Dienstag, 12. Mai 2015

130 Mein großer Diebstahl


Was ich jetzt erzählen will, passierte gleich nach meinem Arbeitsunfall, am selben Tag oder am Tag danach, im Dezember 77.
Ich habe schon oft hergeschrieben, welch ein Widerspruch zwischen meinen Ideen im Kopf und meiner charakterlichen Verfaßtheit war. Im Kopf wollte ich ein linker Rebell sein, im wirklichen Leben war ich ein schüchterner, im Grunde braver, autoritätshöriger Mensch, mit vielen Skrupeln und großer Anfälligkeit dafür, sich für jeden Schmarrn schuldig zu fühlen.

Irgendwie ist mir das schon aufgefallen, umso mehr habe ich mich angestrengt, rebellisch zu werden. Ich las Zeitungen wie den Pflasterstrand oder den Heidelberger Carlo Sponti, bewunderte zum Beispiel die dort geschilderten Kämpfe und obwohl ich vor so etwas wie Straßenkämpfen Angst gehabt hätte – die Leute, die das machten, bewunderte ich. Endlich welche, die sich wehren! Die sich was trauen!

Daß ich ein Trauminet bin, war der ständige Vorwurf der Eltern in meiner Kindheit. Ich hatte auch in meiner Pubertät nicht „richtig“ rebelliert, sondern nur einen Zeitungsartikel über einen jugendlichen Selbstmörder an die Wand über meinem Bett gehängt. (Der hatte sich umgebracht, weil er keine langen Haare haben durfte). Viel mehr war's nicht. Ansonsten hat meine „Rebellion“ so ausgesehen, daß ich überbrav war. Zum Beispiel in der Schule nicht abschreiben, obwohl das meine Eltern saublöd fanden und mir Vorwürfe machten, daß ich so stur und weltfremd bin. So in dem Sinn - „das macht doch jeder!“

Ja und jetzt war ich links und wollte wild sein. Ich wollte unbedingt etwas Verbotenes machen, endlich meine Bravheit und meine Angst überwinden. Aber ich konnte es nicht!
Die „Aktion Wetzawinkel“ (hier in der Schublade Nummer 100) galt in diesem Zusammenhang nicht, weil es ja nicht meine Idee war und ich bloß mitgemacht habe. Dasselbe dachte ich auch über meine schwarze Zugfahrt von Aachen nach Regensburg; das war zwar meine Idee, aber allein hätte ich das nie gemacht. (siehe „Wie ich auf die Bücher Carlos Castanedas kam“ hier Nummer 99).

Ich ging also ein, zwei Tage nach meinem Arbeitsunfall mit meiner verbundenen Hand zum Kastner und Öhler einkaufen. Ich trug damals lange Haare und brauchte Haarspangerl. Irgendetwas wollte ich noch fragen und es war kein Verkäufer aufzufinden, oder ich fand die Kassa im Stockwerk nicht gleich – jedenfalls denke ich, „ich geh jetzt einfach ohne zu zahlen hinaus“. Die Chance für eine rebellische Tat. Unter großem Herzklopfen und mit großer Angst machte ich es so.
Und tatsächlich, kaum verlasse ich das Kaufhaus, war schon ein Hausdetektiv da und hat mich gestellt. Ich mußte mit ins Büro. Was heißt „mußte“ - ich weiß gar nicht, ob ich gemußt hätte – ich ging halt brav mit. Und auf dem Weg ins Büro fand der bemerkenswerte Dialog statt, weswegen ich das alles erzähle, der meine unglaubliche Weltfremdheit offenbart.

Ich: „Sie werden mir das nicht glauben, aber das ist das erstemal, daß ich etwas gestohlen habe.“
Er: „Warum soll ich Ihnen das nicht glauben?“

Jetzt wurde mir erst bewußt, welch lächerliche Tat ich begangen hatte! Ein Haarspangerl! Ein Haarspangerl! Ich, der große Möchtegernrevoluzzer will ein Haarspangerl stehlen – und nicht einmal das gelingt ihm! Oh wie peinlich! Wie furchtbar peinlich das Ganze!
Ich wollte vor Scham in den Boden versinken, aber nicht wegen des versuchten Diebstahls, sondern weil es ein so lächerlicher Diebstahl war und noch dazu mißlingt.

Ich mußte dann eine Erklärung unterschreiben, daß ich bis ins Jahr XY das Kaufhaus nicht betrete. An das weitere Gespräch mit mit dem Detektiv kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber daran, von ihm soetwas wie Mitleid mit mir verspürt zu haben. Ich war mir zwar nicht sicher, aber habe mich innerlich gewehrt, daß mich das berührt.
Mein Gott! Ich glaube, ich hätte damals einfach jemandem gebraucht, bei dem ich mich richtig ausweinen hätte können, weil ich mit dem Leben überhaupt nicht zurecht kam.






©Peter Alois Rumpf  Mai 2015     peteraloisrumpf@gmail.com

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