Montag, 8. Oktober 2007

25 Entartet

Zu einigen heftigen Protestbekundungen gegen Kardinal Joachim Meisner wegen der Verwendung des Wortes „entartet“ in diesem Satz einer Predigt (15.09.07):

„Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet.“

Es ist interessant zu sehen, wie die Medienmeute auf bestimmte Stichworte wie ein Rudel Pawlowscher Hunde reagiert. Das Wort „entartet“ wurde wie viele Worte und Begriffe von den Nazis missbraucht, dennoch kann dieser Begriff auch sinnvoll verwendet werden: wenn etwas seine Bestimmung verfehlt und vorgibt etwas zu leisten, was es nicht leisten kann.

Die Kunst einer Zeit ist immer der Versuch, das Verhältnis dieser Kultur zum Unendlichen auszudrücken, darzustellen und damit das Unendliche in Gestalten in die Gegenwart zu bringen respektive in die Gegenwart zu lassen (so ungefähr die Definition von Wolfgang Döbereiner). Gelingt dies nicht, ist die Kunst „entartet“, weil sie das, was ihre Art ausmacht, nicht leistet.

So war natürlich die Kunst der Nazis entartet, denn die verlorene Verbindung zur Unendlichkeit wurde mit pseudopathetischen, gewalt(tät)igen und sentimentalen Zeichen vergeblich herbeizuzwingen versucht, was ihre Verlogenheit ausmacht. Während andrerseits vieles, was von den Nazis als „entartet“ gebrandmarkt wurde, zumindest dem Schmerz, der Verzweiflung über den Verlust des Ursprungs Ausdruck verleiht. Dagegen hilft nur eine Wiederbelebung der Verbindung zum Unendlichen und kein Titanismus, keine Orientierung an Destruktivität und Selbstdestruktivität einer entarteten „Kultur“ wie die der Nazis. Grundsätzlich ist die Aussage Kardinal Meisners in seiner Predigt also richtig, zumindest mehr richtig als falsch, vor allem weil er ja einen Tatbestand beschreibt, der nicht nur die Kunst ärmer macht, sondern auch die Liturgie. Natürlich hilft gegen den Verlust der Transzendenz auch keine pseudoreligiöse Zeichensetzerei (weder kirchliche, esoterische noch sonstige), sondern die Verbindung zur Unendlichkeit ist (mehr oder weniger) lebendig oder eben nicht. Nur glaube ich nicht, dass der Großteil der Kunst- und Kulturschickeria so anmaßend gegen die katholische Kirche auftreten muss. Es soll jeder vor seiner eigenen Türe kehren und selber schauen, ob er in seiner Arbeit dem Transzendenten Raum verschafft, oder ob er aus den Versatzstücken seines Scheiterns mittels des Nimbus der „heiligen Kunst“ seine Fragwürdigkeit und innere Leere zu stilisieren, zu erhöhen und zu verschleiern versucht. Mit Scheitern meine ich, dass das Kunstwerk leer ist, weil es nichts Transzendentes transportiert. Und mit Nimbus der heiligen Kunst meine ich, dass Künstler auch dann, wenn sie diesen Anspruch ans Kunstwerk, Transzendentes zu vermitteln, ablehnen, bewusst oder unbewusst eine „Heiligkeit“ ihres Metiers beanspruchen, indem sie einen besonderen Schutz für ihre Arbeit erwarten, oder dass die Freiheit der Kunst höher bewertet wird als andere Rechtstitel, oder den Künstlern überhaupt eine gewisse Sonderrolle in der Gesellschaft zugestanden werden soll („das ist Kunst, das darf man nicht kritisieren!“). Diese Sonderstellung leitet sich historisch aber genauso aus dem Anspruch ab, Transzendentes zu vermitteln, wie beim Anspruch der Religionsgemeinschaften, ihre Lehren und Symbole rechtlich besonders zu schützen.

Freilich wird heutigen Künstlern nicht viel anderes übrig bleiben, als von der schmerzvollen Situation einer Kultur, die den Ursprung verloren hat, auszugehen und er wird vermutlich auch ganz bei sich und dem, was ihm und rund um ihn noch geblieben ist, anfangen müssen; aber es ist eine Frage, ob er dies in Wahrhaftigkeit tut oder in Anmaßung.

© Peter Rumpf 2007

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