Mittwoch, 19. Januar 2022

2563 Miles Davis in der Albertina

 

Ich sitze vor der Werefkin, wie immer. Mein maskierter Atem beschlägt die falsche Lesebrille. Trotzdem: das wilde Tier schleicht scheu – wie wilde Tiere es meistens sind – durch den winterlich-nächtlichen Wald. Genau weiß man und ich nicht, welches Tier hier geht. Oder ist im Wald gar nicht Nacht? Die Welt ist zu fremd für eine eineindeutige Erkenntnis. Die Bar in der Sturmnacht ist menschlich und zieht die Männer an wie mich früher die BlueBox. Unruhe, ich will weiter. Ins falsche Notizbuch – nämlich ins Traumbuch, das ich irrtümlich eingesteckt habe – das da zu schreiben, irritiert mich und ist mir lästig (für einen Chaoten muß Ordnung sein). Drehung zum Oberstdorfer Wald. Halbdrehung.

Ich laufe aus dem Ruder, ich ecke überall an – psychisch-mental – und reibe an jeder echten oder imaginierten Kante des Unerwarteten. Ich muß weiter in den nächsten Saal.

Ich habe auch die falsche Brille eingesteckt, die häßliche, kaputte, schief sitzende, ständig von der Nase fallende Ersatzbrille, und raste bei der Brücke. Photos machen geht besser. Keine Sitzbank mehr im Kokoschka-Saal! Das geht nicht! Das geht gar nicht! Das geht überhaupt nicht! Ach, welch tolle Bilder! Präzise und lebendig.

Wenigstens beim depperten Kardinal kann ich sitzen, in der Nähe des vierblättrigen Klees. Schritte sind zu hören. Die Klimaanlage röhrt und brummt. Darin ist jedoch Stille. Zwei neue Schrittchen, dann ist es wieder still. Das Sitzbankbrett geht gnadenlos über die rechteckigen Wandzierungen unter dem Fenster. Das darf es; ich finde den Eingriff gelungen und - nicht nur an der Wand – angebracht. Weitergehen! Ich kann noch viel weiter gehen!

Jetzt kann ich doch nicht weitergehen, weil mich ein Weiberarsch blockiert. Ich will ihm – gerade stolz an mir vorbei gestöckelt – nicht nachgehen. Ich warte, bis er weiter weg ist. Die stolzen, festen Schritte sind nun weiter weg. Aufbruch. Im Vorbeischlendern erfreue ich mich besonders an zwei der Kleeblätter und sitze dann mit überschlagenen Beinen vor Motesiczkys Arbeiter wie immer auf meiner Tour. Und zwar sitze ich ganz gekrümmt, unattraktiv und eingesunken. Ich will das so. Der Arbeiter ist einigermaßen aufrecht, vor allem freundlich. Der Faltenwurf seines Sakkos: eine Welt für sich. Er ist so deutlich da; ich so undeutlich. Und seine Hose! Rechts unten innen eine ganze Galaxie.

Bei mir hängt alles vom Sitzen ab; darum streife ich den lieben Giacometti nur und verweile nur ein wenig bei seiner Landschaft 1952.

Nun warte ich im Idiotengang bei den Sphinxen auf D. Die Säulen hier tragen nichts. Die Köpfe spitzeln auf ihren Marmornägeln in den Boden. Und die Sphinxe haben echt Arschgesichter und jede einen fragwürdigen Mund. The Sound of Austrian Dialects, no Music. Klimaanlage und Luftaustausch ist das Hintergrundrauschen. Ich warte auf D. Hoffentlich kommt sie vor meiner Unterzuckerung. Die beaufsichtigende Schrittemacherin geht offensichtlich nach Hause; Dienstschluß. Oder etwas trinken. Glockenschläge schlagen halb. Der erste Kopf ist der Augustus, wie ich am Schild ablesen kann. Der schaut zur Seite zu Boden. Hä? Der? Der macht auf verschämt? Oder sein positiv denkender Skulpteur. Zugeschwollene Augen steigen langsamst vorbei. Die Jugend hingegen flott. Die Bundesländler schreien so laut! (also! Das kannst du nicht wissen, wo die her sind; der Dialekt unter der Maske ist undeutlich!) (Aber mein Energiekörper kann es wissen.) Mann mit Hut, mehr Tunichtgut (ich lasse meinen inneren Verurteiler ungehindert arbeiten). Halt: das Spiegelbild ist nicht korrekt! Es zeigt eine Krümmung im Teppich, wo keine ist. Ich warte auf D. Und ich werde ungeduldig; ich reibe meinen entzückenden Rücken am Fensterglas hinter mir auf der Sitzbank. D ist da!

D ist da, aber jetzt warte ich vor dem Klo auf D.

Nun im Noëlsaal auf der Bank, während meine liebe D herumgeht. Der Döbereiner hatte seine Drecksgriffeln tief in meiner Seele und meinem Unbewußten! Ist mir vor diesen Bildern mit Belegstelle so eingefallen. Ich suche nur noch Sitzbänke auf, die Unterzuckerung ist in vollem/leerem Gange. Eine kleine Fastenzeit. Ich will nach Hause, sage es aber nicht. Im Gegenteil: ich ermuntere D noch herumzugehen. Es ist ok so.

Ein verzerrtes Kniegelenk nicht bei mir, sondern an der Wand. Mein Weiblein kommt und setzt sich neben mich. Oh! Das Kniegelenk ist nicht Lindgren, sondern Miles Davis!

 

(19.1.2022)

©Peter Alois Rumpf  Jänner 2022   peteraloisrumpf@gmail.com

 

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite