106 Längeres Intermezzo
Ich sitze in meinem Cafe. Mein
Stammplatz war besetzt. Ich schaue nach Norden, ungefähr nach
Norden. Also nicht Richtung Osten zum Fenster hinaus wie sonst,
sondern auf die Theke.
Viele Gläser stehen dort und weiter
hinten an der Wand, Flaschen, erstaunlich wenige Tassen. Vielleicht
sind die auch nur aus meinem Blickwinkel verdeckt. Kaffeemaschine.
Die hagere alte Dame rechts neben mir redet die ganze Zeit mit dem
Patron und ißt Torte. Ich habe auch Torte gegessen und koffeinfreien
Kaffee getrunken. Sie trinkt Kakao. Zumindest hat sie einen bestellt.
Ich habe nicht nachgeschaut, ob sie ihn trinkt und ob überhaupt
Kakao in ihrer Tasse ist. Genau genommen habe ich auch nicht ihr
Trinkgefäß angeschaut – ich denke nur, es ist eine Tasse. Weil
sie Kakao bestellt hat.
Solche zarten Menschen! Die Tochter des
Hauses. Die Madame. Der Patron. Eine zarte Eidechse aus Draht
klettert die Kaffeemaschine hinauf. Draußen regnet es und es ist
kalt. Die Zuckerdose schaut mich an und spitzt den Mund. Schritte auf
der Treppe.
Die Fotos am Kühlschrank. Ein
Narrenstab ist an der Vorderfront der Theke quer hingelegt, aber so,
daß er hängt, obwohl er liegt. Rosen. Ansichtskarten. Der Dame
rechts ist ein unbenutztes Papiertaschentuch hinuntergefallen. Ich
schaue ein paar Sekunden auf das Taschentuch – ich will überprüfen,
ob es überhaupt ein Taschentuch ist und ich stelle dabei fest, daß
es vermutlich unbenutzt ist. Vorher ist mir einige Sekunden lang noch
vorgekommen, was da am Boden liegt wäre eine Hülle für
irgendetwas. Sie hebt das Taschentuch wieder auf. Aus den
Augenwinkeln heraus sehe ich, daß sie es irgendwo hineingibt. Vermutlich in
ihre Handtasche. Aber ich bin zu schüchtern um genau hinzuschauen.
Ich will nicht unhöflich sein.
Die gelb leuchtende Uhr zeigt Viertel
nach Zwölf. Sie leuchtet wirklich schön, in sattem Gelb. Spiegel.
Spieglein, Spieglein an den Wänden, passt meine Brille oder schaut
sie zu feminin aus? Ein Herr, gerade eingetreten, diskutiert mit
Madame, ob die Melange mit oder ohne Schlag gehört. Ein Besserwisser
wie ich?
Der andere Herr trinkt Cola. Im Cafe
Cola trinken! als Erwachsener! Ein französischer Flic, mit rundem
Gesicht, hält die Augen geschlossen und grinst zufrieden. Eine
dreifache Spirale dreht sich nach links. Sie müßte sich eigentlich
nach rechts drehen. Die Klimaanlage springt an. Viele Kugelschreiber
– eine Schere.
War das Cola des Herrn mit Schuß? Er
zahlt und ich habe es schlecht gehört. Ja, doch! Denn Madame muß
zusammenzählen.
Der rote Faden ist hinter der Schrift,
ich sehe nur ein kleines Stück von ihm. Ich will noch eine Melange
koffeinfrei bestellen, aber Madame hat sich letztens verhört. Das
will ich nicht riskieren. Ich warte auf die Tochter.
Mein Nacken tut nicht mehr weh. Vor
zwei Stunden tat er es und ich fühlte es genau: mein Kopf gehört
nicht mir. Er wurde mir von Aliens aufgesetzt. Was mit meinem echten
Kopf passiert ist – ich weiß es nicht. Eine Kugel im Nacken soll
den fremden Kopf festhalten. Der fremde Kopf ist dünkler, größer –
obwohl er klein ausschaut, wirkt alt, ist runder, schwerer, innen gelber -
fast braun, schwerfälliger als mein echter Kopf. Was mein echter....
Die Kugel im Nacken schaut metallisch
aus, aber innen ist sie porös, wie das Innere eines Knochens. Ich
kann den Kopf nicht ganz drehen. Die Kugel passt nicht ganz. Daß mir
das noch nie aufgefallen ist!
Wer waren diese Aliens, die mir den
eigenen Kopf gestohlen haben? Haben sie ihn einfach weggeworfen?
Jetzt steht eine links von mir und
einer rechts. Sie zerren an mir. Ich werde ungeduldig und zornig.
Laßt mich in Ruhe! Können die keine Tür zumachen? Fünfmal tuscht
und kracht es!
Wie gesagt, das war vor zwei Stunden.
Jetzt bin ich stark und kämpferisch und habe die Aliens
abgeschüttelt. Mein Nacken tut nicht mehr weh.
Aber jetzt tut er wieder weh. Ich drehe
den Kopf langsam und vorsichtig. Die Spannung löst sich wieder.
Madame sortiert die von mir gerade
sortierten Zeitungen wieder um, mit einem leicht empört klingendem
„Ah!“. Gleich werde ich zornig.
Die Zuckerdose starrt mich immer noch
an und spitzt ihren Mund. Sie hat sich nicht von der Stelle gerührt.
Unter der runden leuchtenden Uhr sitzt
eine runde Frau mit rundem Gesicht. Ob ihr Kopf auch abmontiert wurde
und ein fremder aufgesetzt? Jedenfalls ist der jetzige für ihren
Körper gut ausgewählt und er kann französisch sprechen. Und hören.
Und verstehen. Zumindest scheint es so, denn was da zwischen ihr und
der Tochter hin und her geht schaut wie ein echtes Gespräch aus. Ich
kann es nicht überprüfen.
Was versteht mein fremder Kopf nicht?
Ah! Der rote Faden ist jetzt sichtbar! Eigentlich ist er ein
schmales, rotes Band.
Madame kann Gedanken lesen; sie hat die
Zuckerdose, die mich angestarrt hat, weggenommen, nach hinten.
Strafversetzt? Als Animierzuckerdose nichts erreicht? Nein, auf ihre
Kontaktversuche habe ich konsequent nicht reagiert.
Mit festen Schritten stapft die Tochter
die Treppe herauf – und tippt etwas ein. Wo tippt sie es ein? Ich
kann es nicht sehen. Geheimnisvoll! Sehr geheimnisvoll!
Wo schaue ich hin? Um Himmelswillen! Wo
schaue ich hin!
Die Kaffeemaschine dampft und mahlt und
zischt und surrt.
Regnet es draußen noch? Der Mann
schräg hinter mir hat „ a guate marie“ verdient. „Gott sei
dank!“ Ich danke auch, daß ich die Aliens abgeschüttelt habe; ich
glaube, mein Kopf gehört doch mir. Zumindest Teile von ihm. Ich
würde sogar sagen, der größte Teil.
Die hagere alte Frau neben mir –
rechts – hat eine eigenartige Kappe auf. Die wirkt aber aufgesetzt!
Wirkt mein Kopf auch aufgesetzt? Ihre Kappe auch von... anderen?
Die blaue Schale direkt vor mir, in
Augenhöhe, hat ein schönes Blau.
Der Mann schräg hinter mir hat
„Schaas“ gesagt. Die Runde holt sich eine andere Zeitung, die
ganze Runde. Ist sie aus einem Stück oder auch teilweise
transplantiert?
Dort wo bei Siegfried das Lindenblatt
ist, ist bei der Tochter eine Schleife - oder richtiger – das Bild
einer Schleife mit Buchstaben.
„Tres jolie“, aber nicht die
Schleife. Was, weiß ich nicht. Ich kann die Sprache nicht. Vier
Jahre gelernt und kann sie nicht. War das noch mein Kopf, der das
gelernt hat, oder schon der fremde? Ich glaube der fremde. Die
Transplantation hat sicher schon ganz früh stattgefunden. Vermutlich
kann ich mich deswegen nicht so weit zurückerinnern.
Von Zahlen ist die Rede. Ich sollte
auch zahlen, und gehen.
Traurig und schwermütig bewegen sich
die Scheibenwischer im Spiegel. Der Arbeitsplan ist zur Kenntnis
genommen. Der Mann am Steuer weiß, wie es weitergeht; er weiß, wo
er seine Last hinbringen muß.
©Peter
Rumpf 2015
peteraloisrumpf@gmail.com
1 Kommentare:
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