118 Spaziergang
Ich gehe die Stiegen des Stiegenhauses
hinunter. Im Rucksack mein Notizbuch. Ich will mir einen Platz zum
Schreiben suchen. Im Freien? Im Cafe? Welches Cafe? Wo im Freien? Ich
weiß es nicht. Ich bin unten, trete aus dem gläsernen Haustor und
bleibe unschlüssig stehen. Ich will fühlen, in welche Richtung es
mich zieht.
Da tritt eine junge Frau mit streng im
Nacken zusammengefaßten Haaren und leuchtend roten Lippen auf mich
zu und sagt: „Guten Tag. Sind wir zu einem Termin verabredet?“
Ich antworte: „Nicht daß ich wüßte!“
Sie zieht sich sogleich wieder zurück
und ich werde verlegen, während mein Gedankenapparat anspringt und
sich zu drehen beginnt. Was für eine Verabredung könnte das sein?
Und: wer weiß, wo meine abgespaltenen Bewußtseinsanteile
herumgegeistert sind und welche Termine sie ausgemacht haben. Man
kann ja nie wissen!
Ich sage noch zur Dame, aber ohne sie
anzuschauen: „Ich weiß noch nicht, in welche Richtung ich gehen
soll.“ Das soll sie beruhigen. Und weil sie rechts von mir steht
gehe ich links, aber schräg nach vor in eine Gasse, die ich sonst
nur von der anderen Seite her durchmarschiere. Außer bei Wahlen, da
durchschreite ich sie in derselben Richtung wie jetzt.
Zum Augarten? Bei Kreuzungen mit Ampel
verwende ich das Grün-Prinzip. Ich gehe in die Richtung, die gerade
auf grün geschaltet ist. So wandere ich Richtung Gaußplatz am
Augarten vorbei. Ich spiele Tourist. Ich stelle mir vor, ich bin in
einer fremden Stadt und spaziere hier zum erstenmal herum. Das fällt
mir ganz leicht. Ich wandere durch den Grünstreifen zwischen
Häuserfront und Hauptstraße. Abrupt endet der asphaltierte Weg an
einer Querstraße und setzt sich dann versetzt als Schotterweg fort.
Wie das sofort die Atmosphäre ändert! Die Ränder zur Wiese sind
ausgefranst und Erlebnisse werden auf einmal wahrscheinlicher. Ich
meine gute Erlebnisse. Spielende Kinder werden vorstellbar. Ich
erinnere mich selber an mich als über Wiesen und Wege hüpfendes
Kind.
Eine junge, kleine, drahtige Frau mit
federndem Schritt redet gerade fröhlich mit den feinen Kabeln, die
ihr aus den Ohren kommen und unter das Kinn gehen.
Na gut, in den zwanzigsten Bezirk.
Warum nicht. Dort komme ich kaum hin. Vage entsteht vor meinem
inneren Auge das Bild eines bürgerlichen Kaffeehauses. Das könnt
als Schreibort passen. Das sollte irgendwo in der
Klosterneuburgerstraße sein. Beim Vorbeifahren mit der Staßenbahn
ist es mir öfters schon aufgefallen.
Aber zuerst umrunde ich den Gaußplatz,
ob es nicht hier schon etwas gäbe für mich. „Mein kleines Cafe“
ist zu und leer. An einer geschlossenen, heruntergekommenen und
offensichtlich aufgegebenen Lottoannahmestelle steckt ein Fähnchen
mit der Aufschrift „Dreifachjackpot“.
Ich wandere weiter in die
Klosterneuburgerstraße. Die Cafes heißen Zero, Glamour, Victoria
und Joker's und ziehen mich nicht an. Der Versuchung, gleich da
hinüber zum Donaukanal auszuweichen, widerstehe ich. Da müßte doch
mein imaginiertes Kaffeehaus sein. War es da? Der Schnitzelkönig?
Vielleicht. Ich kann mich nicht erinnern. Ich gehe weiter. Ein
dicklicher junger Mann mit dunklen Haaren telefoniert mit gesenktem
Kopf ohne Kabel oder Handy. Mit wem redet er? Wenn ich von mir auf
ihn schließen darf, dann rechtfertigt er sich gerade vor seinem
inneren Tribunal.
Es scheint die Sonne. Die Bäume tragen
ihr unnachahmliches Frühlingsgrün. Jetzt fällt es einem erst auf,
wie viele Bäume es in den Straßen und auf den Plätzen gibt. Der
Wind weht fast ständig, aber mit unterschiedlicher Intensität. Und
die Wolken erzeugen ein abwechslungsreiches Licht und Schattenspiel.
Wirklich ein schöner Tag. Nicht zu kalt und nicht zu warm. Ich
wandere weiter. Ich genieße die Sonne und den Wind und lasse mich
treiben.
Da! Da ist das Kaffeehaus. Das müßte
es sein. Geschlossen. Ich biege in eine Seitengasse. Ein rostiges
Haus mit Eisenfassade beherbergt eine Holzgalerie.
Ich habe mich wo reingesetzt. Draußen
wiegt oder schüttelt der Wind das frische Grün der Bäume am Platz.
Die rote Kirche dahinter wirkt nördlich. Freunde ich mich schon mit
der Architektur des neunzehnten Jahrhunderts an?
Die Kellnerin lacht etwas zu forciert.
Für meinen Geschmack. Für sie wird es hoffentlich genau richtig
sein. Der Propeller steht still. Im Raucherbereich die Männer, im
Nichtraucherbereich die Frauen. Und ich. Bei koffeinfreiem Kaffee.
Jetzt kommt doch noch ein Mann herein. Nein, er geht nur aufs Klo.
Die Damen neben mir – ich vermute
Mutter und Tochter – legen Patiencen oder spielen Karten. Ich habe
nicht genau hingeschaut.
Der Song, der durchs Gurgeln der
Kaffeemaschine sickert, könnte mir gefallen. Der Wind wird stärker.
Ich möchte weiterziehen. Jetzt kommt aus dem Lautsprecher ein neues
Lied, „Blowing in the Wind“, aber auf Steirisch. Einer der
Handwerker im Raucherbereich streckt sich und schaut dabei der
Kellnerin auf den Hintern. Ein Handwerker darf das. Ein Schreiberling
bei den Nichtraucherinnen nicht, schon gar nicht, wenn er
alkoholfreies Bier oder koffeinfreien Kaffee trinkt. Die Kellnerin –
kommt mir vor – hat auch einen steirischen Akzent. Will sie auch
heim nach Fürstenfeld?
Jetzt weiß ich, was die Frau an der
Haustür, die mit den strengen Haaren und roten Lippen, was sie für
einen Termin gehabt haben könnte – einen
Wohnungsbesichtigungstermin!
©Peter
Alois Rumpf April 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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