Mittwoch, 18. Oktober 2023

3433 Rot und Grau

 



17:16. Von unten höre ich aus einem Gerät eine englische Stimme einen indischen Roman vorlesen (ich habe mich erkundigt), während im Hof der Wind die Bäume freundlich schüttelt und eine melancholische Fadesse mein literarisches Wirken fördert. Damit ich es nicht vergesse: ich verstehe kein Wort vom Vorgelesenen; erstens bin ich zu weit weg und wäre ich nah genug: zweitens verstehe ich kein Englisch. Dem Himmel da vor mir über den Bäumen und den Häusern im Hof und den Bäumen und den Häusern dahinter scheint das wurscht zu sein; und der Wind wird nicht zornig, weder wegen meiner schlechten Englischkenntnisse noch wegen meiner Lamentiererei darüber, sondern bleibt ruhig und auch den Bäumen friedlich gesonnen.

Dieser flache, graue Belag auf dem weitgehend verdeckten Blau des Firmaments scheint sich ein wenig zu bewegen – zuerst habe ich das nicht bemerkt, aber er bewegt sich doch! Jetzt kommt etwas Aufregung ins Geäst, die Weide hinter dem Nachbarhaus zappelt hin und her. Sie greift sogar zu den Essigbäumen rüber, die sich schon sehr stark ausgebreitet haben und die fast zu Tode gestutzte Robinie überdecken. Und der Holunder – und das tut mir weh – scheint von den Arbeitern wirklich schon zu Tode geschnitten worden zu sein; ich sehe auch aus der Nähe keinen Trieb mehr.

Der graue Himmelsbelag beginnt nun zu glänzen und die Zweige und Äste tanzen vor diesem Licht. Das Rot der Ziegeldächer wäre auch einer Erwähnung wert, wenn ich wüßte, wie ich dieses stumpfe Rot beschreiben könnte und seine melancholisch-sentimentalische Auswirkung auf meine Seele. Wer frißt die Blätter unseres Zitronenbaumes im Blumentopf? Ich sehe kein Insekt, aber die Spuren des Fraßes. Jetzt höre ich von unten unfreiwillig ein Telephongespräch mit. Ein Vogel stürzt sich hoch von der Weide in die Tiefe. Auch dieses bläuliche Grau der Dachrinnen, Schneezäune am Dach und der blechernen Kaminaufsätze wäre beschreibungswürdig, aber ich stierle in den Erinnerungen meiner Kindheit herum und kann genauso wenig finden wie beim Ziegelrot. Mich überkommt eine große Unlust, ein Überdruß, eine Frustration darüber steckengeblieben zu sein.

Der Wind hat im Moment fast völlig aufgehört, das Gleißen in der dünnen Wolkendecke hat sich auf eine Fläche zusammengezogen und dehnt sich gleich wieder aus, das Blattwerk hebt sich deutlich von grauen Hintergrund ab. Unten höre ich den Geschirrspüler rotieren (dafür bin ich zuständig). Das ist eine Stimmung zum Aufhören. Ich will aber noch standhalten. Das Gleißen in den Wolken hat sich in ein stumpfes, schwaches Leuchten verwandelt. Auch die Bewegungen der Bäume kommen mir lustlos vor. Der alte Kondensstreifen leuchtet noch am hellsten und ist auch schon sehr aufgelöst. Manchmal versucht der Wind noch, die Bäume etwas aufzuscheuchen, aber auch er selbst wirkt müde und ausgelaugt. Mir beginnt jetzt diese Wolkendecke zu gefallen: die Verteilung von Licht und Grau ist graphisch-malerisch schön. Aber auch dieses Wolkengeschehen macht mich traurig und kommt mir vergeblich vor.

Und auf der Straßenseite? Von den drei Säulenkleditschien wird die größte gelb. Ein schönes Gelb, herbstlich, schwermütig und tröstlich wie das Licht in den Fenstern von außen gesehen.

(17.10.2023)

Peter Alois Rumpf Oktober 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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