Mittwoch, 26. Januar 2022

2570 Ich Dalit

 

Meine Frau lacht und sagt, ich würde mich gern als Opfer inszenieren. Das stimmt überhaupt nicht! Aber ist er nicht süß, der Mensch, wie er sich regt und müht in allen und über alle Grenzen hinaus? Ja, so ist es! Man bedenke den ganzen energetischen Aufwand und das Gehirnvolumen! Heute überredete mich meine Angegr … Anvertr … Angetraute, sie zum Kauf eines Trolleys zu begleiten. Der alte verlor seinen Unterleib, als ich ihn nach einem Einkauf schwer beladen wie so oft die Stiegen zum zweiten Stock schnaufend hochgezogen habe (es gibt im Haus keinen Lift). Das Lockmittel, das meine Frau zur Überredung einsetzte, war – und da mußte ich lachen – dass ich beim Einkauf sicher etwas erleben würde, woraus mir ein neuer, lustiger Text entstünde. Und als der Trolleyeinkauf, zu dem wir zu Fuß in die Praterstraße gewandert waren, erledigt war, drängte sie mich, in diesen Turm da, dessen Name mir nicht und nicht einfallen will, in den obersten Stock zu fahren, um a) die Aussicht, und b) die Deckengestaltung der Pipilotti Rist anzuschauen. Das habe sie schon lange vor und nun seien wir in der Nähe und … und so weiter. Mir ist soetwas vorallem so plötzlich ohne mentale Vorbereitung äußerst unangenehm und peinlich: ein Hotel, eine Bar, ein Restaurant, das ich nicht kenne und das der höheren Preis- und Gesellschaftsklasse angehört oder anzugehören scheint, einfach so zu betreten und das noch dazu ohne Konsumationsabsicht, also ohne durch irgendeine Bezahlung wenigstens den Anschein einer Anwesenheitswürdigkeit meiner Wenigkeit vorzutäuschen, bereitet mir Qualen und großen Stress. Denn ich bin ein Dalit, der in solchen den höheren Kasten vorbehaltenen Einrichtungen nichts verloren hat. Ich gerate ins Schwitzen und innerliches Zittern – nach außen hin versuche ich eine große Gleichgültigkeit abzustrahlen – denn ich rechne jeden Moment damit, durch mein Aussehen, meine Kleidung, mein Verhalten, meine Sprache – ich gerate dann gegen allen inneren Widerstand schnell in ungeschickte und gekünstelte oder proletige oder unterwürfige Redeweise – als Paria aufzufliegen und hinausgeprügelt zu werden. Ja wirklich! Das ist mein innerer Film. Passend war noch, dass ich den Trolley wie ein Diener hinter meiner Frau her gezogen habe, weil ich nicht ins Gebäude wollte und sie gleich und rücksichtslos vorgeeilt ist und ich brav hintennach. Auf die Idee, einfach umzudrehen bin ich - folgsam wie ich bin und panisch wie ich war - gar nicht gekommen. Ich glaube nicht, dass sie den Turm beim Weggehen schon eingeplant hatte, und überlebt habe ich trotz mehrmaligem Herumirrens im Gebäude – den richtige Lift haben wir nicht gleich gefunden - das Ganze auch; die Aussicht ist großartig und die Arbeit der Frau Rist interessant und schön. Aber was ist mit dem lustigen Text? Irgendeine Pointe hatte ich mir am Rückweg noch ausgedacht, aber jetzt fällt sie mir nicht ein. Waren es unsere Diskussionen im Turm - „wo ist der Lift?“ „da“ „nein da“ „dürfen wir das?“ „ja“ „gleich werden sie uns rausschmeißen!“ „zweiter Gang links, nicht erster!“ usw? Mein Gehirn scheint unterversorgt zu sein. Und halblustig ist unlustig. Gar nicht gut!

Und ich muß mir, wenn ich im Bett, meinem sichersten Ort, schreibe, nach dem fünfhundertsten Mal endlich merken: nicht den Kugelschreiber aufs Nachtkastl links von mir und das Notizbuch auf den Bücherstapel links neben dem Bett legen, wenn ich dabei auch den Kopf nach links drehe, um den Vorgang zu sehen, und gleichzeitig gähnen muß! Das ergibt nämlich jedesmal einen krampfartigen Schmerz in Hals und Nacken, der sich nur langsam auflöst.

 

(26.1.2022)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

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