Freitag, 15. Mai 2015

131 Der zerfallende Text


Komuskra Dengli ist müde, schwach und trinkt Kräutertee. Er fastet. Beim großen, schlanken Mann hat er viel erzählt. Zum Schluß hat er gesagt: „Und dennoch!“, „Es ist gut!“ und „Ich bin bereit!“

Ein Geräusch dominiert die Umgebung, das ich zuerst für das einer Kreissäge gehalten habe, aber dafür ist es zu weich. Der gelbe Telefonierer läßt den Motor seines Lieferwagens laufen. Jetzt ist er weg und das weiche Geräusch ist wieder deutlich zu hören.

Komuskra Dengli ist dünnhäutig. Klar und verhuscht gleichzeitig. Wie in einem leichten Rausch. Sein inneres Gedankenkarussell dreht sich, zu schnell, als daß er es hinschreiben kann. Nicht zum Derlesen!
Eine schwarze Frau eilt aufrecht, stolz und fröhlich vorbei, sie lächelt kurz ins Fenster. Hat sie sich selber gesehen? Sich selbst anlächeln ist wichtig! Man kann sich aber auch im Anderen anlächeln. Oder? Der Transportlogist übersiedelt ins „in & Ausland“.

Ich würde gerne die Welt liebkosen. Was sagt der Asket dazu? Draußen: vergitterte Fenster und Doppelkinns. So viele verletzte Seelen! Der Mann sagt „Tag!“ ohne den Mund zu bewegen, es platzt einfach weich aus seinem halboffenen Mund heraus.

Der Mensch hat eine verletzliche Seele und dennoch ist er stark. Wir sind nicht so stabil, wie wir denken, dafür halten wir uns tapfer zusammen.
Der Mann mit dem „Tag!“ winkt; jetzt bin ich neugierig, wem. Sie kommen und es scheinen Freunde zu sein. Sie reden in einer slawischen Sprache.

Ich werde zu segnen versuchen, heimlich und ohne zu reden. Die Wochentage haben unterschiedliche Frequenzen, im Handel, im Kaffeehaus und so. Ein leichter Schauder massiert meinen Hinterkopf. Ich wandere weiter. Ich freue mich drauf.

Ich gehe gern. Oh wie gerne ich gehe! Als Pilger durch die Welt. Als Pilger durchs Universum. Egal, ob es stumm ist oder nicht. (Das Universum ist natürlich nicht stumm).

Komuskra Dengli schwankt mehr als er geht in seiner Fastenschwäche, aber das Schweberische gefällt ihm. Er fastet nämlich reis.
Jetzt ist gut rasten bei der gelben Macht. Hinter ihm die Birke, links die Riesenplatane, vor ihm der Wächter der gelben Macht, der melancholisch dreinschaut.
Unruhig kommen die Tauben herbei, der Wind blättert blind eine leere Seite um. Jetzt bin ich verstummt, jetzt schreib ich nicht mehr.
Manchmal spürt man ganz, ganz feine Regentropfen, vereinzelt. Eine Taube gibt nicht auf und umrundet meine Füße. Eine obdachlos dreinschauende Frau füttert die Tauben dezent.
Sieben trockene Blätter haben sich aufgespießt. Bei der stacheligen Taubenabwehr über der Schokolade. Darüber sind es nocheinmal mehr.

Es gibt viele telefonierenden Männer, ernsthaft, fast fromm schauen sie drein, aber mit Sorgenfalten. Und ebensolche Frauen.
Das Motorrad stinkt. Der Putztrupp kommt heute auf Rädern.

Jetzt drängt es mich wieder zum Aufstehen. Der Wächter wirkt nun nervös. Wirkt mein Schreiben verdächtig?

Komuskra Dengli ärgert sich maßlos. Über alles regt er sich auf. Nichts passt in der Küche. Seine Pläne sind schon durchkreuzt. Er denkt, er geht schlafen, dabei kritzelt er noch. Die Nachbilder halten schon länger, und bilden eine grünleuchtende Spur. Er bleibt heute doch in der Kammer.

Aufs Segnen hat er vergessen. Nur einmal zuckte er kurz.
Die Töne im Ohr surren schriller, ich schaue ratlos herum.
Irgendwo im Haus wird eine Tür zugeschlagen, oder die Tür schlägt selber zu. Es zittert, vibriert bis zu mir herauf.
Eine Spinnwebe wirft ihren Schatten, ich fange ihn nicht auf.
Er bleibt an der Decke kleben.
Eine andere macht es ihr nach.

Komuskra Dengli hatte Mitleid mit dem Essen, das er jetzt nicht aß, aber sonst schon gegessen hätte. Verblüfft stellte er fest, daß Nahrungsmittel nicht verkommen zu lassen ein Motiv für ihn ist, viel zu essen. Die getöteten Tiere und Pflanzen sollten wenigstens durch Verspeisen gewürdigt werden und nicht weggeworfen. Wo hat er das her?

Das Gebläse der Klimaanlage draußen vorm Fenster – oder ist es ein Dunstabzug? - konkurriert mit dem Surren im Ohr.

Ich liege im Bett und versuche zu schreiben. Es geht nicht. Nichts fügt sich zu Sätzen. „Surren“ kann ich schreiben, oder „Ticken des Weckers“, das war's. Ich fühle nichts, oder ich kann es nicht erfassen. Mir fehlen nicht die Worte, sondern das Material. Ich habe keine Assoziationen, zumindest keine, die weiterführen. Der Zustand ist mir nicht unangenehm. Ich habe Zeit, langsam und schöner zu schreiben als sonst. Nichts drängt sich auf. Ich weiß nichts zu erzählen. Es gibt nichts, was der Rede wert ist. Aber das ist mir recht. Ich lebe mehr „vegetativ“. Oder wie ein langsames Tier, das in Zeitlupe über den Boden krabbelt. Oder soll ich schreiben „auf dem Boden krabbelt“? Oder „über die Erde“?, „auf der Erde“?, oder „am Grunde der Welt“?

„Am Grunde der Moldau, da wandern die Steine...“ Warum fällt mir das ein? Weil mein Vater in Prag stationiert war? Wohl eher, weil ich viel Wolf Biermann gehört habe. „Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es liegen vier Kaiser begraben in Prag..“ - das ist seine Version des Brechtliedes.
Warum jetzt Prag? Weil meine Schwester von Prag erzählt hat?

Mir zerfallen die Gedanken, sie zerbröseln wie Sand. In den frühen Achzigerjahren war ich auch zweimal in Prag. Dort habe ich keinen Eindruck hinterlassen. Höchstens mein Flinserl. „Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“

Nichts fügt sich zu einem Bild. Die Entdeckungen überraschen nicht, sie lösen nichts aus.
Gestelzt schreibe ich die Wörter hin. Aufhören will ich auch nicht. Dem Leser muß das langweilig sein. Der Leserin auch. Wenn jetzt in mir etwas klar ist, dann ist es sprachlos. Aber ich weiß es nicht. Ich komme mir auch nicht richtig unklar vor. Eher so, als gäbe es nichts, das klar oder unklar sein könnte.
Das, was ich am stärksten spüre, ist das Surren in den Ohren. Wie im Fieber.




©Peter Alois Rumpf Mai 2015 peteraloisrumpf@gmail.com

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