Donnerstag, 7. Mai 2015

127 Das Luftballonherz


Ein Luftballonherz, das sich in einer U-Bahnstation, oben, ganz versteckt in so einer Art Nische oder Luke verfangen hat, beobachte ich schon seit Wochen. Es ist mir einmal zufällig aufgefallen, als ich auf der Bank gesessen bin und die schönen Mosaike betrachtet habe. Aber heute bin ich traurig. Es erinnert mich an mein eigenes Herz. Immer wenn eine U-Bahn kommt und ihren Wind macht, fängt das Luftballonherz zu hüpfen an, also würde es sich freuen und gleich freikommen. Dann ist die U-Bahn mit ihrem Wind wieder weg und es hängt immer noch fest.

Ich fahre mit der U-Bahn. Ich steige aus und habe noch Zeit. Ich gehe nach „Admont“ und habe die Bäume, die Schienen der Eisenbahn, den Schranken, die Bretterwand mit den Plakaten, die Pflanzen und Sträucher dabei auf schottrigem Boden gesehen, die kleinen Brücken, die auf steingemauerten Fundamenten ruhen, die Barackensiedlung der Kriegsflüchtlinge und Vertriebenen. Die ins Unkraut ausfransenden Straßen und Wege. Das kleine Geschäft in der Bretterbude....

Eine ungeheure Traurigkeit hat sich auf mich gelegt, wie ein schwergewichtiger Nebel.
Dieser Nebel war dann ganz leicht zu vertreiben, indem ich die richtigen Worte schrieb, am Gehsteig, im Freien, das Buch in der Hand.

Ein Mann, der macht, was ihm gefällt. Was ihm gut tut. Was er mag.

Vorher, beim großen, schlanken Mann habe ich viel geredet, wie ein Kind, das sich verplappert, verplaudert. Wird er es gegen mich verwenden? Nein, sage ich, nein.

Eine Frau schiebt auf einer Rodel ein überlanges Paket vorbei. Wo bin ich? Die gelbe Post fährt vorbei, weil's wirklich wichtig ist. Dort habe ich auch einmal gearbeitet.
Eine andere Frau wiederum schiebt ihren Kinderwagen vorbei und schaut auf das Handy.
Ein Lieferwagen paßt sich perfekt an.
Eine englischsprachige Tangente berührt die französische Blase.
Das Luftballonherz. Wenn man hineinsticht, kommt Luft heraus, nicht Blut und Wasser.
Noli me tangere, sagt der angebliche Gärtner.
Die Decke ist gerippt, wie eine Oblate. Die reicht nicht zum Abendmahl, kommt mir vor.

Ein Mann mit einer Krücke schimpft sich langsam am Lieferwagen vorbei, indem er sich an dessen Zierleiste anhält und meint, man könne ihn mal.

Viele reden so vor sich hin, mit oder ohne Geräte, wie ich. Manchmal aber rede ich heimlich mit Bäumen und Sternen.

Viele Frauen haben schon schöne Brüste.
(Ich denke, sie dürfen es hören!)
Jetzt bin ich wieder ein Kind, das seine Mutter enttäuscht. Wo ist der Faden zur Freiheit?
(Anscheinend agiere ich auf verschiedenen Ebenen.)
Die Nabelschnur ist es nicht. Die Nabelschnur gehört durchtrennt!
(Auf der einen Ebene setze ich an, die Nabelschnur zu durchschneiden, auf der anderen bandle ich wieder an.)

Ich denke an ein einfaches, gezeichnetes Bild, das in der Zeitung immer über einer Kolumne stand, damals, in meiner Kindheit. Auf der letzten Seite, in der Nähe der Witze. Es zeigte junge, "tratschende" Frauen, fröhlich und kommunikativ. Ich sehe es undeutlich und deutlich vor mir, es ist hängen geblieben und ich erinnere mich, was sich der Bub damals fragte: "Werde ich jemals zurechtkommen damit?" Werde ich ein Gegenüber sein können?
Ich schaue ihr offen in die offenen Augen und sehe den Schmerz. Ich kann sie umarmen ohne unterzugehen. "Meine liebe Frau", sage ich, "ich steh an deiner Seite! Egal, wie es dir geht." So spricht der erwachsene Mann.

Ich sinniere still und schaue hinaus. Eine dicke Frau in blauer Weste geht wiegend vorbei, ein blauer Lastwagen schaukelt beim Einbiegen, er kann die Kurve nicht kratzen, er muß mehrmals vor und zurück.

Jüngere Leute schieben ein Rad, ein Cymbal und ein Projekt vorbei. „Brauchst irgendwas?“ fragt die Frau draußen am Telefon. „Erlösung, Erlösung!“, denke ich. Mein Ego was anderes.

Vom Mann sehe ich nur die Füße, und die nur im Spiegel. Seine Socken sind genauso braun wie meine. Ganz gleich.

Jetzt wird es still und ich will losgehen. Jetzt ist ein Schönling gekommen und küßt eine Frau. Er macht Wind, schaut aus wie ein gestylter Wolf. Sehr gefährlich! Sicher sehr gefährlich. Er geht wieder weiter.

Wenn ich faste, wird meine Haut dünn.
Proud Mary schiebt sich flott vorbei.
Schluß! Aus! Ich geh' jetzt!

Als ich dem Bettler eine Münze gab, mußte ich fast weinen. Weil ich so gerührt war von meiner Gutmenschlichkeit? Oder weil wir uns in gegenseitiger Verneigung begegnen? Und er mich leben läßt so wie ich ihn?
Wer kann die Fäden entwirren?

Tief atme ich bei meinen Lieblingsbäumen.
Eine Frau mit festem Hintern läßt ihren Hund scheißen und räumt das Ergebnis schnell weg.
Beinah hätte ich die Fettwülste eines dicken, geschminkten Mannes in wallenden Gewändern von Weitem für Brüste gehalten. Er setzt sich gleich auf die nächste Bank und schaut mich lange an. Da kann man nur sagen, geschieht mir recht.

Der Wind wird stärker und rüttelt. Vielleicht fliegt das Lose davon.




©Peter Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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