Freitag, 8. Mai 2015

128 Surren


„Ich bin leicht verführbar!“, denkt sich Camillo Zorres. „Im Traum wollte ich nach Hause, ließ mich aber überreden, weiter zu reisen. Oder war's umgekehrt? Einmal wollte ich einkaufen, aber ließ mich überreden, meine Frau zu begleiten, bis die Geschäfte geschlossen waren. Oder: einst wollte ich keusch sein, und....“ Nein, das ist gelogen.

Mein Atem geht ruhig und sanft.
Er schaukelt mich sanft und leicht.
Meine Augen sind vom Schlafsand verklebt. In den Ohren surrt es stark. Der Wecker tickt heimelig. „Laß die Aggressionen raus, Georg!“, hatte ich im Traum gehört. „Schrei!“

Die Ohren surren lauter, in einer eigenartigen eintönig-betörenden Symphonie. Die Masse der Töne wird dünner und dann wieder stärker, wie ein Strom, der sich in seinem Lauf verengt oder verbreitert. Es ist eine beinah feierliche Symphonie, wie ein endloser Schlußakkord, wo sich alle erheben. Jetzt schwingt dieser Strom; ich merke, er kann schweben. Wo kommt er her? Er klingt, als käme er aus dem All, als schrille Sphärenmusik, ohne die tieferen Töne. Sozusagen der aufgeregtere Teil des Gesamtkunstwerks. Die Töne sind schrill, ihr Fließen ganz ruhig. Das erzeugt eine eigenartige Spannung. Darum will ich mit dem Zuhören nicht aufhören.

Allmählich scheint der Strom leiser zu werden. Nicht mehr so breit. Dafür stechender, wie ein konzentrierter Wasserstrahl.
Auch dieser Strahl wird schwächer und weicher. Weniger Wasserdruck.

Ich muß jetzt aufs Klo.
Ich habe mir mein Gesicht gewaschen, und mich damit aufgeweckt, das Surren ist ganz leise, wie von Ferne.

Jetzt lausche ich wieder und es wird wieder stärker, aber nicht mehr so dicht. Sozusagen kleineres Orchester. Oder der Weltallorganist legt nicht mehr seine Arme ganz auf die Tasten, sondern nur mehr seine zehn Finger.
Der Schalldruck ist eindeutig schwächer. Weniger Pathos, dafür mehr intim. Persönlicher, wenn man so will. Nicht mehr so mitgerissen im Strom. Man kann in dem Fluß noch stehen.
Jetzt wird es wieder stärker, meine Wachheit läßt nach, oder besser, sie geht nach innen.

Jetzt werde ich unruhig. Die Welt draußen meldet sich an. Aufstehen, üben, frühstücken – das schiebt sich nach vorn. Die Konzentration zum Lauschen ist nicht mehr gegeben. Mir wird die Symphonie bereits fad.
Und hungrig bin ich auch. Ich habe über siebzehn Stunden lang nichts mehr gegessen.





©Peter Alois Rumpf  Mai 2015     peteraloisrumpf@gmail.com

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