2453 Linz
Ich sitze im schönen, hellen, modernen Hotelzimmer am Bett
und blicke durch die holzgeteilten Glasfronten vor und rechts von mir, fast ein
Panoramablick, die Nachmittagssonne bescheint so gelblich, geistig, beruhigt
und vielsagend die Fassaden der Häuser, dass ich es im Herzen als Ziehen spüre;
was dieses Licht anspricht, weiß ich nicht wirklich. Oben ist der Himmel blau,
die Häuser glänzen so unschuldig, dabei beginnt sich der Tag schon zu neigen,
so kann er nicht mehr unschuldig sein. Den Fassaden sehe ich keine Tragödien
an, die sich hinter ihnen abgespielt haben.
Neun Kunstkarten sind das Ergebnis des Lentosbesuchs: eine
von Wolfgang Böhm, Kohle, Tusche; Marie Louise von Motesiczky, Selbstporträt
mit Birnen; Alfred Kubin, die Schieber; Maria mit Kind, Kastenbild 18.
Jahrhundert; Wilhelm Thöny; Marseille, Hafenszene; Max Pechstein, Frau mit
rotem Haar; Oskar Kokoschka, Linzer Landschaft; Arnulf Rainer, Ozean! Ozean!;
Karin Mack, aus der Serie WIR – und ich bin sehr glücklich über den Besuch dort
und meine Beute.
Die Welt ist doch stabil, trotzdem alles fließt. Die Platane
unten ist ungefähr bis zu meiner Augenhöhe im dritten Stock gewachsen und wird
vom Wind bewegt. Der Autolärm erinnert, dass man in einer Stadt ist, aber
bleibt passabel. Der Himmel wird jetzt von ein paar weißen Schleiern
durchzogen. Glockenläuten. Glocken läuten viel hier. Der Metallzaun am
Flachdach des gegenüber liegenden Palastes glitzert silbern, und die metallenen
Fensterrahmen des Hauses rechts daneben, dessen Vorderseite näher steht,
glitzern golden. Und die Schatten wandern an den Häuserfronten hinauf. Ich hebe
meine Zehen und lasse sie wieder nieder, abwechselnd rechts und links und erzeuge
so ein schabendes Geräusch an der zusammengefalteten Bettdecke. Auch das hat
Bedeutung und Auswirkungen auf das Universum. Ich blättere nochmals meine neuen
Kunstkarten durch und erfreue mich an ihnen. Das metallene Geländer gegenüber
gemeinsam mit irgendwelchen metallenen Rauchfangröhren glüht nun ein Loch in
den Anblick; ich erwarte, dass hier unsere Welt aufbrennt und das Dahinter dem
Blick freigibt. Aber jetzt läßt die Glut wieder nach.
(2.10.2021)
©Peter Alois Rumpf Oktober 2021
peteraloisrumpf@gmail.com
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