Montag, 18. Mai 2015

132 Survival Of The Fittest


Das Zerreißen des schlecht perforierten Papiers hat einen kurzen Stich in Kopf ausgelöst. Ich höre ein Tageskind weinen. Eher vor Zorn als vor Schmerz. Wenn ich es richtig deute. Die Katze tretelt auf meiner Decke und hält Abstand dabei. Loslassen. Es geht immer ums Loslassen. Ich lasse das Schreiben jetzt los und beginne zu lesen. Und dann beginne ich einzuschlafen.

Komuskra Dengli schläft gerade ein. Da reißt ihn ein Gedanke hoch: „Diese beschissene Kriegsgeneration! Weil sie survivt haben, glaubten sie, sie wären the fittest. Uns warfen sie vor, daß wir keinen Krieg überlebt haben. Dieses Selbstmitleid, auch wenn es stumm ist. Wir sollten merken, wie toll und arm sie sind. Toll waren sie, vom Bösen besessen; und arm auch. An Mitgefühl. An Selbsterkenntnis. An innerem Reichtum. Wir sind ihre Söhne, mit ihrem Samen gezeugt, in den Schößen enttäuschter Weiber, die sie vorher noch bewundert hatten. Als sie noch marschiert sind.
Wir müssen das Erbe verwalten. Es sitzt in unseren verdrehten Genen, sprachlos, kalt, stumm, geschwätzig, verlogen. Launige, falsche Wärme. Falsches, leeres Pathos. Anzügliche Scherze und schlechte Witze. Das ist kein Erbe, das nährt. Verweigern können wir es auch nicht. Zumindest nicht leicht. Unsere Gene zertrümmert vom Krieg. Ach, lassen wir es gut sein!“

Eine Katze klettert Komuskra Dengli auf die Brust. Er kann nicht mehr schreiben.
Er geht hinunter und holt sich einen Topf aus dem Geschirrspüler, weil er Reis kochen will. Da fährt ihm ein Schmerz in das Kreuz, daß er sich kaum noch aufrichten kann. Jetzt hat er Angst bekommen. Er gibt sein Fasten auf. Hoffentlich schafft er es morgen zum Arzt.

Ich habe mich im Wartezimmer unter den Bildschirm gesetzt. So muß ich ihn nicht anstarren. Ich mag keine Ordinationen. Das Kreuz tut weh. Warum schon wieder? Verzagtheit breitet sich aus. Sie gilt nicht. Was hat mich aus der Bahn geworfen? Was hilft mir die Revolution in der Schmerzmedizin, die am Plakat stattfindet? Ich glaube davon kein Wort. Ich glaube an das alles nicht. Handys sind abzudrehen. Ich mache es. Mich krümmt es zusammen. Es gongt dezent. Auch eine Energiematte gibt es auf der Pinnwand, aber meine Energie ist matt. Jetzt impfen gegen die Zecken! Niemals! Kommt nicht in Frage.

Ein Joker wird auch versprochen, von einem seriös dreinschauenden Arschloch. Ich glaube, mich frißt der Haß. Ist das der Grund für den Kreuzschmerz? Die Wut gestern beim Einschlafen? Die im Halbtraum hochgestiegen ist? Daß ich sie fürs Ego eingesetzt habe? Daß ich eine Generation verurteilt habe – was mir nicht zusteht? Der Wasserspender surrt. Alles surrt, surrt, surrt, auch der Bildschirm hinten über mir, die Wut in mir.

Die Frau trägt eine rote Hose; ich will nicht wissen, was das heißt. Der Mann im blauen Pullover blickt unsicher-wichtig umher. Er hat seinen Platz gefunden. Ich schaue die rote Frau an, ihre Füße sind ganz zart. Ein junger Mann mit Haube, der redet mit der Arzthelferin. „Ausgebrannt?“ fragt die Pinnwand, ich höre jetzt auf zu schreiben.




©Peter Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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