1815 Tablett
Ich könnte mich nach Nikolaus von der Flühe auch Petrolaus
von der Fliehe nennen: während meine Coronafamilie am Esstisch sitzt und
frühstückt, frühstücke ich als wohnungsinterner Gast in der Schlafnische meiner
Frau im Bett, das in früheren Zeiten Papabett geheißen hat, aber von mir nur
mehr sozusagen besucherisch benutzt wird, aufrecht sitzend wie ein König bei
der Morgenvisite, meine Frau, die mich - ihrerseits schon längst aufgestanden
und bereits meditiert und yogisiert habend - bedient, von ihrem Bett aus
betrachtend, genüßlich ihren yogafesten Hintern begaffend, in züchtigem zwei,
drei Meter Abstand, mit Genugtuung mitansehend, wie sie mir meine reichlich mit
Müsli gefüllte und liebevoll mit Obststückchen dekorierte Essensschale über die
sich ungefähr in Bauchhöhe befindliche Matratze weit und demütig nach vorn
gebeugt - leider hat sie ein hochgeschlossenes Leiberl an – aber anders als
nach vorn gebeugt geht es nicht – zu mir herschiebt, während ich wie ein Oil-
und Asyl-Götze stolz und gestelzt aufrecht an der polsterverstärkten Rückwand
gelehnt mit ausgestreckten Beinen sitzend in sakraler Pose – ohne ihr mit
irgendeinem Vorbeugen meinerseits geographisch und würdetechnisch entgegen zu
kommen – das Tablett mit dem Müsli, dem heißen Kurkumalatte, dem Glas Wasser
und dem Teelicht im gelben Glas sowie auch ihre Huldigung entgegennehme.
Andächtig und schweigend führe ich löffelweise in heiliger
Mission mein Frühstück zum Mund und ein; sehe, wie sich im Wohnzimmer draußen
am Eßtisch die gelben Tulpen aufrecht halten, während die roten beginnen,
sterbend nach rechts zur brennenden Kerze zu kippen und meine coronarische
Rumpffamilie ihr Frühstück verzehrt.
Auf den verschämt verhüllten Plattenspieler fällt mir noch
das strahlend dunkelblaue Nähkästchen aus Plastik auf – von meinen
Mundschutz-produzierenden Damen zurückgelassen – also auch das machen die
tüchtigen Damen.
Nach meinem Mahl frage ich mich – meine Frau schlägt soeben
am Fußende die Bettdecke auf und küsst meine Füße – ob ich hier in der
Gastzelle bleiben soll, oder doch nach oben in meine kleine Stammeinsiedelei
übersiedeln, ob man meiner hier noch familientechnisch, spirituell, ästhetisch,
olfaktorisch – Fakten bleiben Fakten und sind keine Fakenews -, dozierend oder
hierarchisch-Struktur-stabilisierend bedarf.
Diesbezüglich unentschlossen, aber von einem wilden
Schneiden im Gedärm angetrieben, erhebe ich mich nicht ohne Vernachlässigung
meiner Würde schnell und eile ins königliche Riesenbadezimmer … um am Rückweg –
Gottlob habe ich nicht vergessen – meine psychiatrisch verordnete, tägliche
Kapsel Antidepression und Gegenpanik einzunehmen.
Erschöpft von der anstrengenden repräsentativen Arbeit und
der mühevollen Schreibßerei entschließe ich mich, den Aufstieg in mein
finsteres, hervorragend ausgestattetes Kelion, von dem ich mitten in der Nacht
mit Taschenlampe in der Hand und dem Notiz- wie auch dem Traumbuch unterm Arm
ins warme, kuschelige Bett meines Weibes herabgestiegen war, dennoch zu
wagen. „Tu es!“, sage ich mir.
(6.4.2020)
©Peter Alois Rumpf, April 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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