Montag, 30. März 2015

106 Längeres Intermezzo


Ich sitze in meinem Cafe. Mein Stammplatz war besetzt. Ich schaue nach Norden, ungefähr nach Norden. Also nicht Richtung Osten zum Fenster hinaus wie sonst, sondern auf die Theke.
Viele Gläser stehen dort und weiter hinten an der Wand, Flaschen, erstaunlich wenige Tassen. Vielleicht sind die auch nur aus meinem Blickwinkel verdeckt. Kaffeemaschine. Die hagere alte Dame rechts neben mir redet die ganze Zeit mit dem Patron und ißt Torte. Ich habe auch Torte gegessen und koffeinfreien Kaffee getrunken. Sie trinkt Kakao. Zumindest hat sie einen bestellt. Ich habe nicht nachgeschaut, ob sie ihn trinkt und ob überhaupt Kakao in ihrer Tasse ist. Genau genommen habe ich auch nicht ihr Trinkgefäß angeschaut – ich denke nur, es ist eine Tasse. Weil sie Kakao bestellt hat.
Solche zarten Menschen! Die Tochter des Hauses. Die Madame. Der Patron. Eine zarte Eidechse aus Draht klettert die Kaffeemaschine hinauf. Draußen regnet es und es ist kalt. Die Zuckerdose schaut mich an und spitzt den Mund. Schritte auf der Treppe.
Die Fotos am Kühlschrank. Ein Narrenstab ist an der Vorderfront der Theke quer hingelegt, aber so, daß er hängt, obwohl er liegt. Rosen. Ansichtskarten. Der Dame rechts ist ein unbenutztes Papiertaschentuch hinuntergefallen. Ich schaue ein paar Sekunden auf das Taschentuch – ich will überprüfen, ob es überhaupt ein Taschentuch ist und ich stelle dabei fest, daß es vermutlich unbenutzt ist. Vorher ist mir einige Sekunden lang noch vorgekommen, was da am Boden liegt wäre eine Hülle für irgendetwas. Sie hebt das Taschentuch wieder auf. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, daß sie es irgendwo hineingibt. Vermutlich in ihre Handtasche. Aber ich bin zu schüchtern um genau hinzuschauen. Ich will nicht unhöflich sein.
Die gelb leuchtende Uhr zeigt Viertel nach Zwölf. Sie leuchtet wirklich schön, in sattem Gelb. Spiegel. Spieglein, Spieglein an den Wänden, passt meine Brille oder schaut sie zu feminin aus? Ein Herr, gerade eingetreten, diskutiert mit Madame, ob die Melange mit oder ohne Schlag gehört. Ein Besserwisser wie ich?
Der andere Herr trinkt Cola. Im Cafe Cola trinken! als Erwachsener! Ein französischer Flic, mit rundem Gesicht, hält die Augen geschlossen und grinst zufrieden. Eine dreifache Spirale dreht sich nach links. Sie müßte sich eigentlich nach rechts drehen. Die Klimaanlage springt an. Viele Kugelschreiber – eine Schere.
War das Cola des Herrn mit Schuß? Er zahlt und ich habe es schlecht gehört. Ja, doch! Denn Madame muß zusammenzählen.
Der rote Faden ist hinter der Schrift, ich sehe nur ein kleines Stück von ihm. Ich will noch eine Melange koffeinfrei bestellen, aber Madame hat sich letztens verhört. Das will ich nicht riskieren. Ich warte auf die Tochter.
Mein Nacken tut nicht mehr weh. Vor zwei Stunden tat er es und ich fühlte es genau: mein Kopf gehört nicht mir. Er wurde mir von Aliens aufgesetzt. Was mit meinem echten Kopf passiert ist – ich weiß es nicht. Eine Kugel im Nacken soll den fremden Kopf festhalten. Der fremde Kopf ist dünkler, größer – obwohl er klein ausschaut, wirkt alt, ist runder, schwerer, innen gelber - fast braun, schwerfälliger als mein echter Kopf. Was mein echter....
Die Kugel im Nacken schaut metallisch aus, aber innen ist sie porös, wie das Innere eines Knochens. Ich kann den Kopf nicht ganz drehen. Die Kugel passt nicht ganz. Daß mir das noch nie aufgefallen ist!
Wer waren diese Aliens, die mir den eigenen Kopf gestohlen haben? Haben sie ihn einfach weggeworfen?
Jetzt steht eine links von mir und einer rechts. Sie zerren an mir. Ich werde ungeduldig und zornig. Laßt mich in Ruhe! Können die keine Tür zumachen? Fünfmal tuscht und kracht es!
Wie gesagt, das war vor zwei Stunden. Jetzt bin ich stark und kämpferisch und habe die Aliens abgeschüttelt. Mein Nacken tut nicht mehr weh.
Aber jetzt tut er wieder weh. Ich drehe den Kopf langsam und vorsichtig. Die Spannung löst sich wieder.
Madame sortiert die von mir gerade sortierten Zeitungen wieder um, mit einem leicht empört klingendem „Ah!“. Gleich werde ich zornig.
Die Zuckerdose starrt mich immer noch an und spitzt ihren Mund. Sie hat sich nicht von der Stelle gerührt.
Unter der runden leuchtenden Uhr sitzt eine runde Frau mit rundem Gesicht. Ob ihr Kopf auch abmontiert wurde und ein fremder aufgesetzt? Jedenfalls ist der jetzige für ihren Körper gut ausgewählt und er kann französisch sprechen. Und hören. Und verstehen. Zumindest scheint es so, denn was da zwischen ihr und der Tochter hin und her geht schaut wie ein echtes Gespräch aus. Ich kann es nicht überprüfen.
Was versteht mein fremder Kopf nicht? Ah! Der rote Faden ist jetzt sichtbar! Eigentlich ist er ein schmales, rotes Band.
Madame kann Gedanken lesen; sie hat die Zuckerdose, die mich angestarrt hat, weggenommen, nach hinten. Strafversetzt? Als Animierzuckerdose nichts erreicht? Nein, auf ihre Kontaktversuche habe ich konsequent nicht reagiert.
Mit festen Schritten stapft die Tochter die Treppe herauf – und tippt etwas ein. Wo tippt sie es ein? Ich kann es nicht sehen. Geheimnisvoll! Sehr geheimnisvoll!
Wo schaue ich hin? Um Himmelswillen! Wo schaue ich hin!
Die Kaffeemaschine dampft und mahlt und zischt und surrt.
Regnet es draußen noch? Der Mann schräg hinter mir hat „ a guate marie“ verdient. „Gott sei dank!“ Ich danke auch, daß ich die Aliens abgeschüttelt habe; ich glaube, mein Kopf gehört doch mir. Zumindest Teile von ihm. Ich würde sogar sagen, der größte Teil.
Die hagere alte Frau neben mir – rechts – hat eine eigenartige Kappe auf. Die wirkt aber aufgesetzt! Wirkt mein Kopf auch aufgesetzt? Ihre Kappe auch von... anderen?
Die blaue Schale direkt vor mir, in Augenhöhe, hat ein schönes Blau.
Der Mann schräg hinter mir hat „Schaas“ gesagt. Die Runde holt sich eine andere Zeitung, die ganze Runde. Ist sie aus einem Stück oder auch teilweise transplantiert?
Dort wo bei Siegfried das Lindenblatt ist, ist bei der Tochter eine Schleife - oder richtiger – das Bild einer Schleife mit Buchstaben.
„Tres jolie“, aber nicht die Schleife. Was, weiß ich nicht. Ich kann die Sprache nicht. Vier Jahre gelernt und kann sie nicht. War das noch mein Kopf, der das gelernt hat, oder schon der fremde? Ich glaube der fremde. Die Transplantation hat sicher schon ganz früh stattgefunden. Vermutlich kann ich mich deswegen nicht so weit zurückerinnern.
Von Zahlen ist die Rede. Ich sollte auch zahlen, und gehen.
Traurig und schwermütig bewegen sich die Scheibenwischer im Spiegel. Der Arbeitsplan ist zur Kenntnis genommen. Der Mann am Steuer weiß, wie es weitergeht; er weiß, wo er seine Last hinbringen muß.


©Peter Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

1 Kommentare:

Am/um 26. November 2019 um 18:19 , Blogger Floor Lola meinte...

Einen wahren Liebeszauber zu finden, war für mich wie ein Albtraum. Ich habe über $ 1570 an verschiedene Zauberwirker gezahlt, die nie funktionieren. Bis ich DrEdede treffe, bitte, wenn Sie nach einem echten und schnellen Liebeszauber suchen, dann ist sie die Antwort Kontaktieren Sie sie jetzt auf. Ededetemple@gmail.com = 2348129175848

 

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