96 Meine Berufung
Ich stand in der
großen Pause am Platz vor der Volksschule, damals noch im großen
Gebäude des Pfarrhofes an der Ostseite untergebracht; links vom
Platz das Mesnerhäusl mit zwei Bäumen davor; gegenüber die Stiege
zum Kirchpark mit den prächtigen Kastanien; schräg links vorne die
große, schöne Irdninger Pfarrkirche mit ihrem außergewöhnlich
hohen und mächtigen Turm.
Es muß in der
zweiten Klasse Volksschule gewesen sein, ich stand so allein da und
aß mein Jausenbrot, als mich der Kaplan von Irdning, nachdem er den
Haufen laufender, lärmender und tobender Schüler länger
beobachtet hatte, ansprach, ob ich nicht Ministrant werden wolle.
Ich fragte zu
Hause und nach einigem Hin und Her erlaubten es die Eltern. Meine
Mutter meinte: „da kommt er wenigstens unter Buben!“
Ich wurde trotz
einiger Mißgeschicke - vor allem am Beginn - ein braver und
tüchtiger Ministrant. Pünktlich, verlässlich, gewissenhaft und
beim Dechant und den der Kirche Nahestehenden deswegen respektiert.
Es war der
einzige Ort, wo man mit mir zufrieden war. Natürlich ging ich gerne
hin, ich lernte die Kirche als Gebäude mit ihren alten Mauern und
Gewölben und Bögen lieben, die Glasfenster und ihr Licht, die
Kerzen, die Liturgie (damals noch lateinisch), die monotonen
Litaneien und den Rosenkranz, die stillen Messen ganz früh am
Morgen, aber auch die Hochämter mit ihrer Pracht, den Weihrauch, das
Glockenläuten, die Lieder, die Meßgewänder und ihre Farben, den
Wechsel der Farben im Jahreskreis, die Feste, die Wartezeit auf und
die Vorbereitungen für diese Feste, die Anspannung, oder besser,
wenn sich die Spannung zum Beispiel auf Ostern liturgisch langsam
aufbaut, die Kelche und die anderen liturgischen Geräte, das alles
und vieles anderes liebte ich, gerade auch ihre Ästhetik, das
Verbundensein darüber mit den Jahrhunderten vor uns. Hier lebte ich
voll mit.
Natürlich war
mir beim Gottesdienst auch manchmal fad. Aber dann kippte ich
innerlich weg, vom monotonen Singsang getragen, in die flackernden
Kerzen starrend, und geriet in Zustände sozusagen im Vorhof zur
Trance.
Ich war gern
Ministrant. Und ich nahm es ernst. Ich wurde religiös und gläubig
und es tat sich eine Welt auf, in der ich mich gerne aufhielt, weitab
vom Desaster draußen in der dualen Welt der Sieger und Verlierer.
Ich werde so um
die neun Jahre alt gewesen sein, und wenn ich mich richtig erinnere,
war es wieder auf dem Platz vor der Kirche, als mich der Dechant von
Irdning zu einem Gespräch bat.
Ob ich mir nicht
vorstellen könne, zum Priesteramt berufen zu sein? Sicher, du bist
noch jung, da kann man das noch nicht so genau wissen, und später in
der Jugendzeit kommt dann noch die Frage dazu, ob man wirklich zum
Zölibat berufen ist, aber ich möge doch in mich hineinhorchen. Und
wenn ich ein Ja hören würde, ob es dann nicht sinnvoll wäre, nach
Graz ins bischöfliche Knabenseminar zu gehen und dort im Internat
wohnen und das Gymnasium zu besuchen.
Der Herr Dechant
betonte nochmals, daß man das mit der Berufung in diesen jungen
Jahren noch nicht sicher wissen könne, und daß sich das erst später
deutlich herausstellen wird, aber ob ich in mir so eine Art Zug in
diese Richtung verspüre. Dann wäre das mit dem Knabenseminar schon
sinnvoll, auch wenn es sich später als Irrtum herausstellen sollte.
Ich möge in mich hineinhorchen und das alles gut prüfen. Wenn es
ein ja wird, dann soll ich mit meinen Eltern reden und dann zu ihm
kommen, um alles zu regeln.
Ich war wie vom
Donner gerührt. Aber wie das der Dechant zu mir gesagt hat – das
war alles sauber. Noch nie hatte wer zu mir gesagt, daß ich in mich
hineinhorchen solle, schon gar nicht zur eigenen Orientierung! Daß
es so etwas in mir gibt, eine innere Stimme, der ich vertrauen kann,
das hatte ich bei meinen Eltern nie gehört, dort war ich falsch und
sollte so sein, wie der, der aufgeweckt ist und laut und deutlich
„Grüß Gott, Frau Rumpf!“ grüßt und dabei dem Gegenüber in die
Augen schaut. Oder wie der, der selbstbewußt, selbstsicher,
furchtlos und sportlich ist.
Ich fühlte mich
und war in diesem Gespräch mit dem Dechant respektiert und ernst
genommen, und sehe noch heute darin meine Begabung gefordert und
gefördert.
Und ich horchte
in mich hinein. Drei Tage lang kämpfte ich um Klarheit. Ich hatte
viele Bedenken, ob ich wirklich geeignet sei, ob ich seelisch stark
genug sei, ob ich wirklich berufen sei. Ich weiß noch genau, daß
der Verzicht auf Ehe, Familie und Kinder der schwerste Brocken war.
Ich weiß auch nicht, was ich mir damals unter Ehe vorgestellt hatte;
vielleicht gehörte das für mich einfach zum Bild eines normalen
Lebenslaufes, vielleicht aber spürte ein Teil von mir genau, worum
es ging – um einen schweren Verzicht.
Es zog mich sehr
zu diesem Priesteramt hin, mit der Annahme des Zölibats kämpfte ich
am längsten. Schließlich hatte ich das Bild vor mir, wie ich den
Kelch bei der Wandlung hebe, und sagte „Ja“.
Man könnte dazu
schnell sagen, „Vollzugswichtigtuerei (W. Döbereiner) läßt
grüßen“, oder doch, Welt und Leben werden in etwas verwandelt,
das fähig ist, den Himmel aufzunehmen und „in der Welt zur
Erscheinung zu bringen“ (W. Döbereiner).
Wie auch immer –
trotz aller Bedenken sagte ich „ja“.
Dann redete ich
mit meinen Eltern! Ich will Priester werden und deswegen nach Graz
ins Knabenseminar. Mehr brauchte es nicht. Ich löste damit, vor
allem bei meiner Mutter, große Irritation und einen hysterischen
Anfall aus. Neben mir sagte sie zu meinem Vater, daß die mich
(sinngemäß) einfangen wollen, daß ich mich von denen zu sehr
beeinflußen lasse und wie unerhört das sei – die genauen Worte
weiß ich nicht mehr. Die könnten durchaus schärfer gewesen sein.
Dabei war sie ganz aufgeregt, fuchtelte mit den Händen herum, Panik
in den Augen. Priester, das sind keine richtigen Männer!
Selten zeigte
sie ihre Abscheu vor und ihren Haß auf die Kirche so offen. Sie ist
in Vorau aufgewachsen, einem Ort im Schatten eines großen und
mächtigen Stiftes, die sexuellen Beziehungen von Mönchen bevorzugt
zu verheirateten Frauen waren ortsbekannt, genauso wie sexuelle
Übergriffe auf und Mißbrauch von Kindern. Aber alle Anzeigen wurden
niedergeschlagen. Erst „unter Hitler“, wie meine Mutter gerne
betonte, kam es zu Anzeigen und Verurteilungen. Halb verdeckt
verachtete meine Mutter die Kirche. Auch wenn sie als Mutter eines
Ministranten sonntags in die Kirche ging.
Am nächsten Tag
hatte sie sich vom Schock erholt und sagte zu mir, ganz ruhig und um
einen sachlichen Tonfall bemüht: „Also das Internat in Graz können
wir uns nicht leisten. Es ist doch einfacher, du besuchst das
Gymnasium in Stainach, dem Nachbarort, das ist billiger und wenn du
dann wirklich Priester werden willst, dann legen Vati und ich dir
nichts in den Weg.“
Klingt
vernünftig, nicht? Ich fühlte aber deutlich, daß da etwas nicht
stimmte, daß das nicht ganz ehrlich war, aber wenn wir es uns nicht
leisten können? Und ich verstand ja auch gar nicht so recht, was sie
dagegen haben. Und ich ließ mich ja auch leicht verunsichern, und
bin ich wirklich berufen? Oder bilde ich mir das nur ein? Und wie
wäre das im Internat?
Also fand ich
mich mit dieser Vereinbarung ab und sagte es dem Dechant. Der meinte
noch, das es bei finanziellen Problemen der Eltern Förderungen gäbe,
aber es war zu spät. Diese Sache war entschieden.
Jetzt aber
hatten meine Eltern, vor allem meine Mutter, eine neue Sorge: daß
ich homosexuell sei oder homosexuell zu werden drohte. Meine Mutter,
die sich für eine gute (Laien)Psychologin hielt, meinte das alles
klar erkannt zu haben. Psychologie war für sie – wie für viele
echte Psychologen auch – das Einteilen, Bewerten und Beurteilen von
Menschen. Für meinen Vater, den sportlichen ehemaligen SS-Mann, im
Krieg mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet, im Leben tüchtig,
bei ihm – so empfand ich es – war ich sowieso schon längst als
Versager abgeschrieben und so überließ er mich meiner Mutter, nur
in gelegentlichen gewalttätigen Wutanfällen gegen mich zeigte sich
sein „Interesse“ an mir.
Also Verdacht
auf Homosexualität. Jetzt ging es los, die ganzen Jahre über:
„warum redest du nicht mit dem Mädchen dort?“ „Schau, die hat
dich freundlich gegrüßt.“ Und so weiter.
Meine Mutter
hatte einen Bruder, der homosexuell war. Er war ihr Lieblingsbruder,
sie seine Lieblingsschwester. Er war nach Canada ausgewandert und
starb an Krebs. Mit dem Geld, das er meiner Mutter vermacht hatte,
bauten sich meine Eltern ein Einfamilienhaus.
Jetzt begann sie
mich dauernd mit ihrem Bruder zu vergleichen, der übrigens auch im
Sternzeichen Fisch geboren war, wie ich. „Die gleiche Geste, wie
der Herbert!“ „Jetzt hast du genau so dreingeschaut wie der
Herbert, der gleiche Blick!“ „Wie der Herbert!“
Wenn ich mich
zur Wehr setzte, so sagte sie. „Ich werde dich doch noch mit meinem
Bruder vergleichen dürfen!“ Ja, was konnte ich da als Jugendlicher
dagegen sagen? Ich war ja selber verunsichert.
Zu den
peinlichsten Szenen meiner Kindheit – ich werde etwa zwölf,
dreizehn Jahre alt gewesen sein – gehörte, wie sie mit der
Baumeisterin Pilz, bei uns im Wohnzimmer, in meiner Anwesenheit, im
Geplauder auf das Thema unmännliche Burschen und Männer gekommen,
auf mich deutend, halblaut sagte, so als sollte ich es nicht hören.
„Der auch! Der wird auch nicht richtig. Der wird auch kein
richtiger Mann. Unsportlich ...“ und so weiter.
Ich war glühend
rot im ganzen Gesicht, Hals, Kopfhaut. Nach dem ersten Schock
schwitzte ich vor Scham und Hitze. Ich wußte nicht, wo hinschauen,
ich wollte in den Boden versinken. Ich schämte mich so. Ich konnte
mich nicht rühren, nicht sprechen.
Und wenn ich
wirklich ins Knabenseminar gekommen wäre? Dann hätte ich mir das
erspart.
Wann immer ich
diese Geschichte meiner Berufung erzähle, ernte ich meistens
Reaktionen in der Art: „Wie kann man das einem Neunjährigen
zumuten! Also wirklich arg! In dem Alter kann man doch noch nicht
eine solche Lebensentscheidung treffen. So eine Überforderung!“
Nein! Nein!
Nein! Man kann. Auch als Neunjähriger. Das war eine echte
Lebensentscheidung. Und ich kann mein Scheitern auch als Folge der
Tatsache beschreiben, daß ich mir meine Berufung wie das Schauferl
im Kindergarten wegnehmen lassen habe.
Ich bin in
diesem Berufungsgespräch in einem Ausmaß ernst genommen und
geachtet worden, wie selten in meinem Leben. Wie Romano Guardini
sinngemäß sagt, muß man, damit es zu einer guten
Berufsentscheidung kommt, hoch ansetzen. Seinen Idealismus, die
Flügel seines Lebenstraumes weit entfalten. Es wagen, sich Großes
zuzutrauen.
Und ich bin an
der Schwelle gestanden, dies zu tun. Es wäre für mich
selbstverständlich geworden, zu lesen und zu schreiben, am
Schreibtisch zu arbeiten. Das wäre akzeptiert und erwünscht gewesen
und ich wäre nicht ständig in ein duales Leben hinausgejagt worden,
für das ich gar keine Anlagen mitgebracht habe.
Der Weg zu
Wissen und Wissenschaft wäre offen gewesen, zum sozialen Aufstieg
und zu geregeltem Einkommen auch, und wenn ich an meine
„protomystischen“ Ministrantenerlebnisse denke, vielleicht auch
der Weg zur Mystik.
Ich wäre den
Erwartungen der Eltern und der Familie entkommen und hätte meine
geistigen Begabungen entfalten können.
Und wäre ich
dort mißbraucht worden? Ich glaube nicht.
Wenn ich die
Theorie Döbereiners dazu ernst nehme, - und das tue ich in diesem
Fall - dann nicht.
Er sagt, es gäbe
keinen Mißbrauch an einem Kind, wenn es die Eltern – meistens der
gleichgeschlechtliche Elternteil – nicht vorher zum Mißbrauch
freigegeben hätten. Bewußt oder unbewußt. Das Kind bekommt ein
Pickerl drauf: ich halte auch nichts von diesem Kind. Zum Mißbrauch
freigegeben! Die Täter reagieren lediglich auf dieses Angebot. Sie
machen sich dabei natürlich schwer schuldig – wenn man diese
Kategorie verwenden will – aber die Fäden ziehen die Eltern. Für
das gefährdete Kind ist es die Rettung, die Vorstellungswelt der
Eltern zu verlassen.
Wenn ich ins
Seminar gegangen wäre, dann wäre ich den Erwartungen,
Vorstellungen, Urteilen der Eltern entkommen und – wenn die Theorie
Döbereiners zutrifft – wäre mir dort nichts passiert.
Es ist mir auch
in all den Jahren der Nähe zur katholischen Kirche nichts passiert.
Dort war ich geschützt.
Und ich selber?
Wäre ich im kirchlichen Kontext gefährdet gewesen, ein
Mißbrauchstäter zu werden? Wenn das wirklich meine Berufung gewesen
ist, dann hätte ich mit meinen Schritt ins Seminar einen großen
Schritt in die Richtung gemacht, alles Destruktive in mir, alle
Unreife, Verbogene abzustreifen, oder besser gesagt, das Gesunde,
Heile, Schöne dahinter zur Entfaltung zu bringen. Wenn es die rechte
Berufung war.
Und das Leben im
Zölibat? War ich "dem Himmel auserkoren"?
Auch wenn das schief gegangen wäre – ich kenne einige abgesprungene Priesteramtskandidaten oder Priester, die in anderen Bereichen ihren Beruf gefunden haben: als Erwachsenenbildner, in den Medien, auf der Universität, als Psychologen, Therapeuten etc.
Auch wenn das schief gegangen wäre – ich kenne einige abgesprungene Priesteramtskandidaten oder Priester, die in anderen Bereichen ihren Beruf gefunden haben: als Erwachsenenbildner, in den Medien, auf der Universität, als Psychologen, Therapeuten etc.
Ihre Jahre als
Seminaristen haben ihnen geholfen, sich aus der Welt ihrer Herkunft
herauszuentwickeln und in der akademischen Welt anzukommen. Das ist
gerade für Leute von nicht-akademischer Herkunft eine wichtige
Transformation.
Und ich hatte ja
keinen Mutterauftrag, Priester zu werden. Konflikte diesbezüglich
waren nicht zu befürchten.
Aber ich hatte
es als Neunjähriger ernst gemeint; ich glaubte, dem Himmel
auserkoren zu sein, oder zumindest, daß einiges daraufhin deutet.
Also, wie wäre es mir mit dem Zölibat ergangen? Schwer zu sagen.
Aber ich hatte gute Ansätze dafür.
Später in Graz, bereits als ein
aus der Kirche Ausgetretener und Religionsloser hatte ich eine
Zeit eines zwar unfreiwilligen, aber akzeptierten Zölibats. Es war
nicht die schlechteste Zeit meines Lebens.
Ich hatte damals
schon mit einer Frau geschlafen, also die gesellschaftliche Forderung
war erfüllt. Auf die Frage „hast du?“ konnte ich „ja“ sagen.
Das hatte mich sehr erleichtert.
Aber meine naive
Hoffnung, wenn es das erstemal passiert ist, dann geht es so richtig
los, war falsch. Ich blieb genauso schüchtern.
Dann begann ich,
Carlos Castaneda zu lesen (damals gab es erst die ersten drei Bände
auf Deutsch) und irgendetwas in meinem Inneren rückte sich zurecht.
Ich sagte mir:
gut, du rennst schon seit Jahren dieser Idee nach. Beinah dein ganzes
Bewußtsein ist von dieser Idee „Sex“ besetzt und du treibst dich
seit Jahren auf dieser frustrierenden Suche herum. Es ist nichts
Gescheites daraus geworden. Ich akzeptiere das jetzt. Ich akzeptiere
ohne Bedauern, daß ich keine Frau „erobern“ kann und schaue mich
um, was es sonst noch alles im Leben gibt. Damit ich nicht ganz blöd
dastehe: ich kann sagen, ich habe mit einer Frau geschlafen – ich
muß ja nicht erzählen, unter welch eigenartigen und verwirrenden
Umständen. Aber jetzt lasse ich es sein.
Ich hatte mich
damit für ein zölibatäres Leben entschieden, beziehungsweise
dieses mein zölibatäres Leben akzeptiert.
Religiöse
Überhöhung hatte ich keine dafür – ich lebte immer noch in der
Achtundsechziger Vorstellungswelt – höchstens vom gerade
aufkommenden Feminismus her, ich war ja schließlich auch einer der
Mitbegründer der meines Wissens ersten Männergruppe Österreichs in
Graz: „wir Männer benützen die Frauen – ich möchte davon
einmal ein wenig Abstand nehmen“.
Diese Aussage
war natürlich eine klassische
Die-Trauben-die-zu-hoch-hängen-sind-sauer-Aussage und ich ahnte gar
nicht, wie sehr das vom „Ausnützen der Frauen“ zutrifft,
besonders auf mich, wie sich bald herausstellen wird.
Jetzt einmal
fiel eine ungeheure Last von mir ab. Ich lebte für mich, ging in die
Disco nur zum Tanzen, liebte Musik, lesen, herumwandern, per
Autostop, per Zug, per Bus das Umland erkunden, bis nach Slowenien
reichten meine Ausflüge und ich war recht glücklich dabei.
Ich achtete
besser auf meine Ernährung, fastete, hörte zu trinken auf.
Ich schaffte es
in dieser Zeit, die Szene, in die ich mich wie in einen Mutterschoß
verkrochen hatte, zu verlassen und nach Wien zu übersiedeln –
nicht ohne vorher noch einen weitausladenden Umweg über Schweden
gemacht zu haben und begleitet von der einen oder anderen komischen,
unausgewogenen Aktion.
Ganz wichtig
war, daß ich zu trinken aufhörte und wie ich schon an anderer
Stelle geschrieben habe, hörte mein Onanierzwang auf. Ja, ich begann
ein richtiges keusches Leben zu führen. „Keusch“ übrigens nach
Mackensen, Ursprung der Wörter, von Lateinisch conscius eingeweiht,
bewußt.
Ohne es recht zu
merken, entdeckte ich den Energiekörper, von dem die Zauberer um
Castaneda sagen, daß er kein Geschlecht hat. Ich kam dem luziden
Träumen nahe, stand vor der „ersten Pforte des Träumens“ (C.
Castaneda) ohne es zu wissen, da die Bücher, wo Castaneda darüber
schreibt, noch gar nicht veröffentlicht waren. Nebenbei gesagt auch
noch nicht die, in denen er erzählt, was die Zauberer und Seher über
die Sexualität sagen. Wieder stand ich an der Schwelle zu etwas
Großem, Atemberaubenden und wie man schon sehen kann, wurde
Castaneda für mich allmählich so etwas wie meine nichtreligiöse
„Religion“.
Ja,
es war eine interessante Zeit, in der ich allein in einer
scheußlichen Bude lebte, viel herumwanderte, vieles entdeckte.
Nur
beruflich kam ich auf keinen grünen Zweig. Die Tischlerei war nicht
das Richtige für mich und wieder stand ich vor der Frage – was
tun?
Weil
ich den Frauen nicht mehr hinterherlief, gelang das, was ich vorher so
verzweifelt gesucht hatte, ich lernte eine Frau kennen, die dann
meine Freundin wurde und mit der ich sieben Jahre zusammen war.
Das
ist eine Geschichte für sich, letztlich eine tragische, und man
könnte sagen, jetzt begann der gleiche Irrsinn wieder von vorne.
Festzuhalten
ist: meine zölibatäre und keusche Zeit war eine gute Zeit. Und wie
Maria Elena „La Gorda“, eine Mitkämpferin Castanedas sagte: „Ich
werde immer etwas für [echte;
P.R.]
Nonnen und Priester übrig haben. Wir sind ähnlich. Wir haben die
Welt aufgegeben, und doch leben wir mitten in ihr. Priester und
Nonnen könnten großartige fliegende Zauberer sein, wenn jemand
ihnen sagen würde, daß sie das können.“ (Carlos Castaneda, Der
zweite Ring der Kraft; Seite 226).
Und
heute noch kann es sein, daß mir die Tränen in die Augen kommen,
wenn ich Mönche oder Nonnen sehe, meistens noch jung, noch nicht
verdreht, noch ganz offen, noch mit dem Leuchten in den Augen, noch
dabei, den ganz großen Lebensentwurf zu verwirklichen.
©Peter
Rumpf 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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