Donnerstag, 19. Oktober 2023

3438 Deal

 



9:28 a.m. Ich schaue ins Hologramm meines immer noch abgedunkelten Zimmers, wie in die überzeichnete Szenerie eines Computerspiels. Das, was ich sehe, wirkt unecht und unrealistisch. Aber ich träume nicht. Der Anblick hält dem Realitycheck stand. Ich bin aufgewacht und kann nicht mehr schlafen. Etwas drückt mir massiv auf Seele und Geist. Das Unbehagen läßt mich nicht los. Die Angst sitzt im Gedärm, der Bauch rumort. Aber ich habe gerade herausgefunden, wie ich auf Telegram bereits abgeschickte Botschaften wieder löschen kann. Das erleichtert mich etwas, denn ich manövriere dort ohne Führerschein, Sachkenntnis und ohne Beherrschung des Gerätes und der Tools (Das kann man übrigens von meinem ganzen Leben sagen). Aber das war eine Ablenkung. Eine Erinnerung ist es, die mich aufwühlt, lahm legt und Angst macht.

Es ist die Erinnerung daran, wie ich vor zirka 15 Jahren (genauer kann ich es nicht einordnen) als erwachsener Mann auf dem Klo einer Badeanstalt in einer Nachbarkabine einen Missbrauch an einem Knaben mitgehört habe. Ich war sehr ruhig, darum wußte der Steirer (Dialekt) nicht, dass noch jemand in der Kloanlage ist. Zuerst habe ich auf das Gerede nicht geachtet, dann war ich alarmiert. Heute bin ich mir zu 98 Prozent sicher, dass ich die Szene richtig gedeutet habe. Aber als ich den Täter abgepasst habe und stellen wollte, hatte ich ein Flashback meines fast identisch abgelaufenen Erlebnisses als naiver Dreizehnjähriger, und war plötzlich völlig gelähmt, so dass ich nicht mehr reagieren konnte und wie zu einer Salzsäule erstarrt dagestanden bin. Beim Herauskommen des Täters aus der Kabine war ich plötzlich von seiner Selbstverständlichkeit, mit der er den Gang die Kabinen entlang zum Ausgang gegangen ist, so verunsichert und verwirrt, dass ich an mir und meiner Wahrnehmung zweifelte. Das ist so weit gegangen, dass ich den Vorfall nicht gemeldet habe, verstärkt dadurch, dass das im Ausland war und ich wegen meiner schlechten Englischkenntnisse unsicher war und voller Skrupel, ob ich das nicht aus meiner Geschichte heraus projiziere und ob ich überhaupt in der Lage bin, die Realität wahrzunehmen, als jemand, der im Leben so daneben ist (was mir schon als Kind permanent und rundherum täglich bestätigt wurde). Das war damals ein Schock und das ist auch die Erinnerung, dass ich als erwachsener Mann noch so stark davon besetzt bin (und so meine Kinder nicht schützen hätte können). Und die Scham darüber, damals wehrlos und heute noch so involviert zu sein, ist riesengroß. Aber vielleicht hilft das den tüchtigen und coolen Maulaufreißern („dem hau ich doch ..“ „aber da gehe ich doch zur Polizei …“ etc.) (abgesehen davon, dass mir zu meiner Zeit niemand geglaubt hätte) zu verstehen, warum Opfer eines Missbrauch sich so schwer tun, den Täter anzuzeigen und überhaupt davon zu reden. Und nochmals: natürlich schockiert es mich auch heute, dass mich das als erwachsener Mann (der ich doch auch sein sollte und sein wollte) immer noch außer Gefecht setzen kann.

(Die Erinnerung wurde ausgelöst durch meine letzte Therapiestunde und den Film „Wir haben einen Deal“.)




(19.10.2023)

Peter Alois Rumpf Oktober 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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