127 Das Luftballonherz
Ein Luftballonherz, das sich in einer
U-Bahnstation, oben, ganz versteckt in so einer Art Nische oder Luke
verfangen hat, beobachte ich schon seit Wochen. Es ist mir einmal
zufällig aufgefallen, als ich auf der Bank gesessen bin und die
schönen Mosaike betrachtet habe. Aber heute bin ich traurig. Es
erinnert mich an mein eigenes Herz. Immer wenn eine U-Bahn kommt und
ihren Wind macht, fängt das Luftballonherz zu hüpfen an, also würde
es sich freuen und gleich freikommen. Dann ist die U-Bahn mit ihrem
Wind wieder weg und es hängt immer noch fest.
Ich fahre mit der U-Bahn. Ich steige
aus und habe noch Zeit. Ich gehe nach „Admont“ und habe die
Bäume, die Schienen der Eisenbahn, den Schranken, die Bretterwand
mit den Plakaten, die Pflanzen und Sträucher dabei auf schottrigem
Boden gesehen, die kleinen Brücken, die auf steingemauerten
Fundamenten ruhen, die Barackensiedlung der Kriegsflüchtlinge und
Vertriebenen. Die ins Unkraut ausfransenden Straßen und Wege. Das
kleine Geschäft in der Bretterbude....
Eine ungeheure Traurigkeit hat sich auf
mich gelegt, wie ein schwergewichtiger Nebel.
Dieser Nebel war dann ganz leicht zu
vertreiben, indem ich die richtigen Worte schrieb, am Gehsteig, im
Freien, das Buch in der Hand.
Ein Mann, der macht, was ihm gefällt.
Was ihm gut tut. Was er mag.
Vorher, beim großen, schlanken Mann
habe ich viel geredet, wie ein Kind, das sich verplappert,
verplaudert. Wird er es gegen mich verwenden? Nein, sage ich, nein.
Eine Frau schiebt auf einer Rodel ein
überlanges Paket vorbei. Wo bin ich? Die gelbe Post fährt vorbei,
weil's wirklich wichtig ist. Dort habe ich auch einmal gearbeitet.
Eine andere Frau wiederum schiebt ihren
Kinderwagen vorbei und schaut auf das Handy.
Ein Lieferwagen paßt sich perfekt an.
Eine englischsprachige Tangente berührt
die französische Blase.
Das Luftballonherz. Wenn man
hineinsticht, kommt Luft heraus, nicht Blut und Wasser.
Noli me tangere, sagt der angebliche
Gärtner.
Die Decke ist gerippt, wie eine Oblate.
Die reicht nicht zum Abendmahl, kommt mir vor.
Ein Mann mit einer Krücke schimpft
sich langsam am Lieferwagen vorbei, indem er sich an dessen
Zierleiste anhält und meint, man könne ihn mal.
Viele reden so vor sich hin, mit oder
ohne Geräte, wie ich. Manchmal aber rede ich heimlich mit Bäumen
und Sternen.
Viele Frauen haben schon schöne
Brüste.
(Ich denke, sie dürfen es hören!)
Jetzt bin ich wieder ein Kind, das
seine Mutter enttäuscht. Wo ist der Faden zur Freiheit?
(Anscheinend agiere ich auf
verschiedenen Ebenen.)
Die Nabelschnur ist es nicht. Die
Nabelschnur gehört durchtrennt!
(Auf der einen Ebene setze ich an, die
Nabelschnur zu durchschneiden, auf der anderen bandle ich wieder an.)
Ich denke an ein einfaches, gezeichnetes Bild, das in der Zeitung immer über einer Kolumne stand, damals, in meiner Kindheit. Auf der letzten Seite, in der Nähe der Witze. Es zeigte junge, "tratschende" Frauen, fröhlich und kommunikativ. Ich sehe es undeutlich und deutlich vor mir, es ist hängen geblieben und ich erinnere mich, was sich der Bub damals fragte: "Werde ich jemals zurechtkommen damit?" Werde ich ein Gegenüber sein können?
Ich schaue ihr offen in die offenen
Augen und sehe den Schmerz. Ich kann sie umarmen ohne unterzugehen. "Meine liebe Frau", sage ich, "ich steh an deiner Seite! Egal, wie es dir geht." So spricht der erwachsene Mann.
Ich sinniere still und schaue hinaus. Eine dicke Frau in blauer Weste geht wiegend vorbei, ein blauer Lastwagen schaukelt beim Einbiegen, er kann die Kurve nicht kratzen, er muß mehrmals vor und zurück.
Jüngere Leute schieben ein Rad, ein
Cymbal und ein Projekt vorbei. „Brauchst irgendwas?“ fragt die
Frau draußen am Telefon. „Erlösung, Erlösung!“, denke ich.
Mein Ego was anderes.
Vom Mann sehe ich nur die Füße, und
die nur im Spiegel. Seine Socken sind genauso braun wie meine. Ganz
gleich.
Jetzt wird es still und ich will
losgehen. Jetzt ist ein Schönling gekommen und küßt eine Frau. Er
macht Wind, schaut aus wie ein gestylter Wolf. Sehr gefährlich!
Sicher sehr gefährlich. Er geht wieder weiter.
Wenn ich faste, wird meine Haut dünn.
Proud Mary schiebt sich flott vorbei.
Schluß! Aus! Ich geh' jetzt!
Als ich dem Bettler eine Münze gab,
mußte ich fast weinen. Weil ich so gerührt war von meiner
Gutmenschlichkeit? Oder weil wir uns in gegenseitiger Verneigung
begegnen? Und er mich leben läßt so wie ich ihn?
Wer kann die Fäden entwirren?
Tief atme ich bei meinen
Lieblingsbäumen.
Eine Frau mit festem Hintern läßt
ihren Hund scheißen und räumt das Ergebnis schnell weg.
Beinah hätte ich die Fettwülste eines
dicken, geschminkten Mannes in wallenden Gewändern von Weitem für Brüste gehalten. Er setzt sich gleich auf die nächste Bank und schaut mich lange an. Da kann man nur
sagen, geschieht mir recht.
Der Wind wird stärker und rüttelt.
Vielleicht fliegt das Lose davon.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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