132 Survival Of The Fittest
Das Zerreißen des schlecht
perforierten Papiers hat einen kurzen Stich in Kopf ausgelöst. Ich
höre ein Tageskind weinen. Eher vor Zorn als vor Schmerz. Wenn ich
es richtig deute. Die Katze tretelt auf meiner Decke und hält
Abstand dabei. Loslassen. Es geht immer ums Loslassen. Ich lasse das
Schreiben jetzt los und beginne zu lesen. Und dann beginne ich
einzuschlafen.
Komuskra Dengli schläft gerade ein. Da
reißt ihn ein Gedanke hoch: „Diese beschissene Kriegsgeneration!
Weil sie survivt haben, glaubten sie, sie wären the fittest. Uns
warfen sie vor, daß wir keinen Krieg überlebt haben. Dieses
Selbstmitleid, auch wenn es stumm ist. Wir sollten merken, wie toll
und arm sie sind. Toll waren sie, vom Bösen besessen; und arm auch.
An Mitgefühl. An Selbsterkenntnis. An innerem Reichtum. Wir sind
ihre Söhne, mit ihrem Samen gezeugt, in den Schößen enttäuschter
Weiber, die sie vorher noch bewundert hatten. Als sie noch marschiert
sind.
Wir müssen das Erbe verwalten. Es
sitzt in unseren verdrehten Genen, sprachlos, kalt, stumm,
geschwätzig, verlogen. Launige, falsche Wärme. Falsches, leeres
Pathos. Anzügliche Scherze und schlechte Witze. Das ist kein Erbe,
das nährt. Verweigern können wir es auch nicht. Zumindest nicht
leicht. Unsere Gene zertrümmert vom Krieg. Ach, lassen wir es gut
sein!“
Eine Katze klettert Komuskra Dengli auf
die Brust. Er kann nicht mehr schreiben.
Er geht hinunter und holt sich einen
Topf aus dem Geschirrspüler, weil er Reis kochen will. Da fährt ihm
ein Schmerz in das Kreuz, daß er sich kaum noch aufrichten kann.
Jetzt hat er Angst bekommen. Er gibt sein Fasten auf. Hoffentlich
schafft er es morgen zum Arzt.
Ich habe mich im Wartezimmer unter den
Bildschirm gesetzt. So muß ich ihn nicht anstarren. Ich mag keine
Ordinationen. Das Kreuz tut weh. Warum schon wieder? Verzagtheit
breitet sich aus. Sie gilt nicht. Was hat mich aus der Bahn geworfen?
Was hilft mir die Revolution in der Schmerzmedizin, die am Plakat
stattfindet? Ich glaube davon kein Wort. Ich glaube an das alles
nicht. Handys sind abzudrehen. Ich mache es. Mich krümmt es
zusammen. Es gongt dezent. Auch eine Energiematte gibt es auf der
Pinnwand, aber meine Energie ist matt. Jetzt impfen gegen die Zecken!
Niemals! Kommt nicht in Frage.
Ein Joker wird auch versprochen, von
einem seriös dreinschauenden Arschloch. Ich glaube, mich frißt der
Haß. Ist das der Grund für den Kreuzschmerz? Die Wut gestern beim
Einschlafen? Die im Halbtraum hochgestiegen ist?
Daß ich sie fürs Ego eingesetzt habe?
Daß ich eine Generation verurteilt
habe – was mir nicht zusteht?
Der Wasserspender
surrt. Alles surrt, surrt, surrt, auch der Bildschirm hinten über
mir, die Wut in mir.
Die Frau trägt eine rote Hose; ich
will nicht wissen, was das heißt. Der Mann im blauen Pullover blickt
unsicher-wichtig umher. Er hat seinen Platz gefunden. Ich schaue die
rote Frau an, ihre Füße sind ganz zart. Ein junger Mann mit Haube,
der redet mit der Arzthelferin. „Ausgebrannt?“ fragt die
Pinnwand, ich höre jetzt auf zu schreiben.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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