Sonntag, 19. April 2015

116 DJ


Der DJ läßt eine Coverversion von Creams Sunshine of Your Love spielen. Camillo Zorres ist verärgert. Dreimal ansetzen, daß ein bißerl ein Leben rauskommt: „lo...“ aus .. „lo...“ aus .. „looove“; von einer angestrengten, verengten Frauenstimme ohne tiefere Schwingungen … Kaum Leben in den unteren Schichten.
Camillo Zorres! Das ist gemein! Auch wenn man verärgert ist läßt man sich nicht so gehen und urteilt nicht so apodiktisch! Woher willst du das so genau wissen?

Camillo Zorres ärgert sich schon den ganzen Tag, weil er nicht nach Hause kann. Er ist vom Job müde und muß morgen früh aufstehen. Aber jetzt muß er warten. Er tut es für einen guten Zweck. Er hat es zugesagt.
Camillo Zorres, das haben wir schon gern – in schlechter Laune für einen guten Zweck unterwegs sein!

Außerdem ist die Musik im Raum eine Spur zu laut. Die Ohren dröhnen und surren noch von der Arbeit.
Ah! jetzt kommt eine Coverversion von The Letter von den Box Tops. Mit Frauenstimme. Das ist jetzt viel besser!
Jetzt wird ihm langsam behaglich, hier, im eingezäunten Bereich der Lounge, im Warteraum des Lebens.

Aber er spürt seinen Magen. Drücken. Leichte Schmerzen.
Ein Raucher geht in den Garten, zwei Raucher kommen vom Garten herein.

Jetzt kommen lauter Fünfzigerjahreschlager und Rock n Roll-Hits. Das mag Camillo Zorres gar nicht. Er bringt aber gar keinen rechten Ärger mehr zustande. Der Magen drückt, die Musik nervt, seine Frau liest Krimi. Er hat vorher mit ihr nicht richtig geredet. Ihm ist nichts eingefallen. Wenn ihm etwas eingefallen ist, hat er es innerlich verworfen als zu wenig interessant.

Er hat sich im Job ausgeredet und seine Ohren sind heute schon voll. Sie sind zu müde, die eintreffenden Töne einzuordnen. Sein Hören verschwimmt, wie der Blick verschwimmen kann. Das läßt ihn sich fremd in der Welt fühlen.
Jetzt kommt ein Hit der Stones, Under My Thumb. Gleich geht es ihm besser. Ausgerechnet bei den Stones, denen er jede Nostalgie verweigert und die er sich nie anhört. Eine – vom DJ? - verfremdete Version? Sie klingt etwas eigenartig und eine Spur zu schnell.

Eine ganze Gruppe Raucher vom Nebentisch geht in den Garten, einer mit Pfeife. Manchmal haben sie mich Schreibenden ein wenig gemustert, aber nicht unfreundlich. In der Musik mag ich die Fünfzigerjahre einfach nicht.

Jetzt kommt etwas Unbekanntes, Neues, Angenehmes. Etwas Jazziges. Ich versinke ... – Nein! bleiben wir bei Camillo Zorres! Auch wenn der Ärger schon ziemlich verraucht ist.
Also: Camillo Zorres versinkt in seine Fremdheit. Das Fremdsein kommt ihm so vertraut vor. Ein Deja Vu aus abertausenden Fremdheiten, die ihm – ineinandergestapelt zur Gestalt - beinah zur Heimat geworden sind.

Au weh! Wieder die Fünfzigerjahre. Für Zorres eine audiometrische Hochschaubahn am Rande des Praters. Alle Versionen der Hits wirken überzeichnet.

Im geräumigen Klo wirft eine einfache Notlichtlampe eine wunderschöne Lichtzeichnung an die Wand, unabsichtlich und seitlich. Wie eine reine, leuchtende Skizze des Flurs, der in paradiesische Wohnungen führt.

Die ungeliebte Musik drückt weiter auf den Magen. Mit der Verdauung stimmt etwas nicht. Jetzt kündigt sich schöne Musik an. Wird es dabei bleiben? Die Stimme der Sängerin ist … zu manieriert? Der Chor … zu schnell? Als wollten sie es eilig hinter sich bringen. Als müßten sie schnell fertig werden? Arbeitsdruck und Leistungsstress zu hoch? Schade. Es hat schön angefangen.

„Schade“, denkt sich Camillo Zorres. „Gehen wir. Wir sollten gehen. Meine Frau ist noch müder als ich.“

Wie dicklich überschminkte Damen im Kopfweh ihre leicht verächtlich ausgreifenden Blicke abwehrend abschicken, so haben im Garten die Magnolien ihre schönen, dicken Blütenblätter achtlos ins Gras geworfen. Tut mir leid, liebe Gartenfreunde – bei Magnolien muß ich immer an die Prusseliese aus Pippi Langstrumpf denken.



©Peter Alois Rumpf April 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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