91 Eine schöne Lektion
Ich bin am Land aufgewachsen. Wann ich
den ersten farbigen Menschen gesehen habe, weiß ich nicht mehr. Ich
weiß nur, ich war noch ein Kind und habe ihn angestarrt.
Nun lebte ich in Wien, Achzigerjahre,
malte, zeichnete, sah mich als Künstler und legte Wert darauf,
verrückt angezogen zu sein. Karierte Hemden und karierte Jacketts
oder Sakkos, dazu meistens zwei Krawatten gleichzeitig – das hatte
ich von Hannes Priesch abgeschaut – alles im Stil schäbiger
Eleganz – oder vielleicht zutreffender – mit Eleganz angehauchte
Schäbigkeit. Natürlich hatte ich nicht viel Geld, aber ich liebte
es auch, so gekleidet herumzulaufen.
Manchmal verkaufte ich Bilder,
ansonsten hatte ich einen Job in petto, wo ich fast immer genommen
wurde.
Ich aß täglich zum Frühstück
mindestens eine Knoblauchzehe und wollte unbedingt ein bohemienhaftes
Leben führen. Trotz depressiver Stimmungseinbrüche glaubte ich von
mir, im Grunde aufgeklärt, offen und auf der richtigen Seite zu
sein.
Eines Tages ging ich zur U-Bahn –
wenn ich mich richtig erinnere war es die U2 am Karlsplatz. Die
U-Bahn stand schon in der Haltestelle und ich rannte hin, um sie noch
zu „erwischen“. Dabei kam ich ein wenig ins Schwitzen.
Die U-Bahn war recht voll, viele
Fahrgäste mußten stehen, kein Sitzplatz mehr frei. Doch! Da! Ein
Sitzplatz war frei, neben einem Schwarzafrikaner. Mein innerer
Monolog ging dann so: „Ah! Das ist typisch! Typisch für Österreich und
Wien! Der Platz neben dem Neger - (ich habe das damals sicher so
gedacht) – ist frei. Der arme Diskriminierte! Aber ich, ich habe
keine Vorurteile, ich setze mich jetzt dort hin, neben den schwarzen
Mann.“
Ich verschnaufe noch vom Laufen und war
recht zufrieden mit mir: keine Vorurteile und in der überfüllten
U-Bahn einen Sitzplatz ergattert.
Doch auf einmal beugt sich der Mann aus
Schwarzafrika nach vor, dreht sich nach rechts zu mir und sagt, mit
leichtem Akzent: „Sie haben Knoblauch gegessen! Wääah!“ Und mit
diesem Ausruf des äußersten Ekels rannte er – vor Übelkeit nach
vorne gekrümmt – schnell aus dem Wagon.
Ich war rot geworden bis weit hinter
die Ohren und saß verblüfft, beschämt und mit offenen Mund da.
Daraufhin sprach der Mann, der mir gegenüber saß, mit deutlich
deutschem Akzent: „Soweit sind wir hier schon!“
Und ich, in meiner Hilflosigkeit,
stammelte verlegen: „Aber ich habe wirklich Knoblauch gegessen!“
Peinlich! Peinlich!
Aber das war eine wunderbare Lektion
bezüglich falschen Mitleids und Selbstgefälligkeit, wie sie nur das
Leben geben kann. Der Mann brauchte mein windiges Mitleid nicht;
vermutlich kam er mit seinem Leben besser zurecht als ich verkaterte
Künstlerkarikatur. Und er ließ es nicht zu, daß ich mich für
meine Selbstbeweihräucherung an ihn schmiere.
Ich mußte später viel über die Szene
lachen und habe sie gerne und oft erzählt. Das darf ich sagen: ich
war über solche Korrekturen des Schicksals, nicht unbedingt in der
Situation selbst, aber im Nachhinein meistens dankbar und habe gern darüber gelacht. Das habe ich bei Castaneda gelernt.
©Peter
Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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