131 Der zerfallende Text
Komuskra Dengli ist müde, schwach und
trinkt Kräutertee. Er fastet. Beim großen, schlanken Mann hat er
viel erzählt. Zum Schluß hat er gesagt: „Und dennoch!“, „Es
ist gut!“ und „Ich bin bereit!“
Ein Geräusch dominiert die Umgebung,
das ich zuerst für das einer Kreissäge gehalten habe, aber dafür
ist es zu weich. Der gelbe Telefonierer läßt den Motor seines
Lieferwagens laufen. Jetzt ist er weg und das weiche Geräusch ist
wieder deutlich zu hören.
Komuskra Dengli ist dünnhäutig. Klar
und verhuscht gleichzeitig. Wie in einem leichten Rausch. Sein
inneres Gedankenkarussell dreht sich, zu schnell, als daß er es
hinschreiben kann. Nicht zum Derlesen!
Eine schwarze Frau eilt aufrecht, stolz
und fröhlich vorbei, sie lächelt kurz ins Fenster. Hat sie sich
selber gesehen? Sich selbst anlächeln ist wichtig! Man kann sich
aber auch im Anderen anlächeln. Oder? Der Transportlogist
übersiedelt ins „in & Ausland“.
Ich würde gerne die Welt liebkosen.
Was sagt der Asket dazu? Draußen: vergitterte Fenster und
Doppelkinns. So viele verletzte Seelen! Der Mann sagt „Tag!“ ohne
den Mund zu bewegen, es platzt einfach weich aus seinem halboffenen
Mund heraus.
Der Mensch hat eine verletzliche Seele
und dennoch ist er stark. Wir sind nicht so stabil, wie wir denken,
dafür halten wir uns tapfer zusammen.
Der Mann mit dem „Tag!“ winkt;
jetzt bin ich neugierig, wem. Sie kommen und es scheinen Freunde zu
sein. Sie reden in einer slawischen Sprache.
Ich werde zu segnen versuchen, heimlich
und ohne zu reden. Die Wochentage haben unterschiedliche Frequenzen,
im Handel, im Kaffeehaus und so. Ein leichter Schauder massiert
meinen Hinterkopf. Ich wandere weiter. Ich freue mich drauf.
Ich gehe gern. Oh wie gerne ich gehe!
Als Pilger durch die Welt. Als Pilger durchs Universum. Egal, ob es
stumm ist oder nicht. (Das Universum ist natürlich nicht stumm).
Komuskra Dengli schwankt mehr als er
geht in seiner Fastenschwäche, aber das Schweberische gefällt ihm.
Er fastet nämlich reis.
Jetzt ist gut rasten bei der gelben
Macht. Hinter ihm die Birke, links die Riesenplatane, vor ihm der
Wächter der gelben Macht, der melancholisch dreinschaut.
Unruhig kommen die Tauben herbei, der
Wind blättert blind eine leere Seite um. Jetzt bin ich verstummt,
jetzt schreib ich nicht mehr.
Manchmal spürt man ganz, ganz feine
Regentropfen, vereinzelt. Eine Taube gibt nicht auf und umrundet
meine Füße. Eine obdachlos dreinschauende Frau füttert die Tauben
dezent.
Sieben trockene Blätter haben sich
aufgespießt. Bei der stacheligen Taubenabwehr über der Schokolade.
Darüber sind es nocheinmal mehr.
Es gibt viele telefonierenden Männer,
ernsthaft, fast fromm schauen sie drein, aber mit Sorgenfalten. Und
ebensolche Frauen.
Das Motorrad stinkt. Der Putztrupp
kommt heute auf Rädern.
Jetzt drängt es mich wieder zum
Aufstehen. Der Wächter wirkt nun nervös. Wirkt mein Schreiben
verdächtig?
Komuskra Dengli ärgert sich maßlos.
Über alles regt er sich auf. Nichts passt in der Küche. Seine Pläne
sind schon durchkreuzt. Er denkt, er geht schlafen, dabei kritzelt er
noch. Die Nachbilder halten schon länger, und bilden eine
grünleuchtende Spur. Er bleibt heute doch in der Kammer.
Aufs Segnen hat er vergessen. Nur
einmal zuckte er kurz.
Die Töne im Ohr surren schriller, ich
schaue ratlos herum.
Irgendwo im Haus wird eine Tür
zugeschlagen, oder die Tür schlägt selber zu. Es zittert, vibriert
bis zu mir herauf.
Eine Spinnwebe wirft ihren Schatten,
ich fange ihn nicht auf.
Er bleibt an der Decke kleben.
Eine andere macht es ihr nach.
Komuskra Dengli hatte Mitleid mit dem
Essen, das er jetzt nicht aß, aber sonst schon gegessen hätte.
Verblüfft stellte er fest, daß Nahrungsmittel nicht verkommen zu
lassen ein Motiv für ihn ist, viel zu essen. Die getöteten Tiere
und Pflanzen sollten wenigstens durch Verspeisen gewürdigt werden
und nicht weggeworfen. Wo hat er das her?
Das Gebläse der Klimaanlage draußen
vorm Fenster – oder ist es ein Dunstabzug? - konkurriert mit dem
Surren im Ohr.
Ich liege im Bett und versuche zu
schreiben. Es geht nicht. Nichts fügt sich zu Sätzen. „Surren“
kann ich schreiben, oder „Ticken des Weckers“, das war's. Ich
fühle nichts, oder ich kann es nicht erfassen. Mir fehlen nicht die
Worte, sondern das Material. Ich habe keine Assoziationen, zumindest
keine, die weiterführen. Der Zustand ist mir nicht unangenehm. Ich
habe Zeit, langsam und schöner zu schreiben als sonst. Nichts drängt
sich auf. Ich weiß nichts zu erzählen. Es gibt nichts, was der Rede
wert ist. Aber das ist mir recht. Ich lebe mehr „vegetativ“.
Oder wie ein langsames Tier, das in Zeitlupe über den Boden
krabbelt. Oder soll ich schreiben „auf dem Boden krabbelt“? Oder
„über die Erde“?, „auf der Erde“?, oder „am Grunde der
Welt“?
„Am Grunde der Moldau, da wandern die
Steine...“ Warum fällt mir das ein? Weil mein Vater in Prag
stationiert war? Wohl eher, weil ich viel Wolf Biermann gehört habe.
„Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es liegen vier Kaiser
begraben in Prag..“ - das ist seine Version des Brechtliedes.
Warum
jetzt Prag? Weil meine Schwester von Prag erzählt hat?
Mir
zerfallen die Gedanken, sie zerbröseln wie Sand. In den frühen
Achzigerjahren war ich auch zweimal in Prag. Dort habe ich keinen
Eindruck hinterlassen. Höchstens mein Flinserl. „Die Nacht hat
zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“
Nichts
fügt sich zu einem Bild. Die Entdeckungen überraschen nicht, sie
lösen nichts aus.
Gestelzt
schreibe ich die Wörter hin. Aufhören will ich auch nicht. Dem
Leser muß das langweilig sein. Der Leserin auch. Wenn jetzt in mir
etwas klar ist, dann ist es sprachlos. Aber ich weiß es nicht. Ich
komme mir auch nicht richtig unklar vor. Eher so, als gäbe es
nichts, das klar oder unklar sein könnte.
Das,
was ich am stärksten spüre, ist das Surren in den Ohren. Wie im
Fieber.
©Peter
Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com
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