Donnerstag, 2. April 2020

1811 Es beginnt wieder


Gestern glaubte ich, es beginnt wieder.

Und es hatte auch begonnen: zuerst ist meine Wahrnehmung verdunkelt und an den Rändern schwarz geworden; ich geriet in einen Alarmzustand und in eine Entfremdung wie unter Drogen. Mein Sehen hat zu laufen begonnen: wie die Bilder bei so mancher Störung von Fernsehübertragungen zu laufen und zu zucken beginnen. So war das live bei mir, das, was ich sehe, der Raum vor mir springt weg und kommt wieder und springt wieder weg, immer wieder, unaufhörlich, again and again.
Panik und Todesangst hatten sich herangeschlichen und griffen nach mir, wollten mich packen, aber ich habe ihnen sanft widerstanden: ich habe mir nicht erlaubt, in Panik zu verfallen, habe bewußt tief geatmet und der aufkommenden Übelkeit verboten, von mir total Besitz zu ergreifen. Ich habe mich vorsichtig und bedachtsam bewegt, konzentriert darauf achtend, das Gleichgewicht nicht völlig zu verlieren, denn jede Bewegung, vor allem des Kopfes, hat Schwindel ausgelöst. Da habe ich mich ein wenig in mein Zimmer zurückgezogen – meine Bücher- und meine Bilderwände – alle sind sie ständig nach links gezuckt – und habe versucht, mich auszuruhen. Als ich wieder stabiler war, habe ich mich wieder erhoben und mich wiederum behutsam bewegt, bin wieder in die Küche runter, meine unterbrochene Arbeit fortzusetzen zu probieren, habe also wachsam den Geschirrspüler eingeräumt – das Hinunterbeugen war eine Herausforderung – aber ich wollte mich keinesfalls der herankommenden Panik ausliefern und preisgeben, sondern sie durch sehr bewußtes und konzentriertes, aber normales Tun vertreiben. So ähnlich, wie ich früher als Betrunkener gekämpft habe, zum Beispiel den Weg nach Hause zu schaffen und der Dunkelheit mit dem letzten Rest normaler Wachheit und Bewußtheit, mit dem letzten zusammengekratzten Willen eisern zu widerstehen.

Dann, als ich noch stabiler war, habe ich mich bewußt mit Kabarett abgelenkt, sodaß ich nach einiger Zeit fast unmerklich, aber doch deutlich eine durchsichtige, magische Membran durchstoße und durchschritten habe und ich wieder voll da und normal war und mein Sehen wieder ruhig und fest und ohne jedes Flimmern am Rand.

Heute bin ich dann, nachdem ich vorher einen Ausflug zu einer Kundenservicestelle – wie sich die euphemistisch nennt - der Gesundheitskasse – wie sich die euphemistisch nennt – gemacht habe und dabei ein Stück gefahren und dann den im Sonnenlicht und mit den austreibenden Roßkastanien und Platanen wahrhaft prächtigen Boulevard der Lassallestraße hinuntergewandert bin (obwohl ich es als hinaufgehen empfinde – aber ich gehe der Donau zu) um meinen Bettelantrag zur Teilrefundierung meiner Psychotherapiekosten für März abzugeben, obwohl ich jetzt im April noch nicht einmal die für Februar erhalten habe – bei so Unternehmern wie den Kitzlöchler Liftbetreibern, den Pierers und Benkos und wie sie alle heißen, geht es bei der Staats- und staatsnahen Bürokratie vermutlich viel zacker, zacker – kurz, nachdem ich diese Wanderung mit toller Mundschutzmaske aus selbstbedrucktem Stoff erledigt habe und wieder zu Hause war, bin ich dann den Escalator over the Hill hinaufgefahren und beim Anhören von Zeit zu Zeit in einen angenehmen, köstlichen, erholsamen, erquickenden und kontemplativen Schlaf gefallen.

Und jetzt werde ich an den Mittagstisch gerufen zu einem guten, von Frau und Tochter liebevoll zubereiteten Mahl und ich werde essen und hoffe, daß dies Leib und Seele beieinander halten wird.












(2.4.2020)












©Peter Alois Rumpf,  April 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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