Montag, 13. April 2015

112 Admont


Ich bin in Admont geboren. Meine ersten dreieinhalb Lebensjahre lebte meine Familie dort.
Mein Vater arbeitete bei der Bundesversuchsanstalt für alpenländische Landwirtschaft, die zunächst in Admont angesiedelt war und dann ins Schloß Gumpenstein nahe Irdning übersiedelte.
Die Bundesversuchsanstalt war schon in Gumpenstein, aber die Buwog-Wohnungen für die Angestellten noch nicht gebaut. Mein Vater hatte sich in Irdning beim Tauscher ein Zimmer genommen und lebte und arbeitete also in Irdning, meine Mutter mit mir in Admont.
Damals arbeitete man auch noch samstags, am Anfang bis zum Abend, später nur mehr bis Mittag. So kam mein Vater durchschnittlich nur alle zwei Wochen am Samstag Abend „auf Besuch“. Sonntag am späteren Nachmittag mußte er wieder zurückfahren.
Aus dieser Zeit habe ich nur zwei Erinnerungen an ihn.

Einmal sind wir - Vater, Mutter, Kind - von Admont in die Kaiserau gewandert. Ich weiß nicht mehr, wie alt da ich war. Ich bin gegangen. Nach einem ordentlichen Stück des Weges fragte mich mein Vater, ob ich schon müde sei und er mich ein Stück tragen solle. Ich verneinte. Später, als ich dann doch müde war, traute ich mich nicht, es ihm zu sagen. Also ging ich tapfer zu Fuß bis in die Kaiserau. Das sind gut acht Kilometer. Ich weiß noch, daß mein Vater stolz auf mich war, daß ich kleiner Knirps ohne zu Jammern so weit gegangen bin und er hat es auch öfters erzählt.

Dort kehrten wir irgendwo ein. Ob es ein Gasthaus war oder ein Privatbesuch, das weiß ich nicht mehr. Es müßte schon das Schloß gewesen sein. Ich glaube, es war doch ein Gasthaus.
Jedenfalls saß da ein Mädchen – etwa im gleichen Alter wie ich – auf dem „Thron“. So nannten wir diese Stühle mit eingebautem „Topferl“ zur Verrichtung der Notdurft.
Ich hatte auch so einen „Thron“ aus Holz zuhause, mit einer Sperre gegen das Herunterfallen vorm Bauch, auf der sich ein paar bunte Holzkugeln auf einer Metallspange befanden, die man hin- und herschieben konnte. Ich liebte meinen „Thron“ und fand ihn ganz super.

Das Mädchen hatte aber einen noch tolleren Stuhl - die Sperre bestand nämlich nicht bloß aus einer schmalen Holzleiste wie bei mir, sondern war eine richtige Holzfläche, wie ein kleines Reißbrett, und sie konnte daher beim Verrichten der Notdurft zeichnen! Am Thron sitzen und zeichnen! Und Kugeln zum Verschieben hatte sie auch!
Ich stellte es mir ganz großartig und genußvoll vor, darauf zu sitzen und zu zeichnen.

Da verspürte ich zum erstenmal klar und deutlich Neid. Ich war ihr das neidig. Der Neid fraß sich richtig brennend in mein Gedärm.
Nur schwer konnte ich es aushalten, daß sie dieses Wunder an Stuhl hatte und ich nicht.
Ich glaube nicht, daß ich etwas gesagt habe, etwa in der Art: das will ich auch. Oder doch? Hier verdunkelt sich meine Erinnerung, wie ein Traumfragment, das sich an seinen Rändern auflöst. Auch an den Rückweg habe ich überhaupt keine zugängliche Erinnerung.

Die zweite Erinnerung an meinen Vater in Admont ist folgende:

Er war offensichtlich an einem Werktag zuhause, vielleicht hatte er ein paar Tage Urlaub. Er wollte für mich ein Spielzeug kaufen gehen, ich sollte ihn begleiten. Wir wohnten im ersten Stock eines Einfamilienhauses in Untermiete, an der Straße vom Bahnhof Richtung Kaiserau, ein kleines Stück hinter den Baracken für die Kriegsflüchtlinge, die es damals noch gab.

Wir gingen also die Straße hinunter über die Geleise zum Park vorm Stift. Ich an seiner Hand. Etwas ungewohnt und befremdend für mich, mein Vater war mir ja nicht so vertraut. Ungewohnt auch, daß ich mit ihm allein ausgehe.
Das Geschäft - ich denke immer an eine Trafik, kann das sein? - jedenfalls sehr klein, befand sich am Rande dieses Parks und man mußte auch auf einer Brücke einen Bach überqueren, der dort unten rauschte und tobte. Da hat es mir die Ohren verschlagen. Und zum erstenmal war mir das voll bewußt.
Ich war ganz mit diesem Phänomen beschäftigt, das mich durchaus etwas irritiert hat und unheimlich war.

Als wir ins Geschäft kamen, hatte ich immer noch verschlagene Ohren. Mein Vater fragte mich, was ich haben wolle. Der Verkäufer zeigte mir zwei Dinge, ich glaube, zwei verschiedene Matadorteile, und ich sollte mich entscheiden. Ich wußte es nicht. Ich war irritiert, fremdelte, traute mich nichts sagen. Wußte nicht, was ich wollte. Wollte ich überhaupt etwas? Die verschlagenen Ohren nahmen meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich war überfordert. Ich brachte kein Wort heraus. Mehrmals versuchten beide, mein Vater und der Verkäufer, mich zu einer Entscheidung, einer Stellungnahme zu bringen und redeten freundlich und auffordernd auf mich ein. Erfolglos. Da sagte mein Vater – Enttäuschung in der Stimme, sich fast entschuldigend – zum Verkäufer oder Inhaber: „Er ist halt noch nicht so weit.“ und kaufte eines der Holzstückchen für mich.

Und noch eine kleine Szene fällt mir jetzt ein:

Es war auch in der Admonter Zeit, wo, weiß ich nicht mehr, vermutlich am großen Platz vor oder bei der Stiftskirche, oder auch im Park davor. Ich war mit beiden Eltern unterwegs und irgendetwas hatte meine Aufmerksamkeit angezogen. Darum hatte ich die Hand meines Vaters losgelassen und bin dort hingegangen um mir die Sache genauer anzuschauen.
Als ich wieder mit den Eltern weitergehen sollte – wahrscheinlich hatten sie mich auch schon gerufen – wollte ich wieder die Hand meines Vaters ergreifen, schaute aber gleichzeitig noch zurück zu dem faszinierenden Ding und – scheinanwesend wie ich war – nahm ich die Hand eines fremden Mannes ohne es zu merken. Wir sind schon ein paar Schritte nebeneinander gegangen, als ich mich hindrehte und zu ihm aufschaute. Ich erschrak furchtbar, als ich den fremden Mann sah. Der lachte freundlich und ich schaute mich schnell um und sehe jetzt auch meine Eltern ein paar Meter weiter stehen und lachen. Schnell laufe ich zu ihnen hin. Mein Vater machte noch scherzhafte Bemerkungen darüber, an die ich mich nicht erinnern kann.




©Peter Alois Rumpf April 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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