Montag, 8. Oktober 2007

20 Christentum und Germanen

Bei der Übernahme des Christentums gibt es erhebliche Unterschiede zwischen der der Römer und Griechen einerseits und der der Goten und Germanen andererseits. Bei aller Verdrängung der antiken heidnischen Kultur durch das Christentum ist diese doch in der antiken christlichen Kultur „aufgehoben“: Kult- und Organisationsformen werden übernommen und assimiliert, Heilige übernehmen Zuständigkeiten von heidnischen Göttern und ersetzen so bis zu einem gewissen Grad den komplexen antiken Götterhimmel, der gerade der Volksfrömmigkeit in ihrem Bedürfnis, alle wichtigen Lebensabschnitte und Lebensbereiche abzusegnen, entgegenkommt. Und vieles andere mehr. Das heißt also, die christlich römische Kultur gehört trotz aller Brüche zur Spätantike und setzt sich auch in der katholischen Kirche weiter fort. (Zumindest bis zum zweiten Vatikanischen Konzil).
Ganz anders bei den Germanen: Sie übernehmen (freiwillig oder unfreiwillig) mit dem römischen Christentum eine andere, schriftsprachliche Kultur – ohne diese Schriftkultur aus der eigenen Kultur und Tradition heraus entwickelt zu haben. So bleibt das Lateinische die Schriftsprache und die Schriftkultur der Kirche als Fortsetzerin der lateinischen Antike vorbehalten. (Man vergleiche das englische Wort „clerk“ – Schreiber, Sekretär mit „Kleriker“).
Bei dieser Übernahme muss die eigene germanische Tradition abgestoßen und für ungültig erklärt werden und die eigenen Vorfahren verteufelt - die sind nach damaliger kirchlicher Auffassung in der Hölle - im Gegensatz zur Christianisierung der römischen und griechischen Heiden, wo es die Möglichkeit einer nachträglichen Taufe der bereits gestorbenen heidnischen Vorfahren gab – also eine Hereinholung der heidnischen Ahnen ins Christentum.
Ein solches Aufheben der eigenen Geschichte ist nur dann ohne Zerstörung möglich, wenn sie nicht eine Überschreitung in eine andere Kultur oder Identität, sondern tatsächlich in die Transzendenz der Unendlichkeit erfolgt und gleichzeitig mit einer nüchternen, gründlichen und echten, energetischen Aufarbeitung dieser Geschichte einhergeht. (Castaneda, Abelar und Donner-Grau beschreiben dies beim Individuum als „Rekapitulation“).
Die wie oben beschriebene missglückte „Rekapitulation“ der Germanen hat weitgehende Folgen für die Identität einer Kultur und ihrer Mitglieder: Der fränkische König muss seinen Stammbaum von König David ableiten, um sich als christlicher König legitimieren zu können, während er seinen wirkliche Stammbaum verdrängen muss. Er muss sich als „Sohn Davids“ stilisieren. Man kann ahnen, was passiert, wenn ihm oder seinen Stammesbrüdern ein wirklicher „Sohn Davids“, ein Nachkomme und Erbe der Hebräer, gegenübertritt und allein durch seine Anwesenheit diese Konstruktion ins Wanken bringt.
Man kann es auch bei Luther beobachten: während Italien in der Renaissance auf die eigene antike Tradition zurückblickt, dreht sich Luther um und sieht - nichts; zumindest nichts, was er akzeptieren kann. Höchstens schimmert noch die verteufelte, alte schamanistische Tradition durch. Er muss also die Bibel (wichtig auch das alte Testament als innerbiblische Vorgeschichte) hernehmen und das mit der Rabiatheit und dem Fanatismus desjenigen, der spürt, dass da etwas nicht stimmt, es aber nicht wahrhaben will. Die unangenehm durchschimmernde schamanistische Tradition wird – nicht nur bei Luther, aber doch vor allem in den germanischen Ländern – im Hexenwahn bekämpft und zu verdrängen versucht.
Überhaupt kann man bei Luthers Schriftfixiertheit spüren, dass in seiner Kultur der jahrhundertelang eingeübte Umgang mit Schriften und Büchern und die daraus resultierenden Umgangsformen fehlen: er starrt mit verbissenem Tunnelblick auf die Schrift als würde er gerade erst lesen lernen. Es fehlt jede Leichtigkeit.
Es ist auch klar: „sola scriptura“, nur die Schrift! Sicher, denn die eigene Tradition ist verdrängt. Nicht so im römisch-katholischen Bereich.: dort heißt es „Schrift und Tradition“. 
(Ergänzung 12.11.2013: Folgerichtig wird auch das alte Testament als Geschichts- und Traditionsersatz für die eigene verdrängte tatsächliche Geschichte hergenommen.)
Man denke aber auch als Beispiel an den Fanatismus eines Bonifazius, der die von den Germanen als heilig verehrten Bäume fällte (eine Tat, die in der Aufbruchsstimmung des zweiten Vatikanischen Konzils von vielen Theologen als fortschrittliche Entmystifizierung der Natur und Verfügbarmachung derselben für Wirtschaft, Industrie und technologischen Fortschritt im Dienste der Menschheit gefeiert wurde). Oder an Bonifazius’ Hysterie, als er feststellte, dass ein Priester – offensichtlich konnte der nicht gut Latein – einen Fehler in der Taufformel hatte und deshalb dessen Taufen für ungültig erklären wollte. Der Stamm des Bonifazuis war gerade erst bekehrt worden und deshalb auch hier dieser fanatische Tunnelblick.
Diese Gedankengänge sind in der Kürze etwas grob gezeichnet und man müsste auch einiges genauer überprüfen.
Es gab ja nicht nur Bekehrungen aus politischer Berechnung oder durch Gewalt, sondern auch solche aus echtem Interesse am „ewigen Leben“. Fragt sich nur, ob die Kirche das Versprechen, darüber etwas Verbindliches sagen zu können, einlösen und die darauf gerichteten Hoffungen erfüllen konnte.
Außerdem möchte ich noch ein mögliches Missverständnis vermeiden: alle Versuche, sozusagen eine vorchristliche germanische Kultur in irgendeiner Gegenwart zu kreieren, können nicht gelingen. Es gehört dieser oben beschriebene Bruch und die daraus erfolgte christliche Geschichte inzwischen zu unserer Geschichte, die wir als solche annehmen müssen.
© Peter Rumpf 2007

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