Grün der Bäume am Platz. Die rote Kirche dahinter wirkt nördlich. Freunde ich mich schon mit der Architektur des neunzehnten Jahrhunderts an?

Die Kellnerin lacht etwas zu forciert. Für meinen Geschmack. Für sie wird es hoffentlich genau richtig sein. Der Propeller steht still. Im Raucherbereich die Männer, im Nichtraucherbereich die Frauen. Und ich. Bei koffeinfreiem Kaffee. Jetzt kommt doch noch ein Mann herein. Nein, er geht nur aufs Klo.
Die Damen neben mir – ich vermute Mutter und Tochter – legen Patiencen oder spielen Karten. Ich habe nicht genau hingeschaut.

Der Song, der durchs Gurgeln der Kaffeemaschine sickert, könnte mir gefallen. Der Wind wird stärker. Ich möchte weiterziehen. Jetzt kommt aus dem Lautsprecher ein neues Lied, „Blowing in the Wind“, aber auf Steirisch. Einer der Handwerker im Raucherbereich streckt sich und schaut dabei der Kellnerin auf den Hintern. Ein Handwerker darf das. Ein Schreiberling bei den Nichtraucherinnen nicht, schon gar nicht, wenn er alkoholfreies Bier oder koffeinfreien Kaffee trinkt. Die Kellnerin – kommt mir vor – hat auch einen steirischen Akzent. Will sie auch heim nach Fürstenfeld?

Jetzt weiß ich, was die Frau an der Haustür, die mit den strengen Haaren und roten Lippen, was sie für einen Termin gehabt haben könnte – einen Wohnungsbesichtigungstermin!





©Peter Alois Rumpf April 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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