Sonntag, 3. Oktober 2021

2453 Linz

 

Ich sitze im schönen, hellen, modernen Hotelzimmer am Bett und blicke durch die holzgeteilten Glasfronten vor und rechts von mir, fast ein Panoramablick, die Nachmittagssonne bescheint so gelblich, geistig, beruhigt und vielsagend die Fassaden der Häuser, dass ich es im Herzen als Ziehen spüre; was dieses Licht anspricht, weiß ich nicht wirklich. Oben ist der Himmel blau, die Häuser glänzen so unschuldig, dabei beginnt sich der Tag schon zu neigen, so kann er nicht mehr unschuldig sein. Den Fassaden sehe ich keine Tragödien an, die sich hinter ihnen abgespielt haben.

Neun Kunstkarten sind das Ergebnis des Lentosbesuchs: eine von Wolfgang Böhm, Kohle, Tusche; Marie Louise von Motesiczky, Selbstporträt mit Birnen; Alfred Kubin, die Schieber; Maria mit Kind, Kastenbild 18. Jahrhundert; Wilhelm Thöny; Marseille, Hafenszene; Max Pechstein, Frau mit rotem Haar; Oskar Kokoschka, Linzer Landschaft; Arnulf Rainer, Ozean! Ozean!; Karin Mack, aus der Serie WIR – und ich bin sehr glücklich über den Besuch dort und meine Beute.

Die Welt ist doch stabil, trotzdem alles fließt. Die Platane unten ist ungefähr bis zu meiner Augenhöhe im dritten Stock gewachsen und wird vom Wind bewegt. Der Autolärm erinnert, dass man in einer Stadt ist, aber bleibt passabel. Der Himmel wird jetzt von ein paar weißen Schleiern durchzogen. Glockenläuten. Glocken läuten viel hier. Der Metallzaun am Flachdach des gegenüber liegenden Palastes glitzert silbern, und die metallenen Fensterrahmen des Hauses rechts daneben, dessen Vorderseite näher steht, glitzern golden. Und die Schatten wandern an den Häuserfronten hinauf. Ich hebe meine Zehen und lasse sie wieder nieder, abwechselnd rechts und links und erzeuge so ein schabendes Geräusch an der zusammengefalteten Bettdecke. Auch das hat Bedeutung und Auswirkungen auf das Universum. Ich blättere nochmals meine neuen Kunstkarten durch und erfreue mich an ihnen. Das metallene Geländer gegenüber gemeinsam mit irgendwelchen metallenen Rauchfangröhren glüht nun ein Loch in den Anblick; ich erwarte, dass hier unsere Welt aufbrennt und das Dahinter dem Blick freigibt. Aber jetzt läßt die Glut wieder nach.

 

(2.10.2021)

 

 ©Peter Alois Rumpf  Oktober 2021   peteraloisrumpf@gmail.com

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