2563 Miles Davis in der Albertina
Ich sitze vor der Werefkin, wie immer. Mein maskierter Atem
beschlägt die falsche Lesebrille. Trotzdem: das wilde Tier schleicht scheu –
wie wilde Tiere es meistens sind – durch den winterlich-nächtlichen Wald. Genau
weiß man und ich nicht, welches Tier hier geht. Oder ist im Wald gar nicht
Nacht? Die Welt ist zu fremd für eine eineindeutige Erkenntnis. Die Bar in der
Sturmnacht ist menschlich und zieht die Männer an wie mich früher die BlueBox.
Unruhe, ich will weiter. Ins falsche Notizbuch – nämlich ins Traumbuch, das ich
irrtümlich eingesteckt habe – das da zu schreiben, irritiert mich und ist mir
lästig (für einen Chaoten muß Ordnung sein). Drehung zum Oberstdorfer Wald.
Halbdrehung.
Ich laufe aus dem Ruder, ich ecke überall an –
psychisch-mental – und reibe an jeder echten oder imaginierten Kante des
Unerwarteten. Ich muß weiter in den nächsten Saal.
Ich habe auch die falsche Brille eingesteckt, die häßliche,
kaputte, schief sitzende, ständig von der Nase fallende Ersatzbrille, und raste
bei der Brücke. Photos machen geht besser. Keine Sitzbank mehr im
Kokoschka-Saal! Das geht nicht! Das geht gar nicht! Das geht überhaupt nicht! Ach, welch
tolle Bilder! Präzise und lebendig.
Wenigstens beim depperten Kardinal kann ich sitzen, in der
Nähe des vierblättrigen Klees. Schritte sind zu hören. Die Klimaanlage röhrt
und brummt. Darin ist jedoch Stille. Zwei neue Schrittchen, dann ist es wieder
still. Das Sitzbankbrett geht gnadenlos über die rechteckigen Wandzierungen
unter dem Fenster. Das darf es; ich finde den Eingriff gelungen und - nicht nur
an der Wand – angebracht. Weitergehen! Ich kann noch viel weiter gehen!
Jetzt kann ich doch nicht weitergehen, weil mich ein
Weiberarsch blockiert. Ich will ihm – gerade stolz an mir vorbei gestöckelt –
nicht nachgehen. Ich warte, bis er weiter weg ist. Die stolzen, festen Schritte
sind nun weiter weg. Aufbruch. Im Vorbeischlendern erfreue ich mich besonders
an zwei der Kleeblätter und sitze dann mit überschlagenen Beinen vor
Motesiczkys Arbeiter wie immer auf meiner Tour. Und zwar sitze ich ganz
gekrümmt, unattraktiv und eingesunken. Ich will das so. Der Arbeiter ist
einigermaßen aufrecht, vor allem freundlich. Der Faltenwurf seines Sakkos: eine
Welt für sich. Er ist so deutlich da; ich so undeutlich. Und seine Hose! Rechts
unten innen eine ganze Galaxie.
Bei mir hängt alles vom Sitzen ab; darum streife ich den
lieben Giacometti nur und verweile nur ein wenig bei seiner Landschaft 1952.
Nun warte ich im Idiotengang bei den Sphinxen auf D. Die
Säulen hier tragen nichts. Die Köpfe spitzeln auf ihren Marmornägeln in den
Boden. Und die Sphinxe haben echt Arschgesichter und jede einen fragwürdigen
Mund. The Sound of Austrian Dialects, no Music. Klimaanlage und Luftaustausch
ist das Hintergrundrauschen. Ich warte auf D. Hoffentlich kommt sie vor meiner
Unterzuckerung. Die beaufsichtigende Schrittemacherin geht offensichtlich nach
Hause; Dienstschluß. Oder etwas trinken. Glockenschläge schlagen halb. Der
erste Kopf ist der Augustus, wie ich am Schild ablesen kann. Der schaut zur
Seite zu Boden. Hä? Der? Der macht auf verschämt? Oder sein positiv denkender
Skulpteur. Zugeschwollene Augen steigen langsamst vorbei. Die Jugend hingegen
flott. Die Bundesländler schreien so laut! (also! Das kannst du nicht wissen,
wo die her sind; der Dialekt unter der Maske ist undeutlich!) (Aber mein
Energiekörper kann es wissen.) Mann mit Hut, mehr Tunichtgut (ich lasse meinen
inneren Verurteiler ungehindert arbeiten). Halt: das Spiegelbild ist nicht
korrekt! Es zeigt eine Krümmung im Teppich, wo keine ist. Ich warte auf D. Und
ich werde ungeduldig; ich reibe meinen entzückenden Rücken am Fensterglas
hinter mir auf der Sitzbank. D ist da!
D ist da, aber jetzt warte ich vor dem Klo auf D.
Nun im Noëlsaal auf der Bank, während meine liebe D
herumgeht. Der Döbereiner hatte seine Drecksgriffeln tief in meiner Seele und
meinem Unbewußten! Ist mir vor diesen Bildern mit Belegstelle so eingefallen.
Ich suche nur noch Sitzbänke auf, die Unterzuckerung ist in vollem/leerem Gange. Eine kleine Fastenzeit. Ich will nach Hause, sage es aber nicht. Im
Gegenteil: ich ermuntere D noch herumzugehen. Es ist ok so.
Ein verzerrtes Kniegelenk nicht bei mir, sondern an der
Wand. Mein Weiblein kommt und setzt sich neben mich. Oh! Das Kniegelenk ist
nicht Lindgren, sondern Miles Davis!
(19.1.2022)
©Peter Alois Rumpf Jänner 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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