Montag, 8. Oktober 2007

23 Vier und eins

Bei Carlos Castaneda wird beschrieben, dass ein Seher vier Typen der männlichen Aktivität und Persönlichkeit unterscheiden kann:

„Der erste Typ ist der kenntnisreiche Mann, der Gelehrte; ein edler, zuverlässiger, heiterer Mann, ganz dem Vollbringen seiner Aufgabe hingegeben, was immer sie sein mag.

Der zweite Typ ist der Mann der Tat, höchst unbeständig, ein großartiger, temperamentvoller, wankelmütiger Gefährte.

Der dritte Typ ist der Organisator hinter den Kulissen; der geheimnisvolle unbekannte Mann. Über ihn kann nichts gesagt werden, weil er über sich selbst nichts bekannt werden lässt.

Der Kurier ist der vierte Typ. Er ist der Gehilfe, ein verschwiegener schwermütiger Mann, der sich gut bewährt, wenn er richtig geführt wird, der sich aber nicht allein behaupten kann.“

(Carlos Castaneda, Die Kunst des Pirschens; S 180)

(im Reich der Frauen existiert die gleiche Struktur; sie wird anders beschrieben und ist auch am oben angegebenen Ort nachzulesen.)

Sieht der Seher einen Menschen, so sieht er ihn als „leuchtendes Ei“ mit zwei Abteilungen, und die Merkmale der vier Typen am leuchtenden Körper unterscheidet er so:

„Der Gelehrte hat so etwas wie eine flache Delle, eine leuchtende Vertiefung in der Gegend seines Solarplexus. Bei manchen Männern erscheint sie als eine Ansammlung intensiver Leuchtkraft, manchmal sogar glatt und glänzend wie ein Spiegel ohne Spiegelbild.

Der Mann der Tat hat einige Fasern, die von der Region des Willens ausgehen. Die Zahl der Fasern schwankt zwischen einer und fünf; ihre Größe zwischen einem dünnen Faden und einem dicken, peitschenförmigen Tentakel, fünf bis acht Fuß lang. Bei manchen Männern sind bis zu drei dieser Fasern zu Tentakel entwickelt.

Der Mann hinter den Kulissen ist nicht an einem besonderen Merkmal zu erkennen, sondern an seiner Fähigkeit, ganz unwillkürlich einen Ausbruch der Kraft zu erzeugen, der die Aufmerksamkeit des Sehenden wirksam blockiert. In der Gegenwart dieses Männertyps wird der Seher von belanglosen Details angezogen, statt zu sehen.

Der Gehilfe hat keine erkennbare Struktur. Den Sehenden erscheint er als klarer Glanz in einer Hülle fleckenloser Leuchtkraft.“ (S 181)

Dann gibt es noch einen besonderen fünften Typus, den die Seher „Doppelwesen“ oder „Nagual-Mann“, „Nagual-Frau“ nennen, weil er dem Sehenden als leuchtendes Ei mit vier statt zwei Abteilungen erscheint.

„Was den Charakter betrifft, so ist der Nagual-Mann hilfsbereit, stetig, unwandelbar. Die Nagual-Frau ist ein streitbares Wesen, und doch entspannt, immer wachsam, aber ohne Anstrengung. Beide reflektieren die jeweiligen vier Typen von Männern und Frauen als vier Arten des Verhaltens.“ (S 181f)

Das heißt aber auch, dass die Doppelwesen angeborenerweise doppelt so viel Energie haben. Diese doppelte Energie drängt den Nagual-Mann (das gilt auch für die Nagual-Frau, ich bleibe jetzt aber wieder im Reich der Männer) dazu, den „verborgenen Durchlass“ zum Unendlichen zu suchen und sie sind „fähig, einen Schutz- oder Tarnschirm um sich zu schaffen“ (C. Castaneda, Die Kraft der Stille; S 35). Diese Typen sind also die „natürlichen Führer der Menschheit“, die kraft ihres Doppelseins die Fähigkeit angelegt haben, auch für andere die Verbindung zum Unendlichen herzustellen, weil dieser Typus „das Abstrakte, den Geist besser reflektieren kann als andere. Das ist aber auch alles. Unsere Verbindung besteht mit dem Geist selbst, und nur nebenbei mit der Person, die uns dessen Botschaft bringt“ (C. Castaneda, Die Kunst des Träumens; S22). In unserer Tradition könnte man dabei an die Erzählungen von Moses denken – er führt sein Volk aus der Gefangenschaft und kann auch eine direkte Verbindung zum Unendlichen herstellen und seine Erkenntnisse daraus in für seine Leute verbindliche Form bringen (als Religionsstifter z.B.).

Man kann in unserer Kultur dabei vielleicht auch an die Idee des „König von Gottes Gnaden“ denken (Idee! Es sind vermutlich nur wenige in diesem Sinn echte Könige auf den Thronen gesessen), weil ja die doppelte energetische Ausstattung kein Verdienst, sondern ein Geschenk ist.

Festzuhalten ist auch, dass dieses Doppeltsein eine Anlage ist, die zum Guten oder Bösen verwendet werden kann, denn ein Doppelwesen kann andere allein durch seine Anwesenheit (die Anwesenheit seiner doppelten Energie) stark beeinflussen und zur Übereinstimmung „zwingen“, vergleichbar mit einem starken Magneten, dessen Magnetfeld entweder zur Anziehung oder zur Abstoßung zwingt. Die Gefahr besteht, das ein „Doppelwesen“, das sich der Gnade seines Doppeltseins nicht bewusst ist, viel anrichtet, wenn er andere nach seinem Maßstab misst. Denn wie das energetische Doppeltsein als solches kein Verdienst ist, ist auch das energetische Einfachsein als solches kein Versagen.

Aufgrund all dessen stellt sich die Frage, ob unsere Ideen über die soziale Ordnung tatsächlich die Natur des Menschen berücksichtigen oder nicht. Was soll man denn mit den Doppelwesen oder den Gehilfen, die geführt werden müssen, anfangen, wenn die Vorstellung vorherrscht, dass ein jeder ein Souverän, ein Einzelunternehmer, eine Ich-AG ist? Aber das sind Spekulationen, denen ich jetzt nicht zuviel nachgeben will.

© Peter Rumpf 2007

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