130 Mein großer Diebstahl
Was ich jetzt erzählen will, passierte
gleich nach meinem Arbeitsunfall, am selben Tag oder am Tag danach,
im Dezember 77.
Ich habe schon oft hergeschrieben,
welch ein Widerspruch zwischen meinen Ideen im Kopf und meiner
charakterlichen Verfaßtheit war. Im Kopf wollte ich ein linker
Rebell sein, im wirklichen Leben war ich ein schüchterner, im Grunde
braver, autoritätshöriger Mensch, mit vielen Skrupeln und großer
Anfälligkeit dafür, sich für jeden Schmarrn schuldig zu fühlen.
Irgendwie ist mir das schon
aufgefallen, umso mehr habe ich mich angestrengt, rebellisch zu
werden. Ich las Zeitungen wie den Pflasterstrand oder den
Heidelberger Carlo Sponti, bewunderte zum Beispiel die dort
geschilderten Kämpfe und obwohl ich vor so etwas wie Straßenkämpfen
Angst gehabt hätte – die Leute, die das machten, bewunderte ich.
Endlich welche, die sich wehren! Die sich was trauen!
Daß ich ein Trauminet bin, war der
ständige Vorwurf der Eltern in meiner Kindheit. Ich hatte auch in
meiner Pubertät nicht „richtig“ rebelliert, sondern nur einen
Zeitungsartikel über einen jugendlichen Selbstmörder an die Wand
über meinem Bett gehängt. (Der hatte sich umgebracht, weil er keine langen Haare haben durfte). Viel mehr war's nicht. Ansonsten hat
meine „Rebellion“ so ausgesehen, daß ich überbrav war. Zum
Beispiel in der Schule nicht abschreiben, obwohl das meine Eltern
saublöd fanden und mir Vorwürfe machten, daß ich so stur und
weltfremd bin. So in dem Sinn - „das macht doch jeder!“
Ja und jetzt war ich links und wollte
wild sein. Ich wollte unbedingt etwas Verbotenes machen, endlich
meine Bravheit und meine Angst überwinden. Aber ich konnte es nicht!
Die „Aktion Wetzawinkel“ (hier in
der Schublade Nummer 100) galt in diesem Zusammenhang nicht, weil es
ja nicht meine Idee war und ich bloß mitgemacht habe. Dasselbe
dachte ich auch über meine schwarze Zugfahrt von Aachen nach
Regensburg; das war zwar meine Idee, aber allein hätte ich das nie
gemacht. (siehe „Wie ich auf die Bücher Carlos Castanedas kam“
hier Nummer 99).
Ich ging also ein, zwei Tage nach
meinem Arbeitsunfall mit meiner verbundenen Hand zum Kastner und
Öhler einkaufen. Ich trug damals lange Haare und brauchte
Haarspangerl. Irgendetwas wollte ich noch fragen und es war kein
Verkäufer aufzufinden, oder ich fand die Kassa im Stockwerk nicht
gleich – jedenfalls denke ich, „ich geh jetzt einfach ohne zu
zahlen hinaus“. Die Chance für eine rebellische Tat. Unter großem Herzklopfen und mit großer Angst
machte ich es so.
Und tatsächlich, kaum verlasse ich das
Kaufhaus, war schon ein Hausdetektiv da und hat mich gestellt. Ich
mußte mit ins Büro. Was heißt „mußte“ - ich weiß gar nicht,
ob ich gemußt hätte – ich ging halt brav mit. Und auf dem Weg ins
Büro fand der bemerkenswerte Dialog statt, weswegen ich das alles
erzähle, der meine unglaubliche Weltfremdheit offenbart.
Ich: „Sie werden mir das nicht
glauben, aber das ist das erstemal, daß ich etwas gestohlen habe.“
Er: „Warum soll ich Ihnen das nicht
glauben?“
Jetzt wurde mir erst bewußt, welch
lächerliche Tat ich begangen hatte! Ein Haarspangerl! Ein
Haarspangerl! Ich, der große Möchtegernrevoluzzer will ein
Haarspangerl stehlen – und nicht einmal das gelingt ihm! Oh wie
peinlich! Wie furchtbar peinlich das Ganze!
Ich wollte vor Scham in den Boden
versinken, aber nicht wegen des versuchten Diebstahls, sondern weil
es ein so lächerlicher Diebstahl war und noch dazu mißlingt.
Ich mußte dann eine Erklärung
unterschreiben, daß ich bis ins Jahr XY das Kaufhaus nicht betrete.
An das weitere Gespräch mit mit dem Detektiv kann ich mich nicht
mehr erinnern. Aber daran, von ihm
soetwas wie Mitleid mit mir verspürt zu
haben. Ich war mir zwar nicht sicher, aber habe mich innerlich
gewehrt, daß mich das berührt.
Mein Gott! Ich glaube, ich hätte
damals einfach jemandem gebraucht, bei dem ich mich richtig ausweinen hätte
können, weil ich mit dem Leben überhaupt nicht zurecht kam.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015
peteraloisrumpf@gmail.com
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