3448 Regen in Graz
6:35 a.m. Graz. Der Regen prasselt seit einer Viertelstunde. Ein stiller Morgen am Fuße des Schlossbergs. Ich betrachte aufmerksam die Altersflecken an meiner leicht verkrampften linken Hand. Ja schau nur genau hin, dass dein Geist und deine Psyche er sich abgewöhnen, dich dauernd jünger machen zu wollen (die Seele darf jung bleiben). Jetzt rinnt die Nase. Meine Frau hüpft und springt im Sonnengruß. Der Regen wird heftig. Ich freue mich schon aufs Hotelfrühstück: Hmmm! Kaffee, Käse, Schinken, Wurst, Speck, Ei … seltene Genüsse. Das Geräusch des Regens hüllt mich hier im Trockenen bergend, schützend und wohlwollend ein. Ich scheine viel Zeit zu haben. Draußen ist es noch ganz finster. Der Regen läßt nach; es gluckern noch fröhlich die abfließenden Wässerlein. Ich glaube nicht, dass der Regen schon gänzlich aufhört. Meine Frau ist jetzt im Kopfstand. Ich überprüfe meinen Mundgeruch, indem ich in die vor meinem Mund zu einer Hohlform zusammengelegten Hände hauche und diese ausgeatmete Luft in die Nase aufziehe. Erstaunlich: es regnet nicht mehr. Kirchenglocken läuten, ich nehme an zur Morgenmesse. Mir notorischem Langschläfer tut diese frühe Zeit gut. Ich öffne das Fenster, beuge mich hinaus und sehe, wie sich der Schlossberg herunterwölbt; fast scheint es, als wollten seine herbstlichen Bäume hereingreifen. Der Regen wird wieder stärker.
10:53 a.m.
Nach dem Frühstück im schönen Aufenthaltsraum mit der alten Holzdecke (alt,
nicht rustikal aufgemotzt) und neben dem Bild von Max Weiler (und neben meiner
Frau) blicke ich durch die zwei Fenster über die Mur hinweg zur Minoritenkirche
und die Bäume am Flußufer. Die Mur sehe ich von hier aus nicht, denn sie liegt
tiefer, aber den heftigen Regen und das Zittern der letzten Blätter an der
Pappel (ist es der Wind? Ist es der
Regen?). Weil ich sie darauf hingewiesen habe, erklärt meine Frau die dezente, weibliche Musik aus den
Lautsprecherboxen zu ihrer Lieblingsmusik für den Moment. Meine Vermutung, wer
da spielt und singt, wird falsch gewesen sein. Quietschende Schritte in der
Hotellobby. Ich bin gar nicht so ein Lobbyist, aber heute schon. So viele
Bilder hier im Hotel, viele Frühwerke von einheimischen Berühmtheiten sind
dabei. Eine Straßenbahn im traditionellen Grün-Weiß (Steiermark! Nicht Rapid!
Hier regiert der SK Sturm!). Menschen mit Schirmen gehen vorbei (gegehen habe
ich – handschriftlich – geschrieben; mein Gehirn arbeitet fehlerhaft. Was will
mir meine Seele sagen?). Die Prozession
der Schirmträger:innen hat etwas Melancholisches. Linie 5 nach Andritz fährt
vorbei. Ich greife zu dem Buch mit den Gedichten (Christine Lavant). Nein,
zuerst doch noch zu Isaak Steinbergs
revolutionär-sozialistischer Revolutionskritik.
(27.10.2023)
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