Donnerstag, 2. Januar 2020

1689 Gebietskrankenkasse


Nun, dort in der Bürokratenburg beim Anstellen – dem Briefkasten trau ich nicht mehr, nachdem ich fast vier Wochen auf mein Geld gewartet habe – habe ich im „Fernsehen“ ein Video von einem Bären im Schnee verfolgt. Auf der Lauer nach „Abenteuer“ oder auch nur irgendwas schönes ist mein Blick daran hängen geblieben: wie der junge – natürlich junge! Weil sich dort bei der Gebietskrankenkasse hauptsächlich Junge herumtreiben – Bär sich im Schnee wälzt und spielt – ein gewisser Gegensatz zur hier im Amt vorherrschenden Stimmung, oder? Spielen? Wälzen? Gesund-werden und dann arbeiten gehen! Dalli! Dalli!
Ist ihnen das passiert oder machen die das absichtlich zur Beruhigung der strukturell erniedrigten und tendenziell aufgebrachten „Kunden“ (offiziell! Inoffiziell: Bittsteller)?

Immerhin: mein Anliegen war rasch erledigt und beim Hinausgehen steuere ich gleich den Abgang zur U-Bahn an, wie ich es gewohnt bin, da ist mir – schon auf der Treppe – eingefallen, daß ich auf Intensität aus bin und drehe mich um, steige wieder rauf und gehe die Lassallestraße zum Praterstern zu Fuß hinauf. Diese Lassallestraße – in ihrem Hang zu „moderner“ Geschmacklosigkeit nicht gerade meine Favoritin – gefällt mir heute in ihrem östlichen Sonnenlicht und ihrer großen Breite. Ein richtiger Boulevard mit großzügigen Gehsteigen, viel freier Fläche; und mein Blickwinkel kehrt sich um und ich zum Optimismus des Fünfzigerjahre-Existenzialismus zurück. Ich weiß: das Nichts, die Verzweiflung, … auch dieser großzügige Boulevard (denk an Paris!), den ich jetzt sonnenbeschienen hinuntergehe, führt – auch wenn er genau Richtung Stephansdom ausgerichtet ist – ins Nichts (denn auch in und bei Sankt Stephan ist nichts zu holen), aber dieses Nichts damals war noch so voll; voll von Hoffnung, Fortschritt, Zukunft – im Vergleich zu heute. Ein bißchen davon holt es mir herbei – obwohl ich weiß, daß es unwiederbringlich verloren ist und vorbei, wie mein Leben. Dieses volle Nichts erfüllt mich mit glücklicher Trauer, daß ich fast weinen muß, aber ich weine nicht (ich wäre so gern mit herablaufenden Tränen dahingegangen – das hätte schon Eindruck gemacht!).

Ich rede mir gut zu, ins Cafe zu gehen; seit Wochen wieder einmal, das Geld reicht. Ich empfinde so großen Widerstand dagegen, als stünde mir soetwas nicht zu.
Am Praterstern fällt mir meine Fotoautomatenidee von gestern ein; lange stehe ich unentschlossen da und zögere, aber dann gebe ich meinem Herzen einen Stoß und suche am Bahnhof einen Automaten.

Lange muß ich dort anstehen, aber das geht jetzt schon (warten war mir nie mein Problem! Warten ist mein Habitus). Die Photos schließlich sind fürs Zeichnen eher unbrauchbar – aus Sparsamkeit habe ich ein zu billiges Produkt gewählt – aber trotzdem: ich bin wieder mit der Welt in Kontakt getreten, wenn auch nur über minimalen Automatenkonsum.

Ich fahre dann mit der U-Bahn weiter, freue mich, als ich einer Frau mit Kinderwagen im Lift den Vortritt lasse und gehe Richtung Paim. Beim Cafe Sperlhof, in dessen äußeren, straßenseitigen Fensternischen sich eine Büchertauschbörse befindet, schaue ich die aufgereihten Bücher – wenn ich schon vorbeikomme - durch und nehme schließlich drei. Dabei spricht mich ein junges Mädchen an, das sich ebenfalls durch die Bücher stöbert, und fragt mich, ob man/frau sich die einfach nehmen kann. Ich erkläre ihr den Hausbrauch und dann plaudern wir noch ein wenig über Bücher und ich freue mich sehr, ihr geholfen zu haben („helfen“: ein viel zu großes Wort!). (Und sofort bin ich verunsichert, ob meine Auskunft überhaupt richtig war!).










(2.1.2020)







©Peter Alois Rumpf,  Jänner 2020  peteraloisrumpf@gmail.com

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