Montag, 8. Oktober 2007

12 Das menschliche Inventar

Bei Castaneda wird die Summe all unserer Grundannahmen, Glaubenssätze, Denkmuster, Selbstverständlichkeiten, auch wie sie aufeinander bezogen und (hierarchisch) geordnet sind, das „menschliche Inventar“ genannt. Dieses bringt Ordnung in die chaotische Fülle der Wahrnehmung, filtert aus, stellt das eine in den Vordergrund, das andere an den Rand oder schiebt es überhaupt aus unserem Wahrnehmungsfeld. Es ist dies die „Beschreibung der Welt“, die sich bei der Wahrnehmung zwischen uns und die Welt schiebt. Speziell beim Menschen ist dieses Interpretationssystem so durchdefiniert und stark, dass in der Wahrnehmung nur mehr sehr wenig vom wahrgenommenen „Ding an sich“ (sozusagen) durchkommt, sondern hauptsächlich die Beschreibung sich selbst bestätigt. Wir denken „Haus“ und schon sind alle konstitutiven Elemente von „Haus“ vor unserem inneren Auge, schon bevor wir das Haus angeschaut haben.

Dieses Inventar definiert und bestimmt auch unser Handeln – weil es auch eine reduzierende Beschreibung unserer Handlungsmöglichkeiten beinhaltet.

Da wir Gefangene dieses unseres Inventars sind, sind unsere Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten nur mehr im Promillebereich der in uns eigentlich angelegten Möglichkeiten.

Wichtig ist, dass das Anlegen eines Inventars – das passiert vom Moment unserer Geburt an – unvermeidlich ist, aber wie genau es ausschaut, hängt von Zeit, Kultur, Erziehung ab.

Als Castaneda die Zauberei lernt, lernt er eigentlich nur eine andere Beschreibung, die im Grunde nicht wahrer oder falscher ist, als die übliche. Der Sinn des ganzen Lernprozesses ist aber, dass er die zweite gegen die erste Beschreibung ausspielen kann, um sozusagen zwischen den Beschreibungen durchzuschlüpfen, um zum „Sehen“, d.h. zum Wahrnehmen ohne Beschreibung, zu gelangen.

So haftet allen Beschreibungen etwas Gemachtes und Zufälliges an. Aber, so sagt Don Juan Matus zu Castaneda, die Seher legen auf sorgfältigste Weise ihr Inventar an, d.h. dass es effizient, ausgewogen und nüchtern ist, doch sie beten es nicht an.

Sie wissen, dass es etwas Gemachtes ist. Nachdem sie ihren Geist gereinigt und das sorgfältigste Inventar angelegt haben, „werfen sie es lachend aus dem Fenster“ (um „sehen“ zu können).

Das heißt, dass, obwohl allen Inventaren etwas Relatives anhaftet, es Unterschiede in der Ausgewogenheit, Nüchternheit, Effizienz, Schönheit und Klarheit gibt.

© Peter Rumpf 2007

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