Freitag, 3. April 2015

108 Von außen eine eher fade Geschichte


Josef Bacherl wandert mit Rucksack, Schlafsack, Decke dahin. Es ist Sommer. Sein Weg führt über freundliches Gebiet. Keine Kletterei, sanfte Almwiesen; grüne, keine felsigen Übergänge. Über eine baumlose, aber grüne Höhe kommt er jetzt in das nordöstlich gelegene Almdorf hinab. Es ist ein kleiner Weiler hauptsächlich aus ebenerdigen Holzhäusern, eher modernerer Bauweise. Ringsherum Wiesen, kein Wald, nur im Dorf selber stehen ein paar Weiden und anderes Gebüsch. Zum Beispiel dort hinter dem kleinen Spielplatz. Die Häuser stehen eng zusammen, wenig Abstand zwischen ihnen, zur Schotterstraße hin, die durch das Dorf führt, liegen kleine Vorgärten, die meistens auch bloß aus Wiesen bestehen, aber eingezäunt sind.

Es ist Nacht, aber dennoch ziemlich hell, grau wie in der Morgendämmerung. Josef Bacherl denkt sich nichts dabei. Er ist müde und möchte sich hinlegen. Wie ein Dieb schleicht er in den Vorgarten eines Hauses, ebenerdig, aus Holz, die Fassade aus dunkelbraunen Brettern. Ja, das ist das Ferienhaus der Familie, die er kennt.

Er klopft nicht an, sondern legt sich unter das Fenster des Schlafzimmers des Ehepaares. Er hört sie reden. Er kennt sie alle. Aber heute ist er nur an der Frau interessiert. Er hatte vor Jahren eine Affäre mit ihr und hofft, daß sie ihn im Garten findet, aber ihr Mann nicht. Er merkt nicht, daß das etwas absurd ist. Verständlich, denn Josef Bacherl träumt, er ist auf Traumreise, oder in diesem Fall besser gesagt, auf Traumwanderung.

Er legt sich also unter das offene Schlafzimmerfenster, ganz eng an die Hauswand, mit Decke, Schlafsack und lauscht den Geräuschen und Gesprächen drinnen. Er ist so müde, daß er bald einschläft. Nicht tief. Er wacht immer wieder auf und triftet wieder weg. In diesem Gleitzustand zwischen Schlaf und Traum versucht er, sein Bewußtsein, aufs Lauschen ausgerichtet, nicht zu verlieren.

Irgendwie sind die da drinnen etwas unruhig, kommt ihm vor. Haben sie ihn bemerkt? Oder ahnen sie von seiner Lauerei? Er preßt sich ganz an die Holzwand. Das Fenster steht offen und der Mann drinnen ist aufgestanden, kommt ans Fenster und schaut heraus. Über ihn hinweg. Gottseidank nicht nach unten, wo er liegt. Trotzdem ist sich Bacherl nicht sicher, ob er nicht doch entdeckt wurde und die da drinnen nur so tun, als würden sie nichts merken.

Er hört die Worte ihres Gesprächs sehr gut, allein, er kann sie sich nicht merken. Er kapiert nicht, daß er träumt. Immer noch macht er sich die Hoffnung, daß die Frau ihn sieht und zu ihm herauskommt. Wie das gehen soll, weiß er nicht, nur, daß er mit ihr … was machen will.

Drinnen lachen sie. Lacht auch sie da über ihn? Jetzt wird ihm bei seinem ganzen Manöver etwas mulmig und die Situation etwas brenzlig. „Besser ich verschwinde,“ denkt er sich, „reden die nicht schon über mich? Daß ich mir nicht merken kann, was sie reden!“ Er wartet ab, bis der Mann vom Fenster weggegangen ist, wieder zurück ins Schlafzimmer. Bacherl steht leise auf, läßt Schlafsack und Decke liegen und schleicht über den Vorgarten direkt vorm offenen Fenster zur Straße hin. Daß es einen Zaun gibt, hat er vergessen und so springt er den kleinen, hüfthohen Rain zur Straße hinunter, der ihm vorher nicht aufgefallen ist.
Schon beim Aufstehen hat er bemerkt, daß etwas mit seinem Gürtel nicht stimmt, denn er verliert seine Hose. In der Dunkelheit – denn jetzt ist es finster – tastet er nach dem Gürtel und stellt fest – der Gürtel geht bis in die Gegend seines Kreuzes und dann aber wieder zurück nach vorne. Der Gürtel dreht sozusagen auf halbem Weg um.
Er versucht das im Wegschleichen zu richten, es gelingt ihm aber nicht. Mit seiner linken Hand hält er die Hose, während er Richtung Spielplatz geht.

Jetzt ist es wieder hell, wie zur Morgendämmerung knapp vor der Morgenröte, und er bemerkt ein paar Leute beim Spielplatz. Er schaut bewußt nicht hin; er will möglichst unauffällig und gleichgültig vorbeigehen; obwohl es junge Mütter zu sein scheinen, kann er sich an keine Kinder erinnern, aber sicher ist er sich nicht.

Im Gebüsch bei den Bäumen versteckt er sich und beobachtet das Haus, das zehn, höchstens zwanzig Meter entfernt ist.
Jetzt ist das Ehepaar eindeutig wach und aufgestanden. Die reden wirklich über ihn! Der Mann erinnert seine Frau an die Szene, wie er nicht ins Schlafzimmer konnte, damals, vor Jahren, weil sie mit Josef auf einer Matratze am Boden lag, gleich hinter der Tür, sodaß sie blockiert war.
Die Frau lacht und Bacherl kommt es vor, sie lacht über ihn. „Scheiße!“, denkt er sich, „sie lacht über mich. Das wird heute doch nichts!“ … „Oder tut sie das nur ihrem Mann gegenüber? Und sie hat mich schon bemerkt und wartet nur auf eine Gelegenheit, zu mir zu kommen?“

Jetzt verläßt das Ehepaar das Haus und geht die Straße hinunter. So, jetzt kennt sich Bacherl nicht aus, obwohl ihm das nicht bewußt ist. Haben sie doch bemerkt, daß ein Mann im Garten war, aber für einen Einbrecher gehalten und verlassen – sich unbedarft gebend – deshalb das Haus? Oder fühlen sie sich von ihm bedroht und flüchten vor ihm? Oder gehen sie zur Polizei? Gibt es hier eine Polizei? Oder holen sie ein paar beherzte Männer, die ihn verjagen? Wenn, dann haben sie das gut als normalen Spaziergang getarnt – es hatte wirklich so ausgesehen, als würde ein Ehepaar, in der Morgendämmerung aufgewacht, Lust auf einen Spaziergang in der frischen Morgenluft bekommen haben.
Sie hat sich bei ihrem Mann eingehängt und geht so einen halben Schritt hinter ihm. Es schaut aber so aus, als würde sie ihn führen. Sozusagen schiebend führen. „Nein“, denkt sich Bacherl. „das wird heute nichts mehr mit ihr! Sie hat über mich gelacht! Glaub ich zumindest. Nein, besser gleich weg!“
Das Ehepaar ist jetzt – wie das in Träumen so ist – einfach verschwunden. Nicht daß Bacherl nach ihnen sucht, sie sind einfach nicht mehr da und er akzeptiert diese Traumlogik ohne Fragen.

Bacherl droht aufzuwachen, aber er gleitet wieder in den Traum zurück und will seine Decke und seinen Schlafsack holen. Den Rucksack hat er vergessen, darum weiß niemand, trägt er den die ganze Zeit am Rücken herum oder ist der auch einfach aus dem Traum verschwunden? Auch Hose und Gürtel machen schon längst keine Probleme mehr.

Jetzt redet Bacherl mit einem Bewohner dieses eigenartigen Almdorfes, den er aber nicht sieht, sondern nur ahnt, und erklärt ihm, daß er sich, vom Wandern Tag und Nacht ganz erschöpft, einfach in den nächstbesten Garten gelegt habe, um sich, vor einem drohenden Regenschauer unter das Vordach flüchtend, hinzulegen und zu schlafen. Der Regen sei dann nicht gekommen, aber er sei vor Erschöpfung eingeschlafen.
Bacherl erschrickt, weil ihm einfällt, daß er gar nicht weiß, ob es geregnet hat oder nicht, und er deshalb möglicherweise bei seinem Schwindel ertappt wird. Aber seinem unsichtbaren, nur schemenhaft geahnten Gegenüber ist diese Ungereimtheit nicht aufgefallen. Dieser schickt ihm eine Antwort ohne zu sprechen, aber man kann seine Gesten beim Reden verschwommen wahrnehmen:

„Diese Ehepaar kommt aus der Stadt und ist hier im Dorf bekannt für seine Gastfreundlichkeit und auch für ihre Offenheit gegenüber Fremden. Sie hätten einfach anklopfen können, sie hätten Sie sicher ins Haus aufgenommen!“ „Ach, der Gute!“, denkt Bacherl, „der weiß ja nicht, daß die möglicherweise eine Rechnung mit mir offen haben! Zumindest der Mann!“
Aber sagen tut er: „Lieber Herr, würden Sie so nett sein und mitkommen, wenn ich jetzt in den Vorgarten gehe, meine Sachen zu holen? Ich fühle mich wohler, wenn jemand vom Ort dabei ist und bezeugen kann, daß ich nur mein Zeug genommen habe, wie ich über den Zaun geklettert bin!“

Aha! Jetzt gibt es wieder den Zaun! Aber der ist niedrig, nur kniehoch. Von klettern kann keine Rede sein. „Ich würde mich wohler fühlen, wenn Sie dabei sind und bezeugen können, was wirklich war, wenn dann im Dorf Gerede aufkommen sollte, daß jemand einen über den Zaun steigen gesehen hat.“

Wie einen leichten Hauch „spürt“ Bacherl noch die Einverständnis bekundende Antwort des schattenhaften Dorfbewohners, dann wacht er auf. Und zwar kommt er wie ein Taucher vom Auftrieb des Wassers aus der Tiefe des Traumes in den Wachzustand geschossen, ins normale, wenn auch benommene Bewußtsein.
Lieber Leser, auch wenn das für dich eher ein fader Traum war, Bacherl ist in großer Aufregung, mit starkem Herzklopfen und starken Gefühlen aufgewacht. Angst war dabei, schlechtes Gewissen und – so eine Art enttäuschtes Begehren für diese Frau. Aber trotzdem cool! Trotzdem cool!

Als Bacherl wieder einschläft hat er Durst. Er dreht den Wasserhahn über einem Waschbecken auf und hält ein Glas in den Wasserstrahl. Der Wasserstrahl aber ist sehr breit und es rinnt das Wasser über das Waschbecken hinaus, weil das Rohr so weit nach rechts gedreht und länger ist, als die Breite des Waschbeckens dort rechts.
Als Josef B. Das Rohr in die Mitte über das Waschbecken schieben will, gibt es kein Rohr mehr. Das Wasser kommt aus dem Nichts. Einfach so. In großen, ja riesigen Tropfen, wie in großen Wassertrauben; und so fällt ein unruhiger, unregelmäßiger Wasserstrahl, manchmal dünner, dann wieder sehr,sehr dick herunter, und das halbe Wasser rinnt neben das Glas.
Der Wasserstrahl kommt nicht von weit oben, wie etwa Regen, nein, er beginnt einfach so zirka zwei, drei Meter rechts über dem Waschbecken in der Luft. Josef will das Wasser abdrehen, aber da gibt es auch nichts mehr zum Abdrehen!



©Peter Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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