112 Admont
Ich bin in Admont geboren. Meine ersten
dreieinhalb Lebensjahre lebte meine Familie dort.
Mein Vater arbeitete bei der
Bundesversuchsanstalt für alpenländische Landwirtschaft, die
zunächst in Admont angesiedelt war und dann ins Schloß Gumpenstein
nahe Irdning übersiedelte.
Die Bundesversuchsanstalt war schon in
Gumpenstein, aber die Buwog-Wohnungen für die Angestellten noch nicht gebaut. Mein Vater hatte sich in Irdning beim
Tauscher ein Zimmer genommen und lebte und arbeitete also in Irdning,
meine Mutter mit mir in Admont.
Damals arbeitete man auch noch
samstags, am Anfang bis zum Abend, später nur mehr bis Mittag. So
kam mein Vater durchschnittlich nur alle zwei Wochen am Samstag Abend
„auf Besuch“. Sonntag am späteren Nachmittag mußte er wieder
zurückfahren.
Aus dieser Zeit habe ich nur zwei
Erinnerungen an ihn.
Einmal sind wir - Vater, Mutter, Kind -
von Admont in die Kaiserau gewandert. Ich weiß nicht mehr, wie alt
da ich war. Ich bin gegangen. Nach einem ordentlichen Stück des Weges fragte mich mein Vater, ob ich schon
müde sei und er mich ein Stück tragen solle. Ich verneinte. Später,
als ich dann doch müde war, traute ich mich nicht, es ihm zu sagen.
Also ging ich tapfer zu Fuß bis in die Kaiserau. Das sind gut acht
Kilometer. Ich weiß noch, daß mein Vater stolz auf mich war, daß
ich kleiner Knirps ohne zu Jammern so weit gegangen bin und er hat es
auch öfters erzählt.
Dort kehrten wir irgendwo ein. Ob es
ein Gasthaus war oder ein Privatbesuch, das weiß ich nicht mehr. Es
müßte schon das Schloß gewesen sein. Ich glaube, es war doch ein
Gasthaus.
Jedenfalls saß da ein Mädchen –
etwa im gleichen Alter wie ich – auf dem „Thron“. So nannten
wir diese Stühle mit eingebautem „Topferl“ zur Verrichtung der
Notdurft.
Ich hatte auch so einen „Thron“ aus
Holz zuhause, mit einer Sperre gegen das Herunterfallen vorm Bauch, auf der
sich ein paar bunte Holzkugeln auf einer Metallspange befanden, die
man hin- und herschieben konnte. Ich liebte meinen „Thron“ und
fand ihn ganz super.
Das Mädchen hatte aber einen noch
tolleren Stuhl - die Sperre bestand nämlich nicht bloß aus einer
schmalen Holzleiste wie bei mir, sondern war eine richtige
Holzfläche, wie ein kleines Reißbrett, und sie konnte daher beim
Verrichten der Notdurft zeichnen! Am Thron sitzen und zeichnen! Und
Kugeln zum Verschieben hatte sie auch!
Ich stellte es mir ganz großartig und
genußvoll vor, darauf zu sitzen und zu zeichnen.
Da verspürte ich zum erstenmal klar
und deutlich Neid. Ich war ihr das neidig. Der Neid fraß sich
richtig brennend in mein Gedärm.
Nur schwer konnte ich es aushalten, daß
sie dieses Wunder an Stuhl hatte und ich nicht.
Ich glaube nicht, daß ich etwas gesagt
habe, etwa in der Art: das will ich auch. Oder doch? Hier verdunkelt
sich meine Erinnerung, wie ein Traumfragment, das sich an seinen
Rändern auflöst. Auch an den Rückweg habe ich überhaupt keine
zugängliche Erinnerung.
Die zweite Erinnerung an meinen Vater
in Admont ist folgende:
Er war offensichtlich an einem Werktag
zuhause, vielleicht hatte er ein paar Tage Urlaub. Er wollte für
mich ein Spielzeug kaufen gehen, ich sollte ihn begleiten. Wir
wohnten im ersten Stock eines Einfamilienhauses in Untermiete, an der
Straße vom Bahnhof Richtung Kaiserau, ein kleines Stück hinter den
Baracken für die Kriegsflüchtlinge, die es damals noch gab.
Wir gingen also die Straße hinunter
über die Geleise zum Park vorm Stift. Ich an seiner Hand. Etwas
ungewohnt und befremdend für mich, mein Vater war mir ja nicht so
vertraut. Ungewohnt auch, daß ich mit ihm allein ausgehe.
Das Geschäft - ich denke immer an
eine Trafik, kann das sein? - jedenfalls sehr klein, befand sich am
Rande dieses Parks und man mußte auch auf einer Brücke einen Bach
überqueren, der dort unten rauschte und tobte. Da hat es mir die
Ohren verschlagen. Und zum erstenmal war mir das voll bewußt.
Ich war ganz mit diesem Phänomen
beschäftigt, das mich durchaus etwas irritiert hat und unheimlich war.
Als wir ins Geschäft kamen, hatte ich
immer noch verschlagene Ohren. Mein Vater fragte mich, was ich haben
wolle. Der Verkäufer zeigte mir zwei Dinge, ich glaube, zwei
verschiedene Matadorteile, und ich sollte mich entscheiden. Ich wußte
es nicht. Ich war irritiert, fremdelte, traute mich nichts sagen.
Wußte nicht, was ich wollte. Wollte ich überhaupt etwas? Die
verschlagenen Ohren nahmen meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich war
überfordert. Ich brachte kein Wort heraus. Mehrmals versuchten
beide, mein Vater und der Verkäufer, mich zu einer Entscheidung,
einer Stellungnahme zu bringen und redeten freundlich und auffordernd
auf mich ein. Erfolglos. Da sagte mein Vater – Enttäuschung in der
Stimme, sich fast entschuldigend – zum Verkäufer oder Inhaber: „Er
ist halt noch nicht so weit.“ und kaufte eines der Holzstückchen
für mich.
Und noch eine kleine Szene fällt mir
jetzt ein:
Es war auch in der Admonter Zeit, wo,
weiß ich nicht mehr, vermutlich am großen Platz vor oder bei der
Stiftskirche, oder auch im Park davor. Ich war mit beiden Eltern
unterwegs und irgendetwas hatte meine Aufmerksamkeit angezogen. Darum
hatte ich die Hand meines Vaters losgelassen und bin dort hingegangen
um mir die Sache genauer anzuschauen.
Als ich wieder mit den Eltern
weitergehen sollte – wahrscheinlich hatten sie mich auch schon
gerufen – wollte ich wieder die Hand meines Vaters ergreifen,
schaute aber gleichzeitig noch zurück zu dem faszinierenden Ding und
– scheinanwesend wie ich war – nahm ich die Hand eines fremden
Mannes ohne es zu merken. Wir sind schon ein paar Schritte nebeneinander
gegangen, als ich mich hindrehte und zu ihm aufschaute. Ich erschrak
furchtbar, als ich den fremden Mann sah. Der lachte freundlich und
ich schaute mich schnell um und sehe jetzt auch meine Eltern ein paar
Meter weiter stehen und lachen. Schnell laufe ich zu ihnen hin. Mein
Vater machte noch scherzhafte Bemerkungen darüber, an die ich mich
nicht erinnern kann.
©Peter
Alois Rumpf April 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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