Montag, 2. März 2015

85 Als ich dem Bauer ...


Als ich dem Wolfgang Bauer seine Party wahrscheinlich zumindest ein wenig gestört habe.
Ich dürfte so um die Zwanzig gewesen sein, studierte in Graz, obwohl ich damals schon mehr die Mensa, den Kodolitsch und den Glockenspielkeller besucht habe als die Uni.

Ich weiß nicht mehr, wer mich eingeladen hatte zu einer Party von Wolfgang Bauer zu kommen; jedenfalls bin ich allein hingegangen; als trotz verbaler (links)radikaler Rhetorik im Grunde ein braver und (über)pünktlicher Bub war ich etwas früh dort. Der Bauer war da, der Falk war da und ein paar andere Männer, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, und eine junge Frau. Nur eine einzige Frau. Es ging natürlich gleich ums Trinken – ich selber hatte wohl noch nicht allzuviel intus, denn ich fühlte mich sehr unsicher und unwohl – immerhin: DER Wolfgang Bauer!

Wie der Wolfgang Bauer dann diese einzige Frau zum Zigarettenholen schicken will und sie nicht so recht „gehorcht“, habe ich plötzlich eine gute Idee: ich sage zu der jungen Frau, die ich überhaupt nicht kannte, daß ich sie beim Zigarettenholen begleiten würde. Daraufhin willigte sie ein und wir gingen, als brave Wasserträger, die Zigaretten holen. Ihr schien dieser Gehilfendienst ein wenig unangenehm zu sein, aber mir war es recht, aus dem Spannungsfeld kurz einmal rauszukommen.

Dann hatte ich überhaupt eine ganz großartige Idee: ich fing an, der jungen Frau zuzureden, gar nicht zur Party zurückzukehren, sondern mit mir in mein Zimmer mitzukommen. Das war in der Keplerstraße mindestens im fünften Stock, ganz oben im Dachgeschoß, gleich bei der Murbrücke und es gehörte Rudolf Muhr, der dieses Jahr in Bristol studierte und mir sein Zimmer für diesen Zeitraum überlassen hatte.

Ich mußte die junge Frau schon ziemlich überreden. Wie sich im Gespräch herausstellte war sie Schauspielerin und vielleicht auch beruflich an den Leuten bei der Party interessiert.
Schließlich gelang es mir tatsächlich, die junge Schauspielerin in mein Zimmer zu locken.

Diese Geschichte habe ich immer wieder einmal erzählt, so mit der Überschrift: wie ich die einzige Frau auf einer Wolfgang-Bauer-Party den Herrschaften dort entführt habe. Ich, der kleine Peter Rumpf, vermassel dem großen Bauer die Party! (Nicht traurig sein, es werden später schon andere Frauen zur Party erscheinen sein. Nehme ich an). Mit dieser Geschichte habe ich dann manchmal Heiterkeit und Schmunzeln ausgelöst und mich in ein schönes Licht gestellt, aber ich selber habe in mich hineingekichert, weil ich den zweiten Teil der Geschichte immer unter den Tisch fallen gelassen habe.

Wie schon angedeutet - ich war in meiner Jugend ein extrem schüchtener, extrem unsicherer Mann und trotz meine zwanzig Jahre hatte ich noch nie mit einer Frau geschlafen. Es wäre also das erstemal gewesen.

Daß ich noch nie mit einer Frau geschlafen hatte war ein ständiger Stachel in meinem Fleisch. Oder besser gesagt: in meinem Kopf. Und wie viele in solch einer Situation fing ich es auch komplett falsch an: da war die fixe, ständig arbeitende und pochende Idee, ich muß mit einer Frau schlafen! Ich muß mit einer Frau schlafen! Ich muß mit einer Frau schlafen! Und dann schaut man herum und sucht eine. Dann kann man mit keiner Frau mehr normal reden, weil schon immer im Inneren der Lautsprecher „du mußt ins Bett mit ihr! Du mußt endlich Sex haben, du bist schon zwanzig!“ brüllt.

Statt einfach zu akzeptieren, daß man jetzt allein ist. Und sich dann umschauen, was es sonst noch in Welt und Leben gibt, seine Talente ausgraben und ins Spiel bringen, entdecken, was einen wirklich anzieht, was einem gefällt, welche Themen sich ins Leben reinreklamieren oder sich anbieten.
Ruhig und geduldig und ohne Panik sein Leben, seine Fähigkeiten entfalten. Daduch wird man sicherer und vertrauensvoller werden. Dann erst einen Blick in die Runde werfen, ob es ein Mädchen gibt, das einem sympathisch ist, das man gerne sieht, mit dem man gern redet, mit der man die Leidenschaften, die man vorher in sich entdeckt und entfaltet hat, teilen kann – seien es die Sterne, die Literatur, die Kräuter, die Kunst -, dem man sich offen annähert, wenn es passt, und in einem Tempo, daß die eigene Seele auch mitkommt, sodaß man schon eine breitere Beziehung hat, bevor das Thema Sex in den Vordergrund rückt. Zumindest für Typen wie mich wäre das besser.
Daß der Lautsprecher in meinem Inneren so laut gebrüllt hat, hat sicher auch mit der damaligen sexvergötzenden Achtundsechzigerideologie zu tun und als Mensch mit Lebensangst klammert man sich erst recht gerne an Vorstellungen.

Ich werde doch schon ein wenig getrunken haben, denn sonst hätte ich mich nie getraut, die junge Frau zu überreden, zu mir zu kommen. Dann war sie also in meinem Zimmer. Und dann war sie in meinem Bett. Aber dann konnte ich nicht. Ich war impotent! Ich war ja auch mehr bei meiner Hauptidee im Kopf, als in meinem Leben, hier und jetzt. Sie war sehr lieb, hat alles versucht, was eine Frau in so einer Situation halt machen kann. Es half alles nichts. Es ging nichts.

Eine fürchterliche Niederlage! Endlich hatte ich es geschafft, eine Frau ins Bett zu kriegen, und dann das! Wieder eine fürchterliche Niederlage zu all den Niederlagen meines Lebens von Kindheit an hinzugefügt und abgespeichert. Aber nicht wegen der jungen Frau. Sie war ganz unbefangen. Ich habe sie dann bei meinen nächtlichen Streifzügen durch die Grazer Lokale manchmal zufällig getroffen und manchmal bin ich zu ihr mitgegangen. Aber egal, ob ich viel oder wenig getrunken hatte – die Niederlage lastete zu massiv auf mir.

Heute würde ich das nicht als Niederlage sehen, heute würde ich mir sagen: „lieber Peter, du bist über deine Sehnsüchte, deine Bedürfnisse, deine Gefühle, auch deine sexuellen Gefühle, hinweggestiegen um eine Vorstellung im Kopf zu befriedigen. Was dir da passiert ist, ist das Beste, was dir als Korrektiv passieren kann.“

Das „Erstemal“ ist dann doch einmal passiert, unter irrwitzigen Umständen, aber das ist eine andere Geschichte mit anderen Schauspielern. Und ich weiß nicht, ob ich die jemals aufschreiben will, weil ich fürchte, es wird mir schlecht dabei.





Mit Dank an die Schriftsteller Karl Ove Knausgård, Peter Rosegger und Peter Lenz.


©Peter Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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