Samstag, 28. Oktober 2023

3450 Das Weiler-Bild

 

Am Himmel gleißt das schlecht verdeckte Sonnenlicht des Nachmittags. Die Scheiben der Fenster in der Hotellobby sind klar und fehlerfrei geputzt (nur ein Fensterflügel hat Feuchtigkeit zwischen den zwei Scheiben und die bildet die Form eines nach unten gerichteten Pfeils). Die Oberkörper der draußen vorbei Flanierenden sind ganz akkurat zu sehen. Die Sonne kommt nun durch und stellenweise herein in den Saal. Manchmal sehe ich den Glanz in den Augen der Passanten, manchmal das Suchende. Zwei stehen weiter drüben am diesseitigen Flußufer und blicken zur Mur hinunter. Manchmal ist der Glanz in den Augen ängstlich oder schüchtern oder schuldbewußt zurückgehalten. Der Besuch der Sonnenflecken erhellt den Raum. Die Uferbäume geben ihr Bestes. Die Sonne wird stärker. Die gelben Pappelblätter zittern wieder. Was für ein Leben! Die Sonne wird schwächer. Mein Blick rutscht vor Müdigkeit unter die Höhe der Fensterbretter und verläuft sich über Sitzmöbel und die Teppiche. Das Innenlicht, das Sonnenlicht und die hausinternen Spiegelungen gehen eine Emulsion ein. Das Universum führt mir vorm Fenster ganz unterschiedliche Typ:innen vor, ohne das die es merken. Wieder fällt mein Blick zu Boden. Draußen spuckt ein Mann aus, nachdem er aus dem Auto gestiegen ist. Die Sonne kommt leise wieder, ich merke es am Leuchten am Teppich. Auf der Halterung des Rückspiegels des soeben geparkten Autos explodiert eine kleine Sonne und stahlt rundherum ab. Die Kante des großen Couchtisches blendet in ihrer Abstrahlung. Selbst die grüne Vase der Pflanze vorm Spiegel glänzt vor lauter draufgeworfenen Abbildern irgendwelcher räumlicher Details, die in der Verzerrung von hier aus nicht erkennbar sind. Ein Spinnenfaden an der Säule der Straßenlaterne glitzert die zehn Meter bis hierher. Ich kann mir nicht helfen: mir scheint, fast alle Vorbeigehenden haben es nicht ganz getroffen; ich kann an dieser Parade nichts anderes sehen. Aber ich will vorsichtig sein: vielleicht bin ich es, der blind ist.

Schon ist es Nacht. Die Passanten sind durch die Fenster nur mehr schemenhaft zu sehen, wenn bei ihrem Vorbeigehen für den Bruchteil einer Sekunde etwas Licht aus der Hotellobby auf sie fällt. Dafür hört man den Verkehrslärm stärker. Nicht nur mein Handy düdelt, aber hier sind jetzt nur Leser. Ich lese neben dem Weiler-Bild von 1990 Isaak Steinbergs „Gewalt und Terror in der Revolution“ und die Gedichte von Christine Lavant habe ich auch noch am Tisch liegen. Ich kriege diese Ausdehnung schon hin; daran zerreißt meine Energiegestalt nicht. Ich drehe mich jetzt zum Weiler-Bild hin um es zu betrachten: Diese durchaus fröhliche, aber niemals kindische Farbigkeit, diese unglaubliche Leichtigkeit und diese – verwenden wir ruhig den in der Kunst schon fragwürdigen Begriff – erfrischende Transparenz (was ich alles nur schwer mit der Person des Künstlers in Übereinstimmung bringen kann) bewirken, dass mir das Herz aufgeht und sich mein Atem weitet. Diese Sorgfalt in der Arbeit, die so mühelos daherzukommen scheint, der genaue, geduldige Blick auf den Gegenstand, auf „die Natur“! Hell erleuchtet fährt die Straßenbahn vorbei und zieht meinen Blick ab. Dieses Weiler-Bild erhebt den ganzen großen Raum. Jemand geht nun unter ständigem Schuhgeklopfe nervös auf und ab. Ich greife jetzt zu den Gedichten.

(28.10.2023)

Peter Alois Rumpf Oktober 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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