Dienstag, 10. März 2015

94 Beim Kodolitsch


Wie ich schon oft geschrieben habe, bin ich in meiner Grazer Studentenzeit so ab 74 in die linke Szene geraten, 68 war noch nicht lange her, die linke Szene hatte sich aber schon in diverse Gruppen aufgesplittert und ich landete in einer Gruppe zum Teil gar nicht so wirklich marxistischer Leute mit interessanten Hintergründen. Einer zum Beispiel konnte fließend Latein und Altgriechisch lesen und übersetzten und konnte den ganzen Hölderlin auswendig rezitieren, was er aber nie tat! Für solch eine Angeberei war er viel zu fein. Aber es waren auch andere dabei, mit ganz anderem Background, ganz anderen Interessen. Hingekommen zu diesen Studenten bin ich einfach über persönlich Kontakte, die sich ergeben hatten.

Einige dieser Leute waren stark von der in Graz vorherrschenden Philosophie geprägt, die sich groß Ideologiekritik auf die Fahnen geschrieben hatte. Freilich, man kann auch Ideologiekritik ideologisch betreiben, aber das nur nebenbei. Ich schaute zu diesen Leuten – die meisten ein paar Jahre älter als ich – andächtig auf, wurde deren treuer Schüler und kam immer mehr mit meinem Theologiestudium übers Kreuz.

Diese Gruppe – vorher mehrheitlich der Studentengruppe IVZ, der Instituts-Vertreter-Konferenz – eigentlich auch ein recht geschwollener Name – zugehörig, schloß sich dann dem Bundes-VSSTÖ an, also dem Verband Sozialistischer Studenten Österreichs, der SPÖ (damals noch: Sozialistische Partei Österreichs) nahestehend, aber ständig im Clinch mit ihr. Ein Schritt, der mich zwar überraschte, aber den ich brav mitmachte. Also waren wir jetzt richtig links.

Trotzdem behielten wir eine durchaus auch arrogante Überheblichkeit gegenüber den ideologisch Gebundenen, auch denen im VSSTÖ, die herausgegebenen Parolen und „Funksprüche“ („Nieder mit ...“, „Hoch die ...“) etcetera fanden wir eher lächerlich, spielten aber - meistens nicht ohne interne Witze – mit. Und die Kommunisten, berühmt für ihre livegitarrenliedergestützen Mensafeste, verunglimpften wir als Kathol.... pardon, Kommunistische Jungschar, die besonders fleißigen und workoholischen Maoisten als Abklatsch der Zeugen Jehovas.

Graz war klein, besonders die „linke“ Szene, und so lief man sich ständig über den Weg. Die älteren Studenten kannten sich von den Achtundsechziger-Wirbeln, also aus der Zeit vor der ideologischen Zersplitterung.
Das heißt, wir kannten die Leute alle und beim Kodolitsch, einer stark frequentierten Weinstube mitten in der Stadt, gab es manches die Parteigrenzen übergreifendes Besäufnis, manchmal sogar mit puritanischen und strengen Maoisten oder Maoistinnen.

Aber nicht nur Besäufnisse. Einmal fing ich dort mit einer Maoistin zu schmusen an. Zugegeben, ich war schon etwas betrunken. Ein Trotzkist! ja ein Trotzkist - für Trotzkisten hatten wir keinen griffigen Spottnamen, sie waren für uns mehr so Pop-Figuren - fuhr sie und mich mit seinem Auto zu ihr nach Hause auf der anderen Seite der Mur, aus irgendwelchen Gründen übernachtete er auch dort. Als die Dame und ich dann in ihrem Zimmer waren, erklärte sie mir, daß ich als VSSTÖler auf der falschen Seite stünde, daß sie sich beim Kodolitsch habe hinreißen lassen und unser Klassengegensatz unüberbrückbar sei. Na gut, ich schlich mich in das andere Zimmer, wo der Trotzkist übernachtete, der zu mir sagte. "Ah, will leicht die Goas nit!" Irgendwas werde ich als Antwort schon gebrummt haben.
Aber zu dir, liebe Frau. Ich hoffe für dich, daß der wirkliche Grund für meinen Rauswurf nicht unsere Klassengegensätze waren, sondern daß du gesehen hast: "der hat zwar beim Kodolitsch groß geredet, aber so, wie der dasteht und tut, ist's bei ihm nicht allzuweit her. Nein, mit dem fange ich mir nichts an, nicht einmal für eine Nacht". Ich hoffe es für dich.

Am Morgen bin ich ziemlich früh aufgestanden und wollte schnell abhauen, bevor alle aufwachen, aber da saß  schon eine Frau, wie sich herausstellte die Schwester "meiner" Maoistin, in der Küche und lud mich zum Frühstück ein. Sie auch eine Linke - ich weiß nicht mehr, welcher Richtung.

Wir haben dann geplaudert und keine Ahnung wie wir aufs Flötenspielen gekommen sind - wir verabredeten ein wöchentliches gemeinsames Flötenspielen bei ihr, das wir auch eine zeitlang durchhielten, einfache Stücke, denn ich konnte nicht gut spielen. Die Notenhefte habe ich immer noch: Alte Musizierstücke 17. und 18 Jahrhundert (Joh. Runge)
James Hook (1740 - 1827) leichte Handstücke; beide im Schott-Verlag
Leichte Duette II um 1700; Bärenreiter-Verlag.
Johann Sebastian Bach, Aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach (1725); Schott's kleine Blockflötenhefte.

Ich gehörte schon zu den Männern, die sich gleich verlieben, nur wenn eine Frau freundlich zu ihnen ist, gleichzeitig war ich es aber gewohnt, das sofort abzuwürgen. Anders gesagt - natürlich hat sie mir gefallen, hier aber habe ich Gottseidank irgendsoetwas Hochkommendes gleich abgewürgt - die Geschichte nebenan im Zimmer der Schwester hatte mich ernüchtert.

Vom Flötenspielen jedoch traute ich mich den neuen, linken, wilden Freunden nichts zu erzählen, da hatte ich zuviel Angst, daß sie sich (oder einige von ihnen) über dieses spießbürgerliche Verhalten lustig machen würden, oder mir sagten: "Heast Peda! bist deppat, warum puderst du sie nicht richtig her?"
Ja, es war nicht leicht, als braver, schüchterner Mensch ein wilder Achtundsechziger zu werden.

Zurück zum Kodolitsch: ich studierte offiziell noch Theologie, war sogar an der ÖH, der Österreichischen Hochschülerschaft, in der Fachschaft Theologie als Studentenvertreter tätig – vom um ein paar Jahre älteren Prantner Kurt überredet, in Wahrheit komplett ungeeignet dafür – und im Rahmen dessen hatte ich mit Kurt ein Laientheologen-Studententreffen in Graz mitorganisiert.

Nach dem Treffen mit seinen Diskussionen und Gesprächen – das wäre ein absurde Geschichte für sich – gingen wir alle aus und der Prantner Kurt und ich (die Leute von der ÖH, ob ÖSU oder RFS oder sonstwer, nannten uns spöttisch „der Herr und sein Knecht“, wenn sie uns sahen), wir als Gastgeber also führten alle Teilnehmer des Laientheologentreffens zum Kodolitsch.

Franz Stephan Parteder, der Vorsitzende des Kommunistischen Studentenverbandes KSV Graz, saß schon dort, bereits leicht illuminiert, und begrüßte die österreichische Laientheologenstudentenkonferenz in einer ganz im offiziellen Ton angelegten Begrüßungsansprache im Namen der Kommunistischen Partei Österreichs. Unsere Gäste waren schon etwas irritiert, aber jetzt erst begann – zumindest bei uns, nicht bei unseren Gästen – das richtige Besäufnis, und als wir schon ziemlich betrunken waren, sangen wir – nicht unsere Gäste, also wir, wir sangen laut und beherzt „Groß-Stalin wir loben dich“ nach Text und Melodie von „Großer Gott, wir loben dich“. Wer jetzt wirklich und wie intensiv mitgesungen hat, weiß ich auch nicht mehr, anwesend waren: ich, der Prantner, der Parteder, der Werner Sauer war auch da, an die anderen kann ich mich nicht mehr erinnern; ich jedenfalls habe inbrünstig mitgesungen (fast der gleiche Schauder, wie als Ministrant früher beim Hochamt).

Was sich in Köpfen und Herzen unserer Gäste abgespielt hat, weiß ich nicht – heute tut es mir leid, so rücksichtslos agiert zu haben - aber wir, wir hatten damals unsern Spaß, wir hatten es lustig. Obwohl ich auch heute noch – ich kann mir nicht helfen – darüber lachen muß.

Eine zeitlang trug ich auch ein Abzeichen der KPÖ am Revers – das wird früher als obige Episode gewesen sein – obwohl ich nie Mitglied der KPÖ war und – wenn ich mich richtig erinnere – nur einmal „dazugekommen“ bin, sie zu wählen. Vielleicht auch zweimal.

Beim Gabriel, der Disko in Irdning, hat mich einmal ein junger Irdninger, aus einer aus Rumänien vertriebenen Familie stammend, darauf angesprochen und gesagt, daß seine Familie unter diesem Hammer-und-Sichel-Zeichen alles verloren und viel gelitten hat, und daß er es zutiefst verabscheut – nicht aggressiv, nicht einmal belehrend, eher verletzt. „Ja, ich weiß“, antwortete ich – und irgendein Gefasel, das ich vergessen habe. Ja freilich wußte ich es! Und vieles anderes auch, ich konnte nichts erwidern, was auch?

Irgendwann legte ich das Abzeichen wieder ab. Wir waren ja doch freischwebende Linke, frei und ungebunden, arrogant und – ja - manchmal sensibel, meistens hochmütig.
Meine große Abrechnung mit meiner „marxistischen“ Vergangenheit kam später; später, aber schon bald.
Jetzt trage ich am Revers einen Affen oder einen Frosch, den mir meine Kinder in der Volkschule gebastelt haben.


©Peter Rumpf 2015     peteraloisrumpf@gmail.com

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