Montag, 8. Oktober 2007

16 Was heißt „die Begegnung annehmen“?

Es gibt eine Mönchsgeschichte, von der ich nicht mehr weiß, woher sie kommt, und deren Held als Inbegriff des demütigen Menschen gehandelt wird:

Ein Mönch begegnet auf seiner Wanderung einem wilden Raubtier. Nehmen wir an, es ist ein Tiger. Der Tiger bedroht den Mönch und dieser, weil er die ihm vom Himmel zugeschickte Begegnung demütig zulassen will, lässt sich vom Tiger fressen.

Da gehört einiges dazu, aber ich glaube, diese Demut ist falsch.

Die Annahme der mir vom Himmel zugedachten Begegnung heißt nicht, dass ich mich vom Tiger fressen lassen muss, sondern dass ich ohne Klagen akzeptiere, dass „jetzt Tiger angesagt ist“.

Wenn ich rechtzeitig fliehen kann, habe ich dennoch meine Gefährdetheit und damit meine Endlichkeit in dieser Welt erlebt, auch die Angst; vielleicht kann ich mir auch irgendwelche irrealen, großartigen Ideen von mir selber abschminken, denn unter Umständen macht man bei so einer Flucht keine so tolle Figur.

Wenn ich mich stellen muss, weil es keine Fluchtmöglichkeit mehr gibt, so heißt die demütige Annahme, dass ich um mein Leben kämpfe. Der Tiger hat nicht unrecht, wenn er mich jagt; ich habe nicht unrecht, wenn ich ums Überleben kämpfe. Das heißt auch akzeptieren, dass wir in der Dualität (W. Döbereiner) leben, oder, wie es bei Castaneda heißt, in einem „räuberischen Universum“.

Wenn ich mit dem Tiger kämpfen muss, werde ich – wenn mein Leben stark ist und ich keine offenen Enden und nicht zuviel Verdrängtes als Ballast herumschleppe – diesen Kampf so gut wie möglich kämpfen; ich werde mein Bestes geben um zu überleben. Und wenn ich tatsächlich den Tiger besiege, werde ich – wenn ich bei Trost bin – demütig bleiben, und wenn ich ihn getötet habe, werde ich kein Photo machen, wo ich triumphierend den Fuß auf den toten Tiger stelle.

Und wenn der Tiger gewinnt, dann ist es angebracht, demütig sein Schicksal zu akzeptieren. Aber erst nachdem man gekämpft hat.

Peter Rumpf 2007

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