Mittwoch, 8. April 2020

1815 Tablett


Ich könnte mich nach Nikolaus von der Flühe auch Petrolaus von der Fliehe nennen: während meine Coronafamilie am Esstisch sitzt und frühstückt, frühstücke ich als wohnungsinterner Gast in der Schlafnische meiner Frau im Bett, das in früheren Zeiten Papabett geheißen hat, aber von mir nur mehr sozusagen besucherisch benutzt wird, aufrecht sitzend wie ein König bei der Morgenvisite, meine Frau, die mich - ihrerseits schon längst aufgestanden und bereits meditiert und yogisiert habend - bedient, von ihrem Bett aus betrachtend, genüßlich ihren yogafesten Hintern begaffend, in züchtigem zwei, drei Meter Abstand, mit Genugtuung mitansehend, wie sie mir meine reichlich mit Müsli gefüllte und liebevoll mit Obststückchen dekorierte Essensschale über die sich ungefähr in Bauchhöhe befindliche Matratze weit und demütig nach vorn gebeugt - leider hat sie ein hochgeschlossenes Leiberl an – aber anders als nach vorn gebeugt geht es nicht – zu mir herschiebt, während ich wie ein Oil- und Asyl-Götze stolz und gestelzt aufrecht an der polsterverstärkten Rückwand gelehnt mit ausgestreckten Beinen sitzend in sakraler Pose – ohne ihr mit irgendeinem Vorbeugen meinerseits geographisch und würdetechnisch entgegen zu kommen – das Tablett mit dem Müsli, dem heißen Kurkumalatte, dem Glas Wasser und dem Teelicht im gelben Glas sowie auch ihre Huldigung entgegennehme.
Andächtig und schweigend führe ich löffelweise in heiliger Mission mein Frühstück zum Mund und ein; sehe, wie sich im Wohnzimmer draußen am Eßtisch die gelben Tulpen aufrecht halten, während die roten beginnen, sterbend nach rechts zur brennenden Kerze zu kippen und meine coronarische Rumpffamilie ihr Frühstück verzehrt.

Auf den verschämt verhüllten Plattenspieler fällt mir noch das strahlend dunkelblaue Nähkästchen aus Plastik auf – von meinen Mundschutz-produzierenden Damen zurückgelassen – also auch das machen die tüchtigen Damen.

Nach meinem Mahl frage ich mich – meine Frau schlägt soeben am Fußende die Bettdecke auf und küsst meine Füße – ob ich hier in der Gastzelle bleiben soll, oder doch nach oben in meine kleine Stammeinsiedelei übersiedeln, ob man meiner hier noch familientechnisch, spirituell, ästhetisch, olfaktorisch – Fakten bleiben Fakten und sind keine Fakenews -, dozierend oder hierarchisch-Struktur-stabilisierend bedarf.

Diesbezüglich unentschlossen, aber von einem wilden Schneiden im Gedärm angetrieben, erhebe ich mich nicht ohne Vernachlässigung meiner Würde schnell und eile ins königliche Riesenbadezimmer … um am Rückweg – Gottlob habe ich nicht vergessen – meine psychiatrisch verordnete, tägliche Kapsel Antidepression und Gegenpanik einzunehmen.

Erschöpft von der anstrengenden repräsentativen Arbeit und der mühevollen Schreibßerei entschließe ich mich, den Aufstieg in mein finsteres, hervorragend ausgestattetes Kelion, von dem ich mitten in der Nacht mit Taschenlampe in der Hand und dem Notiz- wie auch dem Traumbuch unterm Arm ins warme, kuschelige Bett meines Weibes herabgestiegen war, dennoch zu wagen.  „Tu es!“, sage ich mir.










(6.4.2020)












©Peter Alois Rumpf,  April 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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