128 Surren
„Ich bin leicht verführbar!“,
denkt sich Camillo Zorres. „Im Traum wollte ich nach Hause, ließ
mich aber überreden, weiter zu reisen. Oder war's umgekehrt? Einmal
wollte ich einkaufen, aber ließ mich überreden, meine Frau zu
begleiten, bis die Geschäfte geschlossen waren. Oder: einst wollte
ich keusch sein, und....“ Nein, das ist gelogen.
Mein Atem geht ruhig und sanft.
Er schaukelt mich sanft und leicht.
Meine Augen sind vom Schlafsand
verklebt. In den Ohren surrt es stark. Der Wecker tickt heimelig.
„Laß die Aggressionen raus, Georg!“, hatte ich im Traum gehört.
„Schrei!“
Die Ohren surren lauter, in einer
eigenartigen eintönig-betörenden Symphonie. Die Masse der Töne
wird dünner und dann wieder stärker, wie ein Strom, der sich in
seinem Lauf verengt oder verbreitert. Es ist eine beinah feierliche
Symphonie, wie ein endloser Schlußakkord, wo sich alle erheben.
Jetzt schwingt dieser Strom; ich merke, er kann schweben. Wo kommt er
her? Er klingt, als käme er aus dem All, als schrille Sphärenmusik,
ohne die tieferen Töne. Sozusagen der aufgeregtere Teil des
Gesamtkunstwerks. Die Töne sind schrill, ihr Fließen ganz ruhig.
Das erzeugt eine eigenartige Spannung. Darum will ich mit dem Zuhören
nicht aufhören.
Allmählich scheint der Strom leiser zu
werden. Nicht mehr so breit. Dafür stechender, wie ein
konzentrierter Wasserstrahl.
Auch dieser Strahl wird schwächer und
weicher. Weniger Wasserdruck.
Ich muß jetzt aufs Klo.
Ich habe mir mein Gesicht gewaschen,
und mich damit aufgeweckt, das Surren ist ganz leise, wie von Ferne.
Jetzt lausche ich wieder und es wird
wieder stärker, aber nicht mehr so dicht. Sozusagen kleineres
Orchester. Oder der Weltallorganist legt nicht mehr seine Arme ganz
auf die Tasten, sondern nur mehr seine zehn Finger.
Der Schalldruck ist eindeutig
schwächer. Weniger Pathos, dafür mehr intim. Persönlicher, wenn
man so will. Nicht mehr so mitgerissen im Strom. Man kann in dem Fluß
noch stehen.
Jetzt wird es wieder stärker, meine
Wachheit läßt nach, oder besser, sie geht nach innen.
Jetzt werde ich unruhig. Die Welt
draußen meldet sich an. Aufstehen, üben, frühstücken – das
schiebt sich nach vorn. Die Konzentration zum Lauschen ist nicht mehr
gegeben. Mir wird die Symphonie bereits fad.
Und hungrig bin ich auch. Ich habe über
siebzehn Stunden lang nichts mehr gegessen.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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