107 „Der Mörder von der Denglergasse“, eine reichlich infantile Geschichte
Komuskra Dengli hatte es satt! Richtig
satt! „So darf man mit mir nicht reden!“, dachte er, „so
nicht!“ Und er stampfte ein bißchen vorsichtig mit dem linken Fuß
auf, damit es in der Straßenbahn niemand hört. Sein Gesicht war
verzerrt vor Wut und innen schrie er mit dem Aufseher in der Firma,
außen zuckte er mit seinem Gesicht. Manche Leute in der Straßenbahn
beobachteten ihn verstohlen. Andere schauten weg. Als er merkte, was
passiert war, tat er so, als würde sein linker Schuh schlecht sitzen
und er hob wieder den linken Fuß und stampfte nochmals leise auf,
als würde er irgendetwas beim Schuh zurecht rücken wollen. Dann
bückte er sich, machte die Schuhbänder auf, richtete den Socken,
als wäre er verrutscht gewesen und hätte Falten gemacht und band
die Schuhbänder wieder zu. “Das ist mir jetzt so halbwegs
gelungen, das Ganze zu tarnen.“ Er war ziemlich weg gewesen, nur
mehr ganz am Rand mit der Realität in Kontakt, die Leute in der
Straßenbahn waren ganz am Rand seines Gesichtsfeldes. „Daß ich
das nie gleich merke! Immer wieder kippe ich weg! Scheiße!“ Er hob
die Augenbrauen und bewegte seine Hand in einer übertriebenen Geste
der Resignation, um zu versuchen, seinen Grimassen vorher einen
harmloseren Sinn zu unterschieben.
Der Aufseher in der Firma hatte sich über ihn
lustig gemacht. Er selber hatte dazu nur gegrinst.
Gut, lassen wir ihn zucken! Wenden wir
uns Camillo Zorres zu! (diese Art des Figurenwechsels habe ich mir von
Daniil Charms ausgeborgt. Ein toller Schriftsteller!)
Camillo Zorres lag in seinem Bett und
ärgerte sich über seine Frau. Sie hat ihm eine Arbeit aufgehalst
und vor lauter schlechtem Gewissen, weil er so wenig tut, hat er
nicht „nein!“ gesagt. Dabei tut er eh viel. Mehr, als er glaubt.
Er springt in seiner Kammer aus dem
Bett und fuchtelt vor Wut mit den Armen herum, schneidet Grimassen
und schnauft.
Gut, lassen wir den Armen fuchteln,
schneiden und schnaufen bis er müde wird und sich wieder ins Bett
legen kann. Die Gefahr besteht allerdings, daß er dann zwar müde
ist, aber nicht schlafen kann. Sie wissen, das Herz!
An der Wand hängt ein kleines
Zeitungsfoto von Johannes von Kreuz. Deswegen fällt mir jetzt
Theresia von Avila ein. Die hatte vor kurzem Geburtstag!
Ein kühler Luftzug zieht durchs
Fenster herein. Oder durch den Spalt unter der Tür. Draußen gibt es
nämlich gerade einen Sturm.
Berger vom Lawinenschutz ist übrigens
Anhänger von Sturm Graz und nicht Tiroler, sondern Steirer!
Sechs Blätter sind an die Wand
genadelt, sechs Blätter - braun, trocken, staubig.
Beim Baum vor mir leuchten die Blätter.
Die Karte mit den Sternen leuchtet im
Dunkeln.
Eine Karawane von durchschnittlichen
Lichtgestalten zieht durch einen Tunnel. Ich selber bin durch und
durch durchschnittlich! Genauso durchschnittlich wie ein
größenwahnsinniger Kleinbürger.
Aber das macht nichts. „Shadows
collide with people“ (John Frusciante). Meinen Schatten sehe ich
jetzt nicht. „Mein Schatten kann über Wasser gehen, wenn Mond oder
Sonne nur richtig stehen“ (Christine Lavant).
Statt eines Scheitels habe ich eine
Glatze.
Ich atme ein, ich atme aus. Ein...
und... aus. Allmählich kommen die Geräusche der Stille zum
Vorschein. Ich seufze tief. Ich muß lächeln. Das Bild eines
absurden Heuwagens hängt dort hinten ganz schief.
Ich spüre den Luftzug auf meiner Nase.
Da beim „Grazer Fenster“ die
Außenfenster nach außen aufschlagen, also nach außen aufgehen,
drückt der Wind, der gegen das Fenster bläst, die äußeren
Fensterflügel zu. Wir haben
hier in unserer Wohnung in Wien aber kein Grazer Fenster, unsere
Außenfenster gehen nach innen auf, leichter zu putzen, aber der
Wind, der gegen das Fenster bläst, drückt es auf.
Und durch diesen Spalt kommt der Wind.
Soll
ich wieder nach Graz ziehen?
©Peter
Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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