Sonntag, 8. März 2015

91 Eine schöne Lektion


Ich bin am Land aufgewachsen. Wann ich den ersten farbigen Menschen gesehen habe, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, ich war noch ein Kind und habe ihn angestarrt.

Nun lebte ich in Wien, Achzigerjahre, malte, zeichnete, sah mich als Künstler und legte Wert darauf, verrückt angezogen zu sein. Karierte Hemden und karierte Jacketts oder Sakkos, dazu meistens zwei Krawatten gleichzeitig – das hatte ich von Hannes Priesch abgeschaut – alles im Stil schäbiger Eleganz – oder vielleicht zutreffender – mit Eleganz angehauchte Schäbigkeit. Natürlich hatte ich nicht viel Geld, aber ich liebte es auch, so gekleidet herumzulaufen.
Manchmal verkaufte ich Bilder, ansonsten hatte ich einen Job in petto, wo ich fast immer genommen wurde.
Ich aß täglich zum Frühstück mindestens eine Knoblauchzehe und wollte unbedingt ein bohemienhaftes Leben führen. Trotz depressiver Stimmungseinbrüche glaubte ich von mir, im Grunde aufgeklärt, offen und auf der richtigen Seite zu sein.

Eines Tages ging ich zur U-Bahn – wenn ich mich richtig erinnere war es die U2 am Karlsplatz. Die U-Bahn stand schon in der Haltestelle und ich rannte hin, um sie noch zu „erwischen“. Dabei kam ich ein wenig ins Schwitzen.

Die U-Bahn war recht voll, viele Fahrgäste mußten stehen, kein Sitzplatz mehr frei. Doch! Da! Ein Sitzplatz war frei, neben einem Schwarzafrikaner. Mein innerer Monolog ging dann so: „Ah! Das ist typisch! Typisch für Österreich und Wien! Der Platz neben dem Neger - (ich habe das damals sicher so gedacht) – ist frei. Der arme Diskriminierte! Aber ich, ich habe keine Vorurteile, ich setze mich jetzt dort hin, neben den schwarzen Mann.“

Ich verschnaufe noch vom Laufen und war recht zufrieden mit mir: keine Vorurteile und in der überfüllten U-Bahn einen Sitzplatz ergattert.
Doch auf einmal beugt sich der Mann aus Schwarzafrika nach vor, dreht sich nach rechts zu mir und sagt, mit leichtem Akzent: „Sie haben Knoblauch gegessen! Wääah!“ Und mit diesem Ausruf des äußersten Ekels rannte er – vor Übelkeit nach vorne gekrümmt – schnell aus dem Wagon.

Ich war rot geworden bis weit hinter die Ohren und saß verblüfft, beschämt und mit offenen Mund da. Daraufhin sprach der Mann, der mir gegenüber saß, mit deutlich deutschem Akzent: „Soweit sind wir hier schon!“
Und ich, in meiner Hilflosigkeit, stammelte verlegen: „Aber ich habe wirklich Knoblauch gegessen!“
Peinlich! Peinlich!

Aber das war eine wunderbare Lektion bezüglich falschen Mitleids und Selbstgefälligkeit, wie sie nur das Leben geben kann. Der Mann brauchte mein windiges Mitleid nicht; vermutlich kam er mit seinem Leben besser zurecht als ich verkaterte Künstlerkarikatur. Und er ließ es nicht zu, daß ich mich für meine Selbstbeweihräucherung an ihn schmiere.
Ich mußte später viel über die Szene lachen und habe sie gerne und oft erzählt. Das darf ich sagen: ich war über solche Korrekturen des Schicksals, nicht unbedingt in der Situation selbst, aber im Nachhinein meistens dankbar und habe gern darüber gelacht. Das habe ich bei Castaneda gelernt.


©Peter Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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