2544 Lauter schöne Dinge
11:22 a.m. Bett. Meine zwei Visionäre oben am CD-Regal
(Seitenbord) sind heute sehr zurückhaltend. Frau Katz trinkt aus meinem auf dem
Schreibtisch abgestellten Wasserglas – gut, dass ich es gesehen habe – ich
hätte daraus getrunken. Dafür hockt sie, die Katze, jetzt auf meiner Brust und
hindert mich am Schreiben. Dann klettert sie auf mein „Nachtkastl“ - eine
heikle Sache, denn dort kann sie mir einiges durcheinander bringen – aber ich
kann die Zeit jetzt zum Schreiben nutzen – und kehrt wieder schnurrend auf
meine Brust zurück. Lauter schöne Dinge habe ich hier im Zimmer – die habe ich
schon zu oft beschrieben – und irgendwo im Haus klescht es immer wieder, dass
die Fensterscheiben vibrieren. Das Epizentrum ist ganz nah. Bei uns in der
Wohnung? Ist das der Punkt, an dem die Welt ausgehebelt werden kann? Die
Tageskinder unten hüpfen und sind so glücklich in ihre gemeinsamen Spiele
vertieft; ich höre sie reden und besprechen und singen.
Bei mir heroben geschieht so eine Art Blauverschiebung:
plötzlich konzentriert sich meine Aufmerksamkeit auf alle blauen Dinge im
Regal, und dann im ganzen Zimmer und dann strahlt das Blau ein wenig auf das
ganze Zimmer aus. Frau Katz - wieder drüben am Schreibtisch – dreht sich im
Kreis und legt sich wieder hin. Ist es das, was ich die ganze Zeit mache? Mit
meinen „Katzen“ansichten voll – mich blöd, blind und fromm in den Tod tragen
lassen? (C.C.!) Oder abzurutschen? Jedenfalls ohne zu ahnen, was mich da wirklich
erwartet?
Ich spüre, dass es Zeit fürs Frühstück wird. Ach liebe
frankophone Schweizerin, du schaust wieder so intensiv her, dass ich mir
falsche Hoffnungen mache. Die eine Nackte von Modigliani verwandelt sich in eine
kosmische, universale Gestalt und schwebt in, über, irgendwie vor und auf dem
gesamten Universum; wie eine Lichtkonfiguration über das All hingeworfen. Der
Zelebrant daneben verschwindet fast vor Inkompetenz und Bedeutungslosigkeit;
besteht nur mehr aus ein paar Farbflecken, die sich in nichts von den
Farbflecken um ihn herum unterscheiden, die Schamröte für seine Anmaßung nicht
nur auf sein Gesicht und seine Gestalt, sondern aufs ganze Bildchen verteilt.
Der Auferstandene gleich daneben posiert und inszeniert sich eher hilflos! Gut,
das wird aufs Konto meiner zeichnerisch malerischen Unfähigkeit gehen – das
Photo kann nichts dafür. Schreibtechnisch gesehen sitze ich am Strand und
schreibe in den Sand. Tief aus der Mitte der Erdkugel kommen deutliche Schwingungen
herauf, die sich in meinem Körper als Übelkeit und als Tränen inkarnieren. Mit
dem Schreiben halte ich das irgendwie im Zaum. Wie traurig ist der Anblick der
über meinen Bürosessel geworfenen Tagesdecke – mir kommen fast (fast! Immer nur
fast! Immer, immer fast!) die Tränen! Heul doch endlich! Die Übelkeit setzt
sich in meiner Körpermitte fest und erlaubt jetzt kein Frühstück. Eine
Wahnsinnsmüdigkeit überkommt mich.
Zum ersten Mal – so erscheint es mir – sehe ich mein Zimmer
architektonisch: die Schränke als Gebäude, das Zimmer selbst als bebaute
Landschaft, nur der Plafond stört ein wenig, aber ich gehe jetzt hinunter
frühstücken.
Es geht nicht. Die Ruach, die Weltgeistin, die Hagia Sophia
hatte sich über mich gebeugt. Ich merke es erst jetzt, wo sie sich zurückzieht.
Ich rette mich in die Würfelhockerposition legère. Die kosmischen Wellen zupfen
und zerren an mir. Ich möchte wissen, wie lange heute das MAK offen hat, aber
ich stehe nicht auf um zum Laptop zu gehen. Wenn ich mir beim Schreiben zusehe,
und der dabei entstehenden Schrift, kommt mir diese wie ein ungebremstes
Menetekel vor: wie eine Zauberschrift, die durch mich rinnt und die ich nicht
mehr stoppen kann. Elegisch melancholisch blicke ich auf die dort auf meinen
Kleidersessel abgeworfene rote Unterhose und jetzt habe ich eine
Pseudo-Rotverschiebung, wie es vorhin eine Pseudo-Blauverschiebung war. Meine
Schrift beginnt zu kippen und sich zu verdoppeln und aus Brandls Berggipfel
wird ein geisterhaftes Wesen. Alles wird wesentlich geisterhaft. Die Katze
brummt und schnarcht in alarmierender Intensität und Lautstärke. Vor meinem
inneren Auge spielt sich mein Tod als Kitsch-Krimi-Szene mit junger Frau ab.
Wenn es nicht zu mehr gereicht hat, werde ich im Sterben arm dran sein. Die
frankophone Schweizerin – Kleinformat – zeigt sich empört. Es ist nicht ganz
klar: über mich? Oder dass man mich so unromantisch sterben läßt (sie will die
Kitschszene zurück!). Wofür alles im Universum Energie da ist!
Ich liege noch im Bett und draußen wartet Sonnenschein, mein
Sonnenschein, wenn ich mal etwas anmaßend sein darf.
Jetzt erlebe ich eine kleine Hellblau-Türkis-Verschiebung.
Das vorhandene Rot wird blasser. (Ihr Politruks! Ich kann nichts dafür!) Die
frankophone Schweizerin – Kleinformat – ist schon ganz grau. Nur die nackerte
Modiglianerin bleibt kosmisch. Die aufgenommene Fahrt läßt mich beim Schreiben
hudeln, sodass ich dauernd Buchstaben auslasse (was die dann so treiben, weiß
ich nicht). Essen, schlafen, ist's edler im Gemüt … was spricht der Körper? Er
spricht: „erstens: Hunger. Zweitens: schlecht. Finde die Lösung!“
Es ist mit mildem Verlauf zu rechnen. Eine tiefe, männliche,
sonore Bassstimme erklärt mir etwas, was ich nicht verstehe. Schon vorbei! Ich
habe die Botschaft verpasst. („Fürchte dich nicht!“? „Die Welt wurde nur für
dich geschaffen!“? „Du bist Staub und wirst wieder zu Staub zurückkehren!“?
„Treib nicht ab!“? „Du bist ein so ein Idiot!“? „Aaanaa hoot immaa des
Bummerl!“? „Du hättest den Döbereiner
retten können!“? „Du bist der Rächer der Enterbten!“? Du bist enterbt!“?
Du bist ein Erbschleicher!“? „Dein Schatten schießt schneller als du!“? Himmel,
Arsch und Zwirn!“) Schluß jetzt! Schneider Schneider meck meck meck! Jetzt auch noch
etymologische und redewendungsgenetische Vermutungen! … Wenn ich jetzt nicht sofort mein Notizbuch
weglege, werde ich nie mehr zu schreiben aufhören können und dabei verhungern
und verdursten!
(7.1.2022)
©Peter Alois Rumpf Jänner 2022
peteraloisrumpf@gmail.com
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