1806 Die nackten Bäume
Draußen im Hof ist alles wie von silbrigem Weiß überzogen.
Der Himmel: vom Sonnenlicht hinter den dünnen Wolken geschärftes strahlendes
Weiß. Die Mauern: milchiges Weiß. Selbst die roten Dächer scheinen von weißem
unsichtbarem Mehlstaub überzogen. Und erst recht die nackten Bäume: das Grau
der Rinde ist sehr weißlich.
Dieses Weiß scheint über alles gelegt zu sein und alles
miteinander zu verbinden. Nicht die Konturen und Gegensätze sind betont,
sondern alles ist einander angenähert. Alles schwimmt und schwebt in diesem
milchigen Lichtäther. Das ist schön, ich genieße diesen Anblick vom Lehnstuhl
im Atelier aus.
Dann beginnt der Wind in den Zweigen der Bäume zu wühlen;
die Bäume schwanken beängstigend hin und her – mir zumindest kommt es so vor,
als würde der Wind versuchen, mein betrachtetes Gesichtsfeld zu zerreißen. Dann
beruhigt er sich wieder und wird zärtlich zu den Bäumen.
Oder erschrecke ich, weil er mir in mein labiles
Gleichgewicht meine eigene, versteckte Wildheit aufrührt? Auch dieser Anblick
der wankenden Bäume ist nicht bloß erschreckend, sondern schön.
Später dann hat der Wind die Wolken verjagt und alles
strahlt im Sonnenlicht und tritt scharf hervor.
(11.3.2020)
©Peter Alois Rumpf, März 2020
peteraloisrumpf@gmail.com
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