Samstag, 14. März 2015

96 Meine Berufung


Ich stand in der großen Pause am Platz vor der Volksschule, damals noch im großen Gebäude des Pfarrhofes an der Ostseite untergebracht; links vom Platz das Mesnerhäusl mit zwei Bäumen davor; gegenüber die Stiege zum Kirchpark mit den prächtigen Kastanien; schräg links vorne die große, schöne Irdninger Pfarrkirche mit ihrem außergewöhnlich hohen und mächtigen Turm.

Es muß in der zweiten Klasse Volksschule gewesen sein, ich stand so allein da und aß mein Jausenbrot, als mich der Kaplan von Irdning, nachdem er den Haufen laufender, lärmender und tobender Schüler länger beobachtet hatte, ansprach, ob ich nicht Ministrant werden wolle.
Ich fragte zu Hause und nach einigem Hin und Her erlaubten es die Eltern. Meine Mutter meinte: „da kommt er wenigstens unter Buben!“

Ich wurde trotz einiger Mißgeschicke - vor allem am Beginn - ein braver und tüchtiger Ministrant. Pünktlich, verlässlich, gewissenhaft und beim Dechant und den der Kirche Nahestehenden deswegen respektiert.
Es war der einzige Ort, wo man mit mir zufrieden war. Natürlich ging ich gerne hin, ich lernte die Kirche als Gebäude mit ihren alten Mauern und Gewölben und Bögen lieben, die Glasfenster und ihr Licht, die Kerzen, die Liturgie (damals noch lateinisch), die monotonen Litaneien und den Rosenkranz, die stillen Messen ganz früh am Morgen, aber auch die Hochämter mit ihrer Pracht, den Weihrauch, das Glockenläuten, die Lieder, die Meßgewänder und ihre Farben, den Wechsel der Farben im Jahreskreis, die Feste, die Wartezeit auf und die Vorbereitungen für diese Feste, die Anspannung, oder besser, wenn sich die Spannung zum Beispiel auf Ostern liturgisch langsam aufbaut, die Kelche und die anderen liturgischen Geräte, das alles und vieles anderes liebte ich, gerade auch ihre Ästhetik, das Verbundensein darüber mit den Jahrhunderten vor uns. Hier lebte ich voll mit.

Natürlich war mir beim Gottesdienst auch manchmal fad. Aber dann kippte ich innerlich weg, vom monotonen Singsang getragen, in die flackernden Kerzen starrend, und geriet in Zustände sozusagen im Vorhof zur Trance.
Ich war gern Ministrant. Und ich nahm es ernst. Ich wurde religiös und gläubig und es tat sich eine Welt auf, in der ich mich gerne aufhielt, weitab vom Desaster draußen in der dualen Welt der Sieger und Verlierer.

Ich werde so um die neun Jahre alt gewesen sein, und wenn ich mich richtig erinnere, war es wieder auf dem Platz vor der Kirche, als mich der Dechant von Irdning zu einem Gespräch bat.
Ob ich mir nicht vorstellen könne, zum Priesteramt berufen zu sein? Sicher, du bist noch jung, da kann man das noch nicht so genau wissen, und später in der Jugendzeit kommt dann noch die Frage dazu, ob man wirklich zum Zölibat berufen ist, aber ich möge doch in mich hineinhorchen. Und wenn ich ein Ja hören würde, ob es dann nicht sinnvoll wäre, nach Graz ins bischöfliche Knabenseminar zu gehen und dort im Internat wohnen und das Gymnasium zu besuchen.
Der Herr Dechant betonte nochmals, daß man das mit der Berufung in diesen jungen Jahren noch nicht sicher wissen könne, und daß sich das erst später deutlich herausstellen wird, aber ob ich in mir so eine Art Zug in diese Richtung verspüre. Dann wäre das mit dem Knabenseminar schon sinnvoll, auch wenn es sich später als Irrtum herausstellen sollte. Ich möge in mich hineinhorchen und das alles gut prüfen. Wenn es ein ja wird, dann soll ich mit meinen Eltern reden und dann zu ihm kommen, um alles zu regeln.

Ich war wie vom Donner gerührt. Aber wie das der Dechant zu mir gesagt hat – das war alles sauber. Noch nie hatte wer zu mir gesagt, daß ich in mich hineinhorchen solle, schon gar nicht zur eigenen Orientierung! Daß es so etwas in mir gibt, eine innere Stimme, der ich vertrauen kann, das hatte ich bei meinen Eltern nie gehört, dort war ich falsch und sollte so sein, wie der, der aufgeweckt ist und laut und deutlich „Grüß Gott, Frau Rumpf!“ grüßt und dabei dem Gegenüber in die Augen schaut. Oder wie der, der selbstbewußt, selbstsicher, furchtlos und sportlich ist.
Ich fühlte mich und war in diesem Gespräch mit dem Dechant respektiert und ernst genommen, und sehe noch heute darin meine Begabung gefordert und gefördert.

Und ich horchte in mich hinein. Drei Tage lang kämpfte ich um Klarheit. Ich hatte viele Bedenken, ob ich wirklich geeignet sei, ob ich seelisch stark genug sei, ob ich wirklich berufen sei. Ich weiß noch genau, daß der Verzicht auf Ehe, Familie und Kinder der schwerste Brocken war. Ich weiß auch nicht, was ich mir damals unter Ehe vorgestellt hatte; vielleicht gehörte das für mich einfach zum Bild eines normalen Lebenslaufes, vielleicht aber spürte ein Teil von mir genau, worum es ging – um einen schweren Verzicht.
Es zog mich sehr zu diesem Priesteramt hin, mit der Annahme des Zölibats kämpfte ich am längsten. Schließlich hatte ich das Bild vor mir, wie ich den Kelch bei der Wandlung hebe, und sagte „Ja“.
Man könnte dazu schnell sagen, „Vollzugswichtigtuerei (W. Döbereiner) läßt grüßen“, oder doch, Welt und Leben werden in etwas verwandelt, das fähig ist, den Himmel aufzunehmen und „in der Welt zur Erscheinung zu bringen“ (W. Döbereiner).
Wie auch immer – trotz aller Bedenken sagte ich „ja“.

Dann redete ich mit meinen Eltern! Ich will Priester werden und deswegen nach Graz ins Knabenseminar. Mehr brauchte es nicht. Ich löste damit, vor allem bei meiner Mutter, große Irritation und einen hysterischen Anfall aus. Neben mir sagte sie zu meinem Vater, daß die mich (sinngemäß) einfangen wollen, daß ich mich von denen zu sehr beeinflußen lasse und wie unerhört das sei – die genauen Worte weiß ich nicht mehr. Die könnten durchaus schärfer gewesen sein. Dabei war sie ganz aufgeregt, fuchtelte mit den Händen herum, Panik in den Augen. Priester, das sind keine richtigen Männer!

Selten zeigte sie ihre Abscheu vor und ihren Haß auf die Kirche so offen. Sie ist in Vorau aufgewachsen, einem Ort im Schatten eines großen und mächtigen Stiftes, die sexuellen Beziehungen von Mönchen bevorzugt zu verheirateten Frauen waren ortsbekannt, genauso wie sexuelle Übergriffe auf und Mißbrauch von Kindern. Aber alle Anzeigen wurden niedergeschlagen. Erst „unter Hitler“, wie meine Mutter gerne betonte, kam es zu Anzeigen und Verurteilungen. Halb verdeckt verachtete meine Mutter die Kirche. Auch wenn sie als Mutter eines Ministranten sonntags in die Kirche ging.

Am nächsten Tag hatte sie sich vom Schock erholt und sagte zu mir, ganz ruhig und um einen sachlichen Tonfall bemüht: „Also das Internat in Graz können wir uns nicht leisten. Es ist doch einfacher, du besuchst das Gymnasium in Stainach, dem Nachbarort, das ist billiger und wenn du dann wirklich Priester werden willst, dann legen Vati und ich dir nichts in den Weg.“

Klingt vernünftig, nicht? Ich fühlte aber deutlich, daß da etwas nicht stimmte, daß das nicht ganz ehrlich war, aber wenn wir es uns nicht leisten können? Und ich verstand ja auch gar nicht so recht, was sie dagegen haben. Und ich ließ mich ja auch leicht verunsichern, und bin ich wirklich berufen? Oder bilde ich mir das nur ein? Und wie wäre das im Internat?

Also fand ich mich mit dieser Vereinbarung ab und sagte es dem Dechant. Der meinte noch, das es bei finanziellen Problemen der Eltern Förderungen gäbe, aber es war zu spät. Diese Sache war entschieden.

Jetzt aber hatten meine Eltern, vor allem meine Mutter, eine neue Sorge: daß ich homosexuell sei oder homosexuell zu werden drohte. Meine Mutter, die sich für eine gute (Laien)Psychologin hielt, meinte das alles klar erkannt zu haben. Psychologie war für sie – wie für viele echte Psychologen auch – das Einteilen, Bewerten und Beurteilen von Menschen. Für meinen Vater, den sportlichen ehemaligen SS-Mann, im Krieg mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet, im Leben tüchtig, bei ihm – so empfand ich es – war ich sowieso schon längst als Versager abgeschrieben und so überließ er mich meiner Mutter, nur in gelegentlichen gewalttätigen Wutanfällen gegen mich zeigte sich sein „Interesse“ an mir.
Also Verdacht auf Homosexualität. Jetzt ging es los, die ganzen Jahre über: „warum redest du nicht mit dem Mädchen dort?“ „Schau, die hat dich freundlich gegrüßt.“ Und so weiter.

Meine Mutter hatte einen Bruder, der homosexuell war. Er war ihr Lieblingsbruder, sie seine Lieblingsschwester. Er war nach Canada ausgewandert und starb an Krebs. Mit dem Geld, das er meiner Mutter vermacht hatte, bauten sich meine Eltern ein Einfamilienhaus.
Jetzt begann sie mich dauernd mit ihrem Bruder zu vergleichen, der übrigens auch im Sternzeichen Fisch geboren war, wie ich. „Die gleiche Geste, wie der Herbert!“ „Jetzt hast du genau so dreingeschaut wie der Herbert, der gleiche Blick!“ „Wie der Herbert!“
Wenn ich mich zur Wehr setzte, so sagte sie. „Ich werde dich doch noch mit meinem Bruder vergleichen dürfen!“ Ja, was konnte ich da als Jugendlicher dagegen sagen? Ich war ja selber verunsichert.

Zu den peinlichsten Szenen meiner Kindheit – ich werde etwa zwölf, dreizehn Jahre alt gewesen sein – gehörte, wie sie mit der Baumeisterin Pilz, bei uns im Wohnzimmer, in meiner Anwesenheit, im Geplauder auf das Thema unmännliche Burschen und Männer gekommen, auf mich deutend, halblaut sagte, so als sollte ich es nicht hören. „Der auch! Der wird auch nicht richtig. Der wird auch kein richtiger Mann. Unsportlich ...“ und so weiter.
Ich war glühend rot im ganzen Gesicht, Hals, Kopfhaut. Nach dem ersten Schock schwitzte ich vor Scham und Hitze. Ich wußte nicht, wo hinschauen, ich wollte in den Boden versinken. Ich schämte mich so. Ich konnte mich nicht rühren, nicht sprechen.

Und wenn ich wirklich ins Knabenseminar gekommen wäre? Dann hätte ich mir das erspart.

Wann immer ich diese Geschichte meiner Berufung erzähle, ernte ich meistens Reaktionen in der Art: „Wie kann man das einem Neunjährigen zumuten! Also wirklich arg! In dem Alter kann man doch noch nicht eine solche Lebensentscheidung treffen. So eine Überforderung!“
Nein! Nein! Nein! Man kann. Auch als Neunjähriger. Das war eine echte Lebensentscheidung. Und ich kann mein Scheitern auch als Folge der Tatsache beschreiben, daß ich mir meine Berufung wie das Schauferl im Kindergarten wegnehmen lassen habe.
Ich bin in diesem Berufungsgespräch in einem Ausmaß ernst genommen und geachtet worden, wie selten in meinem Leben. Wie Romano Guardini sinngemäß sagt, muß man, damit es zu einer guten Berufsentscheidung kommt, hoch ansetzen. Seinen Idealismus, die Flügel seines Lebenstraumes weit entfalten. Es wagen, sich Großes zuzutrauen.

Und ich bin an der Schwelle gestanden, dies zu tun. Es wäre für mich selbstverständlich geworden, zu lesen und zu schreiben, am Schreibtisch zu arbeiten. Das wäre akzeptiert und erwünscht gewesen und ich wäre nicht ständig in ein duales Leben hinausgejagt worden, für das ich gar keine Anlagen mitgebracht habe.
Der Weg zu Wissen und Wissenschaft wäre offen gewesen, zum sozialen Aufstieg und zu geregeltem Einkommen auch, und wenn ich an meine „protomystischen“ Ministrantenerlebnisse denke, vielleicht auch der Weg zur Mystik.
Ich wäre den Erwartungen der Eltern und der Familie entkommen und hätte meine geistigen Begabungen entfalten können.

Und wäre ich dort mißbraucht worden? Ich glaube nicht.
Wenn ich die Theorie Döbereiners dazu ernst nehme, - und das tue ich in diesem Fall - dann nicht.
Er sagt, es gäbe keinen Mißbrauch an einem Kind, wenn es die Eltern – meistens der gleichgeschlechtliche Elternteil – nicht vorher zum Mißbrauch freigegeben hätten. Bewußt oder unbewußt. Das Kind bekommt ein Pickerl drauf: ich halte auch nichts von diesem Kind. Zum Mißbrauch freigegeben! Die Täter reagieren lediglich auf dieses Angebot. Sie machen sich dabei natürlich schwer schuldig – wenn man diese Kategorie verwenden will – aber die Fäden ziehen die Eltern. Für das gefährdete Kind ist es die Rettung, die Vorstellungswelt der Eltern zu verlassen.
Wenn ich ins Seminar gegangen wäre, dann wäre ich den Erwartungen, Vorstellungen, Urteilen der Eltern entkommen und – wenn die Theorie Döbereiners zutrifft – wäre mir dort nichts passiert.
Es ist mir auch in all den Jahren der Nähe zur katholischen Kirche nichts passiert. Dort war ich geschützt.

Und ich selber? Wäre ich im kirchlichen Kontext gefährdet gewesen, ein Mißbrauchstäter zu werden? Wenn das wirklich meine Berufung gewesen ist, dann hätte ich mit meinen Schritt ins Seminar einen großen Schritt in die Richtung gemacht, alles Destruktive in mir, alle Unreife, Verbogene abzustreifen, oder besser gesagt, das Gesunde, Heile, Schöne dahinter zur Entfaltung zu bringen. Wenn es die rechte Berufung war.

Und das Leben im Zölibat? War ich "dem Himmel auserkoren"?
Auch wenn das schief gegangen wäre – ich kenne einige abgesprungene Priesteramtskandidaten oder Priester, die in anderen Bereichen ihren Beruf gefunden haben: als Erwachsenenbildner, in den Medien, auf der Universität, als Psychologen, Therapeuten etc.
Ihre Jahre als Seminaristen haben ihnen geholfen, sich aus der Welt ihrer Herkunft herauszuentwickeln und in der akademischen Welt anzukommen. Das ist gerade für Leute von nicht-akademischer Herkunft eine wichtige Transformation.
Und ich hatte ja keinen Mutterauftrag, Priester zu werden. Konflikte diesbezüglich waren nicht zu befürchten.

Aber ich hatte es als Neunjähriger ernst gemeint; ich glaubte, dem Himmel auserkoren zu sein, oder zumindest, daß einiges daraufhin deutet. Also, wie wäre es mir mit dem Zölibat ergangen? Schwer zu sagen. Aber ich hatte gute Ansätze dafür.

Später in Graz, bereits als ein aus der Kirche Ausgetretener und Religionsloser hatte ich eine Zeit eines zwar unfreiwilligen, aber akzeptierten Zölibats. Es war nicht die schlechteste Zeit meines Lebens.

Ich hatte damals schon mit einer Frau geschlafen, also die gesellschaftliche Forderung war erfüllt. Auf die Frage „hast du?“ konnte ich „ja“ sagen. Das hatte mich sehr erleichtert.
Aber meine naive Hoffnung, wenn es das erstemal passiert ist, dann geht es so richtig los, war falsch. Ich blieb genauso schüchtern.

Dann begann ich, Carlos Castaneda zu lesen (damals gab es erst die ersten drei Bände auf Deutsch) und irgendetwas in meinem Inneren rückte sich zurecht.
Ich sagte mir: gut, du rennst schon seit Jahren dieser Idee nach. Beinah dein ganzes Bewußtsein ist von dieser Idee „Sex“ besetzt und du treibst dich seit Jahren auf dieser frustrierenden Suche herum. Es ist nichts Gescheites daraus geworden. Ich akzeptiere das jetzt. Ich akzeptiere ohne Bedauern, daß ich keine Frau „erobern“ kann und schaue mich um, was es sonst noch alles im Leben gibt. Damit ich nicht ganz blöd dastehe: ich kann sagen, ich habe mit einer Frau geschlafen – ich muß ja nicht erzählen, unter welch eigenartigen und verwirrenden Umständen. Aber jetzt lasse ich es sein.
Ich hatte mich damit für ein zölibatäres Leben entschieden, beziehungsweise dieses mein zölibatäres Leben akzeptiert.
Religiöse Überhöhung hatte ich keine dafür – ich lebte immer noch in der Achtundsechziger Vorstellungswelt – höchstens vom gerade aufkommenden Feminismus her, ich war ja schließlich auch einer der Mitbegründer der meines Wissens ersten Männergruppe Österreichs in Graz: „wir Männer benützen die Frauen – ich möchte davon einmal ein wenig Abstand nehmen“.
Diese Aussage war natürlich eine klassische Die-Trauben-die-zu-hoch-hängen-sind-sauer-Aussage und ich ahnte gar nicht, wie sehr das vom „Ausnützen der Frauen“ zutrifft, besonders auf mich, wie sich bald herausstellen wird.

Jetzt einmal fiel eine ungeheure Last von mir ab. Ich lebte für mich, ging in die Disco nur zum Tanzen, liebte Musik, lesen, herumwandern, per Autostop, per Zug, per Bus das Umland erkunden, bis nach Slowenien reichten meine Ausflüge und ich war recht glücklich dabei.
Ich achtete besser auf meine Ernährung, fastete, hörte zu trinken auf.
Ich schaffte es in dieser Zeit, die Szene, in die ich mich wie in einen Mutterschoß verkrochen hatte, zu verlassen und nach Wien zu übersiedeln – nicht ohne vorher noch einen weitausladenden Umweg über Schweden gemacht zu haben und begleitet von der einen oder anderen komischen, unausgewogenen Aktion.
Ganz wichtig war, daß ich zu trinken aufhörte und wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, hörte mein Onanierzwang auf. Ja, ich begann ein richtiges keusches Leben zu führen. „Keusch“ übrigens nach Mackensen, Ursprung der Wörter, von Lateinisch conscius eingeweiht, bewußt.

Ohne es recht zu merken, entdeckte ich den Energiekörper, von dem die Zauberer um Castaneda sagen, daß er kein Geschlecht hat. Ich kam dem luziden Träumen nahe, stand vor der „ersten Pforte des Träumens“ (C. Castaneda) ohne es zu wissen, da die Bücher, wo Castaneda darüber schreibt, noch gar nicht veröffentlicht waren. Nebenbei gesagt auch noch nicht die, in denen er erzählt, was die Zauberer und Seher über die Sexualität sagen. Wieder stand ich an der Schwelle zu etwas Großem, Atemberaubenden und wie man schon sehen kann, wurde Castaneda für mich allmählich so etwas wie meine nichtreligiöse „Religion“.

Ja, es war eine interessante Zeit, in der ich allein in einer scheußlichen Bude lebte, viel herumwanderte, vieles entdeckte.
Nur beruflich kam ich auf keinen grünen Zweig. Die Tischlerei war nicht das Richtige für mich und wieder stand ich vor der Frage – was tun?

Weil ich den Frauen nicht mehr hinterherlief, gelang das, was ich vorher so verzweifelt gesucht hatte, ich lernte eine Frau kennen, die dann meine Freundin wurde und mit der ich sieben Jahre zusammen war.
Das ist eine Geschichte für sich, letztlich eine tragische, und man könnte sagen, jetzt begann der gleiche Irrsinn wieder von vorne.

Festzuhalten ist: meine zölibatäre und keusche Zeit war eine gute Zeit. Und wie Maria Elena „La Gorda“, eine Mitkämpferin Castanedas sagte: „Ich werde immer etwas für [echte; P.R.] Nonnen und Priester übrig haben. Wir sind ähnlich. Wir haben die Welt aufgegeben, und doch leben wir mitten in ihr. Priester und Nonnen könnten großartige fliegende Zauberer sein, wenn jemand ihnen sagen würde, daß sie das können.“ (Carlos Castaneda, Der zweite Ring der Kraft; Seite 226).
Und heute noch kann es sein, daß mir die Tränen in die Augen kommen, wenn ich Mönche oder Nonnen sehe, meistens noch jung, noch nicht verdreht, noch ganz offen, noch mit dem Leuchten in den Augen, noch dabei, den ganz großen Lebensentwurf zu verwirklichen.


©Peter Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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