Freitag, 20. März 2015

100 Aktion Wetzawinkel


Es war 1976. Ein guter Freund von mir, Hannes Priesch, studierte an der Kunstakademie in Wien bei Max Weiler Malerei.
Im Sommer war er bei den Internationalen Malerwochen in der Steiermark, die in den Sommerferien in der Landwirtschaftsschule Wetzawinkel bei Gleisdorf stattfanden, eingeladen.
In dieser Schule gab es ein Wandbild von Hubert Tuttner, „das Gedeihen“, auf dem ein bäuerliches Paar kniend dargestellt war, ein blühendes Bäumchen zwischen ihnen, Gottes Hände über der Szene.

Ob stärker politisch oder nicht, im Zeitgeist, auch in der Kunstszene, herrschte ein rebellischer Grundton und so war dieses Wandbild von den Teilnehmern der Malerwochen – in Erinnerung habe ich Alfred Klinkan, Wolfgang Flatz – Anfeindungen ausgesetzt. Es wurde als unmöglich angesehen.

Ende September, Anfang Oktober kam Hannes mich in der „wilden Kommune von Geidorf“ besuchen und redete davon, daß er etwas gegen das Wandbild in Wetzawinkel unternehmen wolle, denn es sei unerträglich. Schließlich habe er ja fünf Wochen unter diesem Bild dort gelebt.
Ob am gleichen Tag oder später weiß ich nicht mehr, jedenfalls erklärte mir Hannes, daß er vorhabe, das Wandbild zu übermalen und fragte mich, ob ich bereit sei, dabei mitzumachen.

Mir hatte die Radikalität von Hannes damals gefallen. Das war etwas Mitreißendes für mich, sein bestimmendes Auftreten beeindruckte mich. Irgendwann zum Beispiel erzählte ich ihm etwas über meinen Vater, vermutlich etwas Entschuldigendes, und seine Antwort beeindruckte mich sehr: „diese Generation unserer Väter mit dem Krieg und so, das ist eine richtige Verhaugeneration!“ Ich bewunderte seinen Mut und seine Selbstsicherheit, mit der er das Urteil unserer Väter über uns einfach umdrehen konnte, während auf mir noch immer deren Verurteilungen lasteten. Das habe ich als befreiend erlebt; ich konnte aufatmen. Er gab mir die Sicherheit, die mir fehlte.

Als Hannes noch in Graz lebte, besuchte ich ihn gern in seinem schwarz ausgemalten Zimmer, wir redeten über Gott und die Welt, er besaß „Thick as a Brick“ von Jethro Tull, die ich ihn fast bei jedem Besuch bat, anhören zu dürfen. Manchmal saß ich nur schweigend da und lauschte der Musik. Wir bildeten damals zusammen mit Alois Neuhold und Martin Brandtner die unabhängige Gruppe „Grünkreis“, die sich gegen die ersatzlose Streichung des Paragraphen 144 einsetzte, der damals die Abtreibung verbot und abgeschafft werden sollte. Uns schwebte irgendwas vor wie Straffreiheit, aber ohne die Abtreibung als solche einfach freizugeben. So genau wußten wir auch nicht, wie so ein Gesetz gestaltet werden kann, aber wir wollten unser Unbehagen artikulieren. (Ich selber war mir aber auch in diesem Engagement nicht ganz sicher gewesen, ich wußte damals noch nicht, daß auch meine Mutter abgetrieben hatte, aber unbewußt werde ich gespürt haben, daß mir die Problematik näher war, als ich es mir bewußt machen konnte.) Das war etwa so 1974, wir waren „popmäßig“ unterwegs, mit langen Haaren und von unserem Aussehen her wurden wir eher der anderen Seite zugerechnet. Wir investierten viel Zeit und viel von unserem Geld in diese Aktion – ich kann sagen, daß ich damit meinem Studium den ersten Todesstoß versetzte und mein ganzes Geld hergeben hatte – und bald gab es ziemliche Spannungen in der Gruppe, wo es hauptsächlich um Entscheidungsfindungen und Abmachungen ging – oder darum, wer dominiert. Mein Problem war nicht das Dominieren – ich habe immer gerne die Assistentenrolle eingenommen – sondern wem von den Kontrahenten ich folgen will. Wir arbeiteten wirklich praktisch Tag und Nacht, sicher viel Zeit in sinnlosen Diskussionen und Aktionen verplempernd, und unter diesen Spannungen verlief unser Engagement auch bald im Sand und Hannes übersiedelte nach Wien, um bei Weiler zu studieren während ich aufgehört hatte, Vorlesungen zu besuchen und anfing, mich in der Mensa den Linken zu nähern. Das als kleiner Einblick in unsere Welt.

Also jetzt, im Herbst 1976 fragte mich Hannes, ob ich bei seiner Wetzawinkler Aktion mitmachen wolle. Ich hatte noch nie etwas mit Kunst zu tun und so zögerte ich. Hannes betonte, daß ich natürlich ein Künstler sei und er froh wäre, wenn ich dabei bin, aber auch, daß seine Aktion nicht von meiner Teilnahme abhängig sei, sondern er sie auch alleine durchziehen würde.

Nachdem ich meine Rolle eher als dokumentierend, assistierend definiert hatte, sagte ich zu. Noch hatte ich Bedenken wegen meiner linken Genossen – Kunstaktion? Ist das überhaupt was G'scheites? Ich befürchtete solche Reaktionen, aber beruhigte mich, schließlich konnte ich diese Übermalung als „antifaschistisch“ deklarieren, noch dazu als gegen den „Klerikofaschismus“ gerichtet, das geht sicher durch. Hannes brauchte keine solchen Polit-Rechtfertigungen, er war sich aus seinem Kunst- und Menschenverständnis heraus sicher.
Ich erlebte es als etwas Tolles, mich letztlich über alle Bedenken, auch meine eigenen, einfach hinwegzusetzen.

Wir beide vereinbarten strikte Geheimhaltung, auch den Mitbewohnern in der WG gegenüber, die sich wunderten und fragten, was wir da vorhaben könnten. Wir begannen mit den Vorbereitungen und besorgten Farben, Pinsel, Gips, Spachteln, Hammer, Stemmeisen, sonstiges Werkzeug, Schnüre und Spagate, Speck, Brot, eine Siebenzehntel-Flasche Wein, Kassettenrekorder, Musikkassetten, Papier und Schreibzeug und... ich weiß nicht mehr was alles. Wir verstauten alles in Reisetaschen.

Aufgeregt und gefaßt gleichzeitig nahmen wir den letzten Bus nach Wetzawinkel. Wir stiegen aus, wir gingen mit unseren Reisetaschen zur Schule und suchten eine offene Tür. Wir waren erleichtert, als wir eine offene Tür fanden, sonst hätten wir eine einschlagen müssen. Wir gingen hinein, machten die Vorhänge zu, drehten das Licht auf, bereiteten alles vor, breiteten uns aus, stärkten uns, drehten die Musik auf und nahmen so Anlauf für unsere Aktion. Damit es kein Mißverständnis gibt: das war keine besoffene Aktion, wir tranken gemeinsam die Siebenzehntelliter-Flasche Wein im Laufe der ganzen Nacht aus.

Im Protokoll liest sich das so (ich gebe genau die Vorlage wieder):

Graz/Gleisdorf         5.10.76
PROTOKOLL ZUR AKTION WETZAWINKEL
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Hannes Priesch, Teilnehmer der 11. Internationalen Malerwochen der Steiermark, wohnte 5 Wochen in der landwirtschaftlichen Schule Wetzawinkel.

Über dieses Haus: Der Geist, der diesem Haus ausströmt (Architektur), manifestiert sich in dem Wandbild (besser: Wand-“bild“ - Fresko). Eine sterile, fantasielose „Ordnung“ schränkt jede Kreativität ein und macht den Menschen, der darin wohnt, zu einem „Sklaven des Hauses“, denn er kann den Gängen, dem Gong, der automatischen Entlüftung, der einschränkenden Sauberkeit (man hat Angst, Schmutz zu machen) nicht entrinnen.
Peter Rumpf, befreundet mit ersterem, erklärte sich nach Anhören der Argumente bereit, an der geplanten Aktion teilzunehmen. Wir besprachen unsere Arbeit: Hannes wird in erster Linie aus dem Wand-“bild“ ein Wandbild machen, Peter in erster Linie Raumgestaltung, Dokumentation und Protokoll übernehmen.

Das Haus ist ein Objekt des Landes Steiermark,, den Auftrag für das Wand-“bild“ hat also das Land Steiermark erteilt.


ABLAUF DER AKTION

Schwer beladen schleppen wir uns durch Graz: 18,30 Uhr
Einstieg in den Autobus: 20,30 Uhr.
In der Zwischenzeit letzte Vorbereitungen.
Aussteigen in Wetzawinkel: ca 21,25 Uhr
Das Haus durch die offenstehende Türe im Fernsehraum um 21,35 uhr betreten.
Marsch durch den langen Gang: 21,35 – 21,40 Uhr
Wir verdunkeln das Haus. Gong, Wegschieben der Blumen vom Wand-“bild“, umkleiden. Wir machen es uns bequem, Tische werden verschoben, die Jause ausgepackt. Kerzen werden angezündet.
Wir beginnen zuerst den bisherigen Verlauf zu protokolieren, dann zu essen: 22,21 Uhr. Salz vom Land Steiermark ausgeborgt: Essen als Kunst. Fotographische Vorbereitungen. Fotographieren.

MALBEGINN: 23,13 Uhr

Ebenso Beginn der Raumgestaltung. Weiters Stemm und Gipsarbeiten.

MALKUNST – STEMMKUNST (Stukturierung) – SCHNUR / SPANN / RAUMKUNST – ESSKUNST – GIPSKUNST _ FOTOGRAPHIERKUNST .
    6. 10. 1976

o,59 Uhr bis 1,20 Kaffeepause.

Die Arbeit geht weiter! Uns wird bewußt, daß Kreativität sich in allen Lebensbereichen zeigen muß.
3,03 Uhr Schenkungsurkunde an das Land Steiermark fertiggestellt.
3,20 Uhr Wandbild fertiggestellt.
3,30 – 3,35 Verhängen von Fotos mit Klopapier.
3,40 Uhr Zeitungspapier verstreut, dann zu einem a gelegt.
Für Reinigungsarbeiten (an das Personal) hinterlassen wir in einem wießen Kuvert 500 (Fünfhundert) Schilling, und befestigen es an de Türe zum Speisesaal.
3,46 beschließen wir das Protokoll.

DIE MOTIVATION ZU DIESER AKTION IST AUSSCHLIESSLICH IN UNSERER
LEBENSBEJAHENDEN HALTUNG ZU SUCHEN.

(Ende des Protokolls; mit allen Fehlern wiedergegeben)

Diese Aktion war in unserem Selbstverständnis also eine positive, lebensbejahende Tat. Wir verfaßten auch eine Schenkungsurkunde an des Land Steiermark, in der wir unser Werk dem Land Steiermark schenkten und übereigneten und das wir beide mit unseren echten Namen unterschrieben. Ob wir tatsächlich eine kleine Reiseschreibmaschine mit hatten und auch das Protokoll unserer Aktion schon dort unterschrieben hinterlegt haben, weiß ich nicht mehr sicher, ich glaube schon.

Aber als wir am frühen Morgen dann mit unseren Reisetaschen im ersten Pendlerzug von Gleisdorf nach Graz fuhren, und wir – müde, aber euphorisch aus unserer Kunstaktionsarbeit kommend – dem „normalen“ arbeitenden Volk begegneten, das sich still vor sich hin sinnierend oder durch Scherze und Geplauder aufputschend dem kommenden Arbeitstag zu stellen versuchte, da wurde uns kurz etwas mulmig bei dem Gedanken, was passieren würde, wenn die wüßten, was wir gerade gemacht hatten.

Die Aktion wurde vom Land Steiermark lange geheim gehalten und zu vertuschen versucht, weil die Landesregierung und einige der Kunstzuständigen um den bereits schon stark angefeindeten Steierischen Herbst fürchteten, bis sie doch durchsickerte und die Medien Wind davon bekamen. Unsere Aktion hat in und um Gleisdorf mehrheitlich Entsetzten und Abscheu ausgelöst – viele kannten ja Prof. Mag. Art. Hubert Tuttner, der in der Region lebte, persönlich – und so hat zum Beispiel die Putzfrau unsere ihr für den Mehraufwand an Arbeit zugedachten Fünfhundert Schilling nicht angenommen.

Wir selber haben nach unserer Aktion nichts getan, um sie bekannt zu machen oder sie zu propagieren, im Gegenteil, wir sind nach unserer Tat sozusagen vom Geschehen zurückgetreten und haben den Dingen ihren Lauf gelassen. Nur in unserem persönlichen Umfeld, meinen WG-Genossen etwa, erzählten wir davon.
Dann war es in den Medien, die Zeitungen schrieben darüber. Nebenbei erzählt: meiner Mutter bereitete ich damit den Schock ihres Lebens. Die Nachbarin sagte ihr, daß über Peter etwas in der Zeitung steht, das sie es aber nicht ganz versteht, und meine Mutter ging stolz zu ihr, das anzuschauen, in ihrer Phantasie sich etwas Tolles ausmalend, und war geschockt, von einem Verbrechen zu lesen. Wahrscheinlich war das dann erst der Artikel über den Prozeß. Sie hat das, was sie da jetzt durchmachen mußte, verglichen mit der Situation, als ihr bewunderter älterer Bruder „nach dem Krieg“ als Nazitäter im Gefängnis war.

Von unserer Aktion wurde nur in den steirischen Medien berichtet. Ein Galerist bot Hannes sofort seine Zusammenarbeit an, aber Hannes lehnte ab. Wir waren Idealisten und wollten keinen Gewinn daraus ziehen, wie uns manche Medien unterstellten. Also in dem Punkt war unsere Aktion unverdorben, wenn auch durch ihre Definition als Kunstaktion nicht als „normale“ kriminelle Handlung angesehen. Das war sie auch nicht.

Prof. Wilfried Skreiner, damals Universitätsprofessor und Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum in Graz, Mitglied des Kuratoriums bzw. des Direktoriums des steirischen herbstes, also eine gewichtige Stimme in der steirischen Kunstszene, hatte ein Gutachten oder Statement abgegeben, daß das neue Bild besser sei als das vorherige.

Vor Gericht kam ich dann gehörig ins Schwimmen und außer dem Satz „Die Atmosphäre dieser Aktion war irrsinnig klaß!“ brachte ich nicht viel heraus. Was auch? Es war ja klar, daß das eine Straftat war.
Unser Rechtsanwalt wollte noch den Vergleich anstellen, unsere Aktion sei so, wie wenn einer beim Auto eines anderen heimlich in der Nacht dessen abgefahrene Reifen gegen neue austauscht. Hannes hat noch die Überlegung eingebracht – ob vor Gericht oder in den unzähligen Diskussionen in unserem Umfeld weiß ich nicht mehr – daß alle Paradigmenwechsel in der Geschichte der Kunst, zum Beispiel von der Gotik zur Renaissance, mit Überarbeitungen einhergingen, besonders im öffentlichen Raum.

Wir wurden zu einer Strafe von hundert Tagessätzen und zur Zahlung von 100.000,- Schilling plus 4% Zinsen und Prozeßkosten zur ungeteilten Hand verurteilt. Wobei ironischerweise das geschädigte Land Steiermark zum Teil Bilder von Hannes als Bezahlung annahm. Aber auch in Schilling hatten wir einiges zu bezahlen.

Während des Prozeßes haben wir versucht, unsere Aktion einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen und auch in österreichweiten Medien publik zu machen, wie dachten da zum Beispiel an das Neue Forum, aber als wir damit bei Nenning aufkreuzten, konnte der mit so einer Kunstaktion nichts anfangen – ich hatte den Eindruck, die Linken konnten überhaupt nichts wahrnehmen oder auf etwas einsteigen, was nicht mit eindeutigen Politetikettierungen beschriftet war, unsere Aktion war für sie zu künstlerisch, zu „poetisch“, wenn ich das so sagen darf, und hatte in der Provinz stattgefunden.
Hannes machte noch den Vorschlag, dieses unser Bild zur weiteren Überarbeitung – etwa durch die Bewohner des Internats der Schule – freizugeben, aber nachdem das Wandbild jahrelang verhängt war, wurde es entfernt und meines Wissens einfach die weiße Wand belassen.

Interessant auch die Geschichte meiner ersten Einvernahme, die ich hier noch nachtragen will.
Ich war ins Polizeikommissariat Paulustorgasse in Graz bestellt und der Gendarm aus Gleisdorf, der mich einvernehmen sollte, war noch nicht da. Er verspätete sich und ich wartete dort lange, bis er endlich hereinkam. Er war tatsächlich mit dem Moped von Gleisdorf nach Graz gefahren und es gab dabei irgendwelche technischen Probleme mit dem Moped.
Der Polizist, der hier residierte, machte sich sogleich über den Gendarmen und sein Fahrzeug lustig. Vor mir stichelte er arrogant aus seiner überlegenen Position als Stadtpolizist gegen den Gendarmen vom Land. Mir war das unangenehm und ich übersah die Bloßstellung, grinste nicht, lachte nicht und ich glaube, der Gendarm war mir dafür dankbar.
Als sich der Gendarm an mich wandte und sich für die Verspätung entschuldigte, ließ ich mir nicht anmerken, was ich gerade miterlebt hatte, und war – genauso wie er – sehr höflich.

Die Einvernahme verlief fair. Ich wollte ja auch nichts verbergen und stand zu meiner Tat. Der Gendarm erzählte mir, daß sie lange nicht gewußt haben, wer ich sei. Zwar hatte auch ich die Schenkungsurkunde an des Land Steiermark mit vollem Namen unterschrieben, aber in der Kunstszene war ich unbekannt und so wurde vermutet, es verberge sich ein anderer Teilnehmer der Malerwochen hinter diesem Namen, etwa Wolfgang Flatz, der von jemandem aus der Szene - in der Vermutung, das sei sein Pseudonym - als Herr Rumpf angesprochen wurde. Also suchten sie lange in der falschen Ecke. Ich sagte noch: „wenn ich das bedacht hätte, hätte ich Adresse und Geburtsdatum dazu geschrieben!“

In diesem Spannungsfeld Demut bis zur Unterwürfigkeit, hinter der sich aber auch echte Sensibilität verbarg, einerseits, und an Hannes Priesch angelehntem Größenwahn andererseits stand ich damals.

Und heute? Wie denke ich heute über unsere Aktion?
Das ist für mich gar nicht so leicht zu sagen. Es hat Zeiten gegeben, wo ich sie eindeutig bereut habe. Jetzt im Moment ist das nicht so klar. Sicher, ich würde das nicht mehr machen, aber als Erfahrung will ich dieses Erlebnis nicht aufgeben. (Wie sich die Kriegsgeneration ihre Erlebnisse nicht in Frage stellen lassen will?)
Wenn ich das Protokoll lese, fällt mir auf, wieviel „Amtssprache“ darin enthalten ist; das war zwar auch Ironie, aber versteckt sich hinter Ironie nicht oft etwas Verleugnetes? Das Protokollschreiben hatte mir Sicherheit gegeben in meiner Unsicherheit, wie bei einem jeden Bürokraten. Und die gefährlichen Seiten des „Idealismus“ sind hinreichend beschrieben, unter welcher Flagge er auch immer auftritt.
Wenn ich von unserer Aktion erzählt habe, dann manchmal mit Lachen und Kopfschütteln, nicht ohne Stolz, mich das getraut zu haben, Zustimmung erheischend, wie über einen Jugendstreich (oder doch  wie unsere Vätergeneration über ihre Jugenderlebnisse im Krieg?), dann wieder wie von einer starken, „klaßen“, berechtigten, fortschrittlichen Tat.
Ich glaube nicht, daß das die Tat eines freien Mannes war, höchstens eines jungen, schüchternen Menschen, der sich von seiner Bedrückung befreien will. Und nochmals, heute würde ich das nicht mehr tun.
Übergriff bleibt Übergriff und es steckt Gewalt in dieser Aktion. Beinahe schlecht geworden ist mir, als ich jetzt beim Schreiben dieses Textes im Internet Hubert Tuttner recherchiert habe und auf Seiten gestoßen bin, wo von ihm erzählt wird, seine Bilder gezeigt werden, wo seine Tochter von ihrem Vater erzählt – ich glaube, da ist mir zum erstenmal wirklich nahegekommen, wie sehr wir einen konkreten Menschen verletzt haben. Deswegen wurde mir übel. Das spricht nicht gerade für unsere Aktion.

Das war aber nicht die letzte Aktion, die ich mit Hannes durchführte, die anderen waren jedoch nicht problematisch, aber das ist eine andere Geschichte.



©Peter Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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