3450 Das Weiler-Bild
Am Himmel gleißt das schlecht verdeckte Sonnenlicht
des Nachmittags. Die Scheiben der Fenster in der Hotellobby sind klar und
fehlerfrei geputzt (nur ein Fensterflügel hat Feuchtigkeit zwischen den zwei
Scheiben und die bildet die Form eines nach unten gerichteten Pfeils). Die
Oberkörper der draußen vorbei Flanierenden sind ganz akkurat zu sehen. Die
Sonne kommt nun durch und stellenweise herein in den Saal. Manchmal sehe ich
den Glanz in den Augen der Passanten, manchmal das Suchende. Zwei stehen weiter
drüben am diesseitigen Flußufer und blicken zur Mur hinunter. Manchmal ist der
Glanz in den Augen ängstlich oder schüchtern oder schuldbewußt zurückgehalten.
Der Besuch der Sonnenflecken erhellt den Raum. Die Uferbäume geben ihr Bestes.
Die Sonne wird stärker. Die gelben Pappelblätter zittern wieder. Was für ein
Leben! Die Sonne wird schwächer. Mein Blick rutscht vor Müdigkeit unter die
Höhe der Fensterbretter und verläuft sich über Sitzmöbel und die Teppiche. Das
Innenlicht, das Sonnenlicht und die hausinternen Spiegelungen gehen eine
Emulsion ein. Das Universum führt mir vorm Fenster ganz unterschiedliche
Typ:innen vor, ohne das die es merken. Wieder fällt mein Blick zu Boden.
Draußen spuckt ein Mann aus, nachdem er aus dem Auto gestiegen ist. Die Sonne
kommt leise wieder, ich merke es am Leuchten am Teppich. Auf der Halterung des
Rückspiegels des soeben geparkten Autos explodiert eine kleine Sonne und stahlt
rundherum ab. Die Kante des großen Couchtisches blendet in ihrer Abstrahlung.
Selbst die grüne Vase der Pflanze vorm Spiegel glänzt vor lauter draufgeworfenen
Abbildern irgendwelcher räumlicher Details, die in der Verzerrung von hier aus
nicht erkennbar sind. Ein Spinnenfaden an der Säule der Straßenlaterne glitzert
die zehn Meter bis hierher. Ich kann mir nicht helfen: mir scheint, fast alle
Vorbeigehenden haben es nicht ganz getroffen; ich kann an dieser Parade nichts
anderes sehen. Aber ich will vorsichtig sein: vielleicht bin ich es, der blind
ist.
Schon ist es Nacht. Die Passanten sind durch die
Fenster nur mehr schemenhaft zu sehen, wenn bei ihrem Vorbeigehen für den
Bruchteil einer Sekunde etwas Licht aus der Hotellobby auf sie fällt. Dafür
hört man den Verkehrslärm stärker. Nicht nur mein Handy düdelt, aber hier sind
jetzt nur Leser. Ich lese neben dem Weiler-Bild von 1990 Isaak Steinbergs „Gewalt
und Terror in der Revolution“ und die Gedichte von Christine Lavant habe ich
auch noch am Tisch liegen. Ich kriege diese Ausdehnung schon hin; daran
zerreißt meine Energiegestalt nicht. Ich drehe mich jetzt zum Weiler-Bild hin
um es zu betrachten: Diese durchaus fröhliche, aber niemals kindische
Farbigkeit, diese unglaubliche Leichtigkeit und diese – verwenden wir ruhig den
in der Kunst schon fragwürdigen Begriff – erfrischende Transparenz (was ich
alles nur schwer mit der Person des Künstlers in Übereinstimmung bringen kann)
bewirken, dass mir das Herz aufgeht und sich mein Atem weitet. Diese Sorgfalt
in der Arbeit, die so mühelos daherzukommen scheint, der genaue, geduldige
Blick auf den Gegenstand, auf „die Natur“! Hell erleuchtet fährt die
Straßenbahn vorbei und zieht meinen Blick ab. Dieses Weiler-Bild erhebt den
ganzen großen Raum. Jemand geht nun unter ständigem Schuhgeklopfe nervös auf
und ab. Ich greife jetzt zu den Gedichten.
(28.10.2023)
Peter Alois Rumpf Oktober 2023 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite