92 Auto!
Meine Eltern erzählten immer wieder,
mein erstes Wort, das ich sprechen konnte, war nicht Mama oder Mutti,
sondern: „Auto!“
Jetzt will ich nicht darüber
spekulieren, warum „Auto“ - obwohl: wenn altgriechisch „autos“
schon „alleinstehend, selbst“ bedeutet, kann es dann sein, daß
ich meine Integrität für mein Selbst reklamieren wollte? Oder ging
es eher um einen Vorstellungscontainer (W. Döbereiner) für mein
Ego? Oder um gar nichts davon.
Wie auch immer, mein erstes Wort war
„Auto!“ Und da ich angeblich den Autos interessiert nachschaute,
glaubten meine Eltern, ich würde ein guter und leidenschaftlicher
Autofahrer werden. Damals in den Fünfzigerjahren ein echtes
Aufstiegsprogramm, ein echter Aufstiegsmythos, ein echtes
Aufstiegsprojekt.
Au weh! Ich habe in meinem ganzen Leben
nie den Führerschein gemacht und habe nie ein Auto gelenkt.
Vielleicht hätte ich es gut können,
aber ich habe mich immer vor der Konkurrenz und der Feindseligkeit
gefürchtet, die ich mir damit aufhalsen könnte - von den anderen
männlichen Autofahrern gezeigt zu bekommen: „du hast da mit einem
Auto nichts verloren!“
Ich hatte auch nie genug Geld für den
Führerschein und schon gar nicht für ein Auto.
Aber jahrelang, wenn nicht
jahrzehntelang träumte mir vom Autofahren. Immer wieder. Ich
träumte, ich steuere ein Auto. Manchmal ging es gut und ich genoß
die Fahrt, die ruhige, schöne Bewegung, und auch wenn ich nicht
wußte, wie es funktionierte, so vertraute ich darauf, das Auto
lenken zu können. Ich hatte im Traum das Vertrauen. Da wachte ich
mit gutem Gefühl auf. Diese Träume waren aber selten.
Häufiger ging es schlecht. Entweder
verlor ich während eines guten Traumes das Vertrauen oder der Traum
ging gleich albtraumartig los. Ich konnte nicht lenken, nicht
bremsen, nicht stehenbleiben, nicht aussteigen. Ich war dem Auto und
seinen Bewegungen ausgeliefert. Die Übergänge waren besonders
unangenehm, wenn ich langsam das Vertrauen verlor und die Angst
anstieg.
Ich träumte viele, viele Träume vom
Autofahren, in vielen Variationen, aber immer mit diesem Grundmustern.
Den Traum, an den ich mich am Besten
erinnern kann, träumte ich in den frühen Achzigerjahren, aber ganz
sicher bin ich mir nicht, vielleicht war es auch etwas früher.
Ich fuhr Auto, und es ging gut. Sehr
gut sogar. Ich konnte es problemlos. Ich konnte lenken, schalten,
bremsen, beschleunigen, starten und losfahren, aussteigen,
einsteigen. Alles bestens. Alles funktionierte. Ich genoß die Fahrt
und war glücklich und stolz.
Dann hatte ich die Idee, mit meinem
Auto meine Eltern zu besuchen. Ich fuhr hin. Im Traum war zwar nicht
alles, aber einiges so wie in der Realität. Ich steige aus und rede
mit meiner Mutter. Sie sagt, daß mein Vater noch in Gumpenstein in
der Arbeit ist. Ich sage, ich hole ihn von der Arbeit ab. Stolz wie
ich bin, will ich auch ihm mein Auto zeigen. Ich fahre den steilen
Anstieg nach Gumpenstein hinauf (für Irdninger: das war noch die alte Straße). Alles
ist ungefähr so wie in Wirklichkeit, schon etwas verzerrt, alles ein
wenig verschoben, aber die Bundesversuchsanstalt war da, das Gebäude
mit der Laborabteilung, die Parkplätze.
Ich parke ein, steige aus und gehe zum
Labor hinauf, den Vater abzuholen. Stolz erzähle ich, daß ich jetzt
ein Auto habe und gekommen bin, ihn von der Arbeit abzuholen. Er ist
etwas wortkarg und schaut auch etwas starr drein, aber er nimmt mein
Angebot an.
Wie wir zum Parkplatz kommen, ja, da
hat sich das Auto in ein Fahrrad verwandelt gehabt. Es stand ein
Fahrrad da, ein Herrenfahrrad mit Stange.
Irritiert und entsetzt stehe ich da!
Was jetzt? Mit dem Fahrrad kann ich meinen Vater nicht nach Hause
bringen. Ich denke, das wird er selber sehen, und auch einsehen. Ich
sage zu ihm: „Entschuldige! Es geht jetzt doch nicht. Du siehst es
eh!“ Ich sage das mit hohler Stimme, mit einem Zittern darunter. Er
reagiert aber nicht. Wie wir im Ennstal sagen würden, er tut nichts
dergleichen. Er steht starr und stumm da und ich weiß, er erwartet,
daß ich ihn heimfahre.
Also setze ich mich aufs Rad und er
setzt sich auf die Stange. Fast wie ein kleiner Koloss sitzt er steif
da. Kein Muckser, keine Bewegung, kein Ton. Er verstellt mir die
Sicht und ich kann kaum lenken. Auf der alten Straße von Gumpenstein
geht es wirklich das erste Stück sehr steil hinab. Immer wieder –
vor allem im Winter - hat es beim Hinunterfahren Autos aus der Kurve
geschleudert und sind beim Hinauffahren etliche steckengeblieben.
Unten ist gleich die Brücke über den Donnersbach (oder die Irdning,
je nach Blickwinkel) und gleich dahinter wird diese Straße von der
Donnersbacher Straße gekreuzt, die eindeutig Vorrang hat. Im Traum
alles ganz realistisch.
Mit aller Kraft trete ich in die Pedalen - der Vater ist sehr schwer -, bis wir beim Steilstück sind. Ab dieser Stelle geht es jetzt in rasendem Tempo den Berg
hinunter, ich sehe fast nichts, ich kann kaum lenken, nicht bremsen
und habe höllische Angst, vor allem vor dem, was unten an der
Kreuzung passieren wird.
Und wirklich, die Kurven „derkratze“
ich nur im letzten Moment vorm Hinausfliegen, mit äußerster Mühe,
und auf die Kreuzung rasen wir ungebremst zu. Die Brücke habe wir gerade noch
gut erwischt und sind nicht ins Geländer gefahren.
Wir passieren die gefährliche Kreuzung
ganz knapp vor einem Auto, das aus Richtung Donnersbach
dahergeschossen kommt und mit lautem Gehupe – es hat ja Vorrang –
ganz knapp hinter uns, mit deutlichem Dopplereffekt, vorbeirast.
Dann bin ich zitternd aufgewacht, mein
Herz klopft wie wild, und ich brauche Zeit, um mich zu beruhigen.
Während ich diese Geschichte in den Computer tippte, hat mich meine Tochter - wegen einer Hausübung in Latein - nach der Geschichte des Ödipus gefragt.
Während ich diese Geschichte in den Computer tippte, hat mich meine Tochter - wegen einer Hausübung in Latein - nach der Geschichte des Ödipus gefragt.
©Peter
Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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