2570 Ich Dalit
Meine Frau lacht und sagt, ich würde mich gern als Opfer
inszenieren. Das stimmt überhaupt nicht! Aber ist er nicht süß, der Mensch, wie
er sich regt und müht in allen und über alle Grenzen hinaus? Ja, so ist es! Man
bedenke den ganzen energetischen Aufwand und das Gehirnvolumen! Heute
überredete mich meine Angegr … Anvertr … Angetraute, sie zum Kauf eines
Trolleys zu begleiten. Der alte verlor seinen Unterleib, als ich ihn nach einem
Einkauf schwer beladen wie so oft die Stiegen zum zweiten Stock schnaufend
hochgezogen habe (es gibt im Haus keinen Lift). Das Lockmittel, das meine Frau
zur Überredung einsetzte, war – und da mußte ich lachen – dass ich beim Einkauf
sicher etwas erleben würde, woraus mir ein neuer, lustiger Text entstünde. Und
als der Trolleyeinkauf, zu dem wir zu Fuß in die Praterstraße gewandert waren,
erledigt war, drängte sie mich, in diesen Turm da, dessen Name mir nicht und
nicht einfallen will, in den obersten Stock zu fahren, um a) die Aussicht, und
b) die Deckengestaltung der Pipilotti Rist anzuschauen. Das habe sie schon
lange vor und nun seien wir in der Nähe und … und so weiter. Mir ist soetwas
vorallem so plötzlich ohne mentale Vorbereitung äußerst unangenehm und
peinlich: ein Hotel, eine Bar, ein Restaurant, das ich nicht kenne und das der
höheren Preis- und Gesellschaftsklasse angehört oder anzugehören scheint,
einfach so zu betreten und das noch dazu ohne Konsumationsabsicht, also ohne durch
irgendeine Bezahlung wenigstens den Anschein einer Anwesenheitswürdigkeit
meiner Wenigkeit vorzutäuschen, bereitet mir Qualen und großen Stress. Denn ich
bin ein Dalit, der in solchen den höheren Kasten vorbehaltenen Einrichtungen
nichts verloren hat. Ich gerate ins Schwitzen und innerliches Zittern – nach
außen hin versuche ich eine große Gleichgültigkeit abzustrahlen – denn ich
rechne jeden Moment damit, durch mein Aussehen, meine Kleidung, mein Verhalten,
meine Sprache – ich gerate dann gegen allen inneren Widerstand schnell in
ungeschickte und gekünstelte oder proletige oder unterwürfige Redeweise – als
Paria aufzufliegen und hinausgeprügelt zu werden. Ja wirklich! Das ist mein
innerer Film. Passend war noch, dass ich den Trolley wie ein Diener hinter
meiner Frau her gezogen habe, weil ich nicht ins Gebäude wollte und sie gleich
und rücksichtslos vorgeeilt ist und ich brav hintennach. Auf die Idee, einfach
umzudrehen bin ich - folgsam wie ich bin und panisch wie ich war - gar nicht
gekommen. Ich glaube nicht, dass sie den Turm beim Weggehen schon eingeplant
hatte, und überlebt habe ich trotz mehrmaligem Herumirrens im Gebäude – den
richtige Lift haben wir nicht gleich gefunden - das Ganze auch; die Aussicht
ist großartig und die Arbeit der Frau Rist interessant und schön. Aber was ist
mit dem lustigen Text? Irgendeine Pointe hatte ich mir am Rückweg noch
ausgedacht, aber jetzt fällt sie mir nicht ein. Waren es unsere Diskussionen im
Turm - „wo ist der Lift?“ „da“ „nein da“ „dürfen wir das?“ „ja“ „gleich werden
sie uns rausschmeißen!“ „zweiter Gang links, nicht erster!“ usw? Mein Gehirn
scheint unterversorgt zu sein. Und halblustig ist unlustig. Gar nicht gut!
Und ich muß mir, wenn ich im Bett, meinem sichersten Ort,
schreibe, nach dem fünfhundertsten Mal endlich merken: nicht den Kugelschreiber
aufs Nachtkastl links von mir und das Notizbuch auf den Bücherstapel links
neben dem Bett legen, wenn ich dabei auch den Kopf nach links drehe, um den Vorgang
zu sehen, und gleichzeitig gähnen muß! Das ergibt nämlich jedesmal einen
krampfartigen Schmerz in Hals und Nacken, der sich nur langsam auflöst.
(26.1.2022)
©Peter Alois Rumpf Jänner 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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