100 Aktion Wetzawinkel
Es war 1976. Ein guter Freund von mir,
Hannes Priesch, studierte an der Kunstakademie in Wien bei Max Weiler
Malerei.
Im Sommer war er bei den
Internationalen Malerwochen in der Steiermark, die in den
Sommerferien in der Landwirtschaftsschule Wetzawinkel bei Gleisdorf
stattfanden, eingeladen.
In dieser Schule gab es ein Wandbild
von Hubert Tuttner, „das Gedeihen“, auf dem ein bäuerliches Paar
kniend dargestellt war, ein blühendes Bäumchen zwischen ihnen,
Gottes Hände über der Szene.
Ob stärker politisch oder nicht, im
Zeitgeist, auch in der Kunstszene, herrschte ein rebellischer
Grundton und so war dieses Wandbild von den Teilnehmern der
Malerwochen – in Erinnerung habe ich Alfred Klinkan, Wolfgang
Flatz – Anfeindungen ausgesetzt. Es wurde als unmöglich angesehen.
Ende September, Anfang Oktober kam
Hannes mich in der „wilden Kommune von Geidorf“ besuchen und
redete davon, daß er etwas gegen das Wandbild in Wetzawinkel
unternehmen wolle, denn es sei unerträglich. Schließlich habe er ja
fünf Wochen unter diesem Bild dort gelebt.
Ob am gleichen Tag oder später weiß
ich nicht mehr, jedenfalls erklärte mir Hannes, daß er vorhabe, das
Wandbild zu übermalen und fragte mich, ob ich bereit sei, dabei
mitzumachen.
Mir hatte die Radikalität von Hannes
damals gefallen. Das war etwas Mitreißendes für mich, sein
bestimmendes Auftreten beeindruckte mich. Irgendwann zum Beispiel
erzählte ich ihm etwas über meinen Vater, vermutlich etwas
Entschuldigendes, und seine Antwort beeindruckte mich sehr: „diese
Generation unserer Väter mit dem Krieg und so, das ist eine richtige
Verhaugeneration!“ Ich bewunderte seinen Mut und seine
Selbstsicherheit, mit der er das Urteil unserer Väter über uns
einfach umdrehen konnte, während auf mir noch immer deren
Verurteilungen lasteten. Das habe ich als befreiend erlebt; ich konnte
aufatmen. Er gab mir die Sicherheit, die mir fehlte.
Als Hannes noch in Graz lebte, besuchte
ich ihn gern in seinem schwarz ausgemalten Zimmer, wir redeten über
Gott und die Welt, er besaß „Thick as a Brick“ von Jethro Tull,
die ich ihn fast bei jedem Besuch bat, anhören zu dürfen. Manchmal
saß ich nur schweigend da und lauschte der Musik. Wir bildeten
damals zusammen mit Alois Neuhold und Martin Brandtner die
unabhängige Gruppe „Grünkreis“, die sich gegen die ersatzlose
Streichung des Paragraphen 144 einsetzte, der damals die Abtreibung
verbot und abgeschafft werden sollte. Uns schwebte irgendwas vor wie
Straffreiheit, aber ohne die Abtreibung als solche einfach
freizugeben. So genau wußten wir auch nicht, wie so ein Gesetz
gestaltet werden kann, aber wir wollten unser Unbehagen artikulieren.
(Ich selber war mir aber auch in diesem Engagement nicht ganz sicher
gewesen, ich wußte damals noch nicht, daß auch meine Mutter
abgetrieben hatte, aber unbewußt werde ich gespürt haben, daß mir
die Problematik näher war, als ich es mir bewußt machen konnte.)
Das war etwa so 1974, wir waren „popmäßig“ unterwegs, mit
langen Haaren und von unserem Aussehen her wurden wir eher der
anderen Seite zugerechnet. Wir investierten viel Zeit und viel von
unserem Geld in diese Aktion – ich kann sagen, daß ich damit
meinem Studium den ersten Todesstoß versetzte und mein ganzes Geld
hergeben hatte – und bald gab es ziemliche Spannungen in der
Gruppe, wo es hauptsächlich um Entscheidungsfindungen und
Abmachungen ging – oder darum, wer dominiert. Mein Problem war
nicht das Dominieren – ich habe immer gerne die Assistentenrolle
eingenommen – sondern wem von den Kontrahenten ich folgen will. Wir
arbeiteten wirklich praktisch Tag und Nacht, sicher viel Zeit in
sinnlosen Diskussionen und Aktionen verplempernd, und unter diesen
Spannungen verlief unser Engagement auch bald im Sand und Hannes
übersiedelte nach Wien, um bei Weiler zu studieren während ich
aufgehört hatte, Vorlesungen zu besuchen und anfing, mich in der
Mensa den Linken zu nähern. Das als kleiner Einblick in unsere
Welt.
Also jetzt, im Herbst 1976 fragte mich
Hannes, ob ich bei seiner Wetzawinkler Aktion mitmachen wolle. Ich
hatte noch nie etwas mit Kunst zu tun und so zögerte ich. Hannes
betonte, daß ich natürlich ein Künstler sei und er froh wäre,
wenn ich dabei bin, aber auch, daß seine Aktion nicht von meiner
Teilnahme abhängig sei, sondern er sie auch alleine durchziehen
würde.
Nachdem ich meine Rolle eher als
dokumentierend, assistierend definiert hatte, sagte ich zu. Noch
hatte ich Bedenken wegen meiner linken Genossen – Kunstaktion? Ist
das überhaupt was G'scheites? Ich befürchtete solche Reaktionen,
aber beruhigte mich, schließlich konnte ich diese Übermalung als
„antifaschistisch“ deklarieren, noch dazu als gegen den
„Klerikofaschismus“ gerichtet, das geht sicher durch. Hannes brauchte
keine solchen Polit-Rechtfertigungen, er war sich aus seinem Kunst-
und Menschenverständnis heraus sicher.
Ich erlebte es als etwas Tolles, mich letztlich über alle Bedenken, auch meine eigenen, einfach hinwegzusetzen.
Ich erlebte es als etwas Tolles, mich letztlich über alle Bedenken, auch meine eigenen, einfach hinwegzusetzen.
Wir beide vereinbarten strikte
Geheimhaltung, auch den Mitbewohnern in der WG gegenüber, die sich
wunderten und fragten, was wir da vorhaben könnten. Wir begannen mit
den Vorbereitungen und besorgten Farben, Pinsel, Gips, Spachteln,
Hammer, Stemmeisen, sonstiges Werkzeug, Schnüre und Spagate, Speck,
Brot, eine Siebenzehntel-Flasche Wein, Kassettenrekorder,
Musikkassetten, Papier und Schreibzeug und... ich weiß nicht mehr
was alles. Wir verstauten alles in Reisetaschen.
Aufgeregt und gefaßt gleichzeitig
nahmen wir den letzten Bus nach Wetzawinkel. Wir stiegen aus, wir
gingen mit unseren Reisetaschen zur Schule und suchten eine offene
Tür. Wir waren erleichtert, als wir eine offene Tür fanden, sonst
hätten wir eine einschlagen müssen. Wir gingen hinein, machten die
Vorhänge zu, drehten das Licht auf, bereiteten alles vor, breiteten
uns aus, stärkten uns, drehten die Musik auf und nahmen so Anlauf
für unsere Aktion. Damit es kein Mißverständnis gibt: das war
keine besoffene Aktion, wir tranken gemeinsam die
Siebenzehntelliter-Flasche Wein im Laufe der ganzen Nacht aus.
Im Protokoll liest sich das so (ich
gebe genau die Vorlage wieder):
Graz/Gleisdorf 5.10.76
PROTOKOLL ZUR AKTION WETZAWINKEL
===================================
Hannes Priesch, Teilnehmer der 11.
Internationalen Malerwochen der Steiermark, wohnte 5 Wochen in der
landwirtschaftlichen Schule Wetzawinkel.
Über dieses Haus: Der Geist, der
diesem Haus ausströmt (Architektur), manifestiert sich in dem
Wandbild (besser: Wand-“bild“ - Fresko). Eine sterile,
fantasielose „Ordnung“ schränkt jede Kreativität ein und macht
den Menschen, der darin wohnt, zu einem „Sklaven des Hauses“,
denn er kann den Gängen, dem Gong, der automatischen Entlüftung,
der einschränkenden Sauberkeit (man hat Angst, Schmutz zu machen)
nicht entrinnen.
Peter Rumpf, befreundet mit ersterem,
erklärte sich nach Anhören der Argumente bereit, an der geplanten
Aktion teilzunehmen. Wir besprachen unsere Arbeit: Hannes wird in
erster Linie aus dem Wand-“bild“ ein Wandbild machen, Peter in
erster Linie Raumgestaltung, Dokumentation und Protokoll übernehmen.
Das Haus ist ein Objekt des Landes
Steiermark,, den Auftrag für das Wand-“bild“ hat also das Land
Steiermark erteilt.
ABLAUF DER AKTION
Schwer beladen schleppen wir uns durch
Graz: 18,30 Uhr
Einstieg in den Autobus: 20,30 Uhr.
In der Zwischenzeit letzte
Vorbereitungen.
Aussteigen in Wetzawinkel: ca 21,25 Uhr
Das Haus durch die offenstehende Türe
im Fernsehraum um 21,35 uhr betreten.
Marsch durch den langen Gang: 21,35 –
21,40 Uhr
Wir verdunkeln das Haus. Gong,
Wegschieben der Blumen vom Wand-“bild“, umkleiden. Wir machen es
uns bequem, Tische werden verschoben, die Jause ausgepackt. Kerzen
werden angezündet.
Wir beginnen zuerst den bisherigen
Verlauf zu protokolieren, dann zu essen: 22,21 Uhr. Salz vom Land
Steiermark ausgeborgt: Essen als Kunst. Fotographische
Vorbereitungen. Fotographieren.
MALBEGINN: 23,13 Uhr
Ebenso Beginn der Raumgestaltung.
Weiters Stemm und Gipsarbeiten.
MALKUNST – STEMMKUNST (Stukturierung)
– SCHNUR / SPANN / RAUMKUNST – ESSKUNST – GIPSKUNST _
FOTOGRAPHIERKUNST .
6. 10. 1976
o,59 Uhr bis 1,20 Kaffeepause.
Die Arbeit geht weiter! Uns wird bewußt, daß Kreativität sich in
allen Lebensbereichen zeigen muß.
3,03 Uhr Schenkungsurkunde an das Land Steiermark fertiggestellt.
3,20 Uhr Wandbild fertiggestellt.
3,30 – 3,35 Verhängen von Fotos mit Klopapier.
3,40 Uhr Zeitungspapier verstreut, dann zu einem a gelegt.
Für Reinigungsarbeiten (an das Personal) hinterlassen wir in einem
wießen Kuvert 500 (Fünfhundert) Schilling, und befestigen es an de
Türe zum Speisesaal.
3,46 beschließen wir das Protokoll.
DIE MOTIVATION ZU DIESER AKTION IST AUSSCHLIESSLICH IN UNSERER
LEBENSBEJAHENDEN HALTUNG ZU SUCHEN.
(Ende des Protokolls; mit allen Fehlern
wiedergegeben)
Diese Aktion war in unserem
Selbstverständnis also eine positive, lebensbejahende Tat. Wir
verfaßten auch eine Schenkungsurkunde an des Land Steiermark, in der
wir unser Werk dem Land Steiermark schenkten und übereigneten und
das wir beide mit unseren echten Namen unterschrieben. Ob wir
tatsächlich eine kleine Reiseschreibmaschine mit hatten und auch das
Protokoll unserer Aktion schon dort unterschrieben hinterlegt haben,
weiß ich nicht mehr sicher, ich glaube schon.
Aber als wir am frühen Morgen dann
mit unseren Reisetaschen im ersten Pendlerzug von Gleisdorf nach
Graz fuhren, und wir – müde, aber euphorisch aus unserer
Kunstaktionsarbeit kommend – dem „normalen“ arbeitenden Volk
begegneten, das sich still vor sich hin sinnierend oder durch Scherze
und Geplauder aufputschend dem kommenden Arbeitstag zu stellen
versuchte, da wurde uns kurz etwas mulmig bei dem Gedanken, was
passieren würde, wenn die wüßten, was wir gerade gemacht hatten.
Die Aktion wurde vom Land Steiermark
lange geheim gehalten und zu vertuschen versucht, weil die Landesregierung und einige der Kunstzuständigen um den
bereits schon stark angefeindeten Steierischen Herbst fürchteten, bis sie doch durchsickerte und die Medien Wind davon bekamen. Unsere
Aktion hat in und um Gleisdorf mehrheitlich Entsetzten und Abscheu
ausgelöst – viele kannten ja Prof. Mag. Art. Hubert Tuttner, der
in der Region lebte, persönlich – und so hat zum Beispiel die
Putzfrau unsere ihr für den Mehraufwand an Arbeit zugedachten
Fünfhundert Schilling nicht angenommen.
Wir selber haben nach unserer Aktion
nichts getan, um sie bekannt zu machen oder sie zu propagieren, im
Gegenteil, wir sind nach unserer Tat sozusagen vom Geschehen
zurückgetreten und haben den Dingen ihren Lauf gelassen. Nur in
unserem persönlichen Umfeld, meinen WG-Genossen etwa, erzählten wir
davon.
Dann war es in den Medien, die
Zeitungen schrieben darüber. Nebenbei erzählt: meiner Mutter
bereitete ich damit den Schock ihres Lebens. Die Nachbarin sagte ihr,
daß über Peter etwas in der Zeitung steht, das sie es aber nicht
ganz versteht, und meine Mutter ging stolz zu ihr, das anzuschauen,
in ihrer Phantasie sich etwas Tolles ausmalend, und war
geschockt, von einem Verbrechen zu lesen. Wahrscheinlich war das dann
erst der Artikel über den Prozeß. Sie hat das, was sie da jetzt
durchmachen mußte, verglichen mit der Situation, als ihr bewunderter älterer
Bruder „nach dem Krieg“ als Nazitäter im Gefängnis war.
Von unserer Aktion wurde nur in den
steirischen Medien berichtet. Ein Galerist bot Hannes sofort seine
Zusammenarbeit an, aber Hannes lehnte ab. Wir waren Idealisten und
wollten keinen Gewinn daraus ziehen, wie uns manche Medien
unterstellten. Also in dem
Punkt war unsere Aktion unverdorben, wenn auch durch ihre Definition
als Kunstaktion nicht als „normale“ kriminelle Handlung
angesehen. Das war sie auch nicht.
Prof.
Wilfried Skreiner, damals Universitätsprofessor
und Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum
in Graz, Mitglied des Kuratoriums bzw.
des Direktoriums des steirischen herbstes, also eine
gewichtige Stimme in der steirischen Kunstszene, hatte ein Gutachten
oder Statement abgegeben, daß das neue Bild besser sei als das
vorherige.
Vor Gericht kam ich
dann gehörig ins Schwimmen und außer dem Satz „Die Atmosphäre
dieser Aktion war irrsinnig klaß!“ brachte ich nicht viel heraus.
Was auch? Es war ja klar, daß das eine Straftat war.
Unser Rechtsanwalt
wollte noch den Vergleich anstellen, unsere Aktion sei so, wie wenn
einer beim Auto eines anderen heimlich in der Nacht dessen
abgefahrene Reifen gegen neue austauscht. Hannes hat noch die
Überlegung eingebracht – ob vor Gericht oder in den unzähligen
Diskussionen in unserem Umfeld weiß ich nicht mehr – daß alle
Paradigmenwechsel in der Geschichte der Kunst, zum Beispiel von der
Gotik zur Renaissance, mit Überarbeitungen einhergingen, besonders
im öffentlichen Raum.
Wir wurden zu einer
Strafe von hundert Tagessätzen und zur Zahlung von 100.000,-
Schilling plus 4% Zinsen und Prozeßkosten zur ungeteilten Hand
verurteilt. Wobei ironischerweise das geschädigte Land Steiermark
zum Teil Bilder von Hannes als Bezahlung annahm. Aber auch in
Schilling hatten wir einiges zu bezahlen.
Während
des Prozeßes haben wir versucht, unsere Aktion einer breiteren
Öffentlichkeit bekannt zu machen und auch in österreichweiten
Medien publik zu machen, wie dachten da zum Beispiel an das Neue
Forum, aber als wir damit bei Nenning aufkreuzten, konnte der mit so
einer Kunstaktion nichts anfangen – ich hatte den Eindruck, die
Linken konnten überhaupt nichts wahrnehmen oder auf etwas
einsteigen, was nicht mit eindeutigen Politetikettierungen
beschriftet war, unsere Aktion war für sie zu künstlerisch, zu
„poetisch“, wenn ich das so sagen darf, und hatte in der Provinz
stattgefunden.
Hannes
machte noch den Vorschlag, dieses unser Bild zur weiteren
Überarbeitung – etwa durch die Bewohner des Internats der Schule –
freizugeben, aber nachdem das Wandbild jahrelang verhängt war, wurde
es entfernt und meines Wissens einfach die weiße Wand belassen.
Interessant auch
die Geschichte meiner ersten Einvernahme, die ich hier noch
nachtragen will.
Ich war ins
Polizeikommissariat Paulustorgasse in Graz bestellt und der Gendarm
aus Gleisdorf, der mich einvernehmen sollte, war noch nicht da. Er
verspätete sich und ich wartete dort lange, bis er endlich
hereinkam. Er war tatsächlich mit dem Moped von Gleisdorf nach Graz
gefahren und es gab dabei irgendwelche technischen Probleme mit dem
Moped.
Der Polizist, der
hier residierte, machte sich sogleich über den Gendarmen und sein
Fahrzeug lustig. Vor mir stichelte er arrogant aus seiner überlegenen
Position als Stadtpolizist gegen den Gendarmen vom Land. Mir war das
unangenehm und ich übersah die Bloßstellung, grinste nicht, lachte
nicht und ich glaube, der Gendarm war mir dafür dankbar.
Als sich der
Gendarm an mich wandte und sich für die Verspätung entschuldigte,
ließ ich mir nicht anmerken, was ich gerade miterlebt hatte, und war
– genauso wie er – sehr höflich.
Die Einvernahme
verlief fair. Ich wollte ja auch nichts verbergen und stand zu
meiner Tat. Der Gendarm erzählte mir, daß sie lange nicht gewußt
haben, wer ich sei. Zwar hatte auch ich die Schenkungsurkunde an des
Land Steiermark mit vollem Namen unterschrieben, aber in der
Kunstszene war ich unbekannt und so wurde vermutet, es verberge sich
ein anderer Teilnehmer der Malerwochen hinter diesem Namen, etwa
Wolfgang Flatz, der von jemandem aus der Szene - in der Vermutung,
das sei sein Pseudonym - als Herr Rumpf angesprochen wurde. Also
suchten sie lange in der falschen Ecke. Ich sagte noch: „wenn ich
das bedacht hätte, hätte ich Adresse und Geburtsdatum dazu
geschrieben!“
In diesem
Spannungsfeld Demut bis zur Unterwürfigkeit, hinter der sich aber
auch echte Sensibilität verbarg, einerseits, und an Hannes Priesch
angelehntem Größenwahn andererseits stand ich damals.
Und heute? Wie
denke ich heute über unsere Aktion?
Das ist für mich
gar nicht so leicht zu sagen. Es hat Zeiten gegeben, wo ich sie
eindeutig bereut habe. Jetzt im Moment ist das nicht so klar. Sicher,
ich würde das nicht mehr machen, aber als Erfahrung will ich dieses
Erlebnis nicht aufgeben. (Wie sich die Kriegsgeneration ihre Erlebnisse nicht in Frage stellen lassen will?)
Wenn ich das
Protokoll lese, fällt mir auf, wieviel „Amtssprache“ darin
enthalten ist; das war zwar auch Ironie, aber versteckt sich hinter
Ironie nicht oft etwas Verleugnetes? Das Protokollschreiben hatte mir Sicherheit gegeben in meiner Unsicherheit, wie bei einem jeden Bürokraten. Und die gefährlichen Seiten des
„Idealismus“ sind hinreichend beschrieben, unter welcher Flagge
er auch immer auftritt.
Wenn ich von
unserer Aktion erzählt habe, dann manchmal mit Lachen und
Kopfschütteln, nicht ohne Stolz, mich das getraut zu haben,
Zustimmung erheischend, wie über einen Jugendstreich (oder doch wie
unsere Vätergeneration über ihre Jugenderlebnisse im Krieg?), dann
wieder wie von einer starken, „klaßen“, berechtigten,
fortschrittlichen Tat.
Ich glaube nicht,
daß das die Tat eines freien Mannes war, höchstens eines jungen,
schüchternen Menschen, der sich von seiner Bedrückung befreien
will. Und nochmals, heute würde ich das nicht mehr tun.
Übergriff bleibt
Übergriff und es steckt Gewalt in dieser Aktion. Beinahe schlecht
geworden ist mir, als ich jetzt beim Schreiben dieses Textes im
Internet Hubert Tuttner recherchiert habe und auf Seiten gestoßen
bin, wo von ihm erzählt wird, seine Bilder gezeigt werden, wo seine
Tochter von ihrem Vater erzählt – ich glaube, da ist mir zum
erstenmal wirklich nahegekommen, wie sehr wir einen konkreten
Menschen verletzt haben. Deswegen wurde mir übel. Das spricht nicht
gerade für unsere Aktion.
Das war aber nicht die
letzte Aktion, die ich mit Hannes durchführte, die anderen waren jedoch nicht problematisch, aber das ist eine andere Geschichte.
©Peter
Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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