Freitag, 11. Mai 2018

946 Im Lager


Im Lager entscheidet sich, welche Gedichte gut sind und welche unbrauchbar, welche einem im Leben halten können und welche nicht (siehe z.B. Herta Müller). Bei mir war es eigenartig: die guten, ernsthaften Gedichte und Sätze haben nämlich nur bis zu einem gewissen Grad gehalten, dann war im Lebenskampf meine Konzentration zu schwach und ich habe mich an die absurden geklammert: „In Stunden der Trauer/ lieg ich auf Lauer/ und freue mich diebisch/ ich weiß nicht worübisch“ oder „moos kau, das ganze Ergebnis einer Moskaureise“ oder „Käme Herr Jesus und wäre er unser Gast, würde er segnen, was er uns bescheret hätte“ (Alles Jandl) oder „Der Heilige Sebastian (stimmt nicht, es war ein anderer) hat in die Gurken geschissen“ (ein tschechischer oder slowakischer Bischof, als er von seiner Gefangenschaft im kommunistischem Lager erzählt; gemeint war „geschossen“; er hat, als er das auf Deutsch erzählt hat, die Formen verwechselt: schießen, schießte, geschiessen.) oder "Einst aß Orlov zu viel Erbsenbrei und starb" oder "Bibikov erstieg einen Berg, fiel in Gedanken und stürzte ab" (beides Daniil Charms) oder „Piff, paff, puff … dudl, didl, dedl“ (?) (Apollinaire? Keine Ahnung. Im Lager gibt es normalerweise weder Nachschlagewerke noch Internet. Weswegen auch alles bloß aus dem Gedächtnis zitiert ist und ziemlich sicher ziemlich ungenau.)

Warum? Vielleicht deswegen weil ich innerlich und äußerlich schon zu sehr kollaboriert hatte und mich von der Schuld in die Absurdität retten wollte: alles ist absurd, also brauch ich nichts ernst nehmen, auch meine Schuld nicht. Das ist fürs Überleben im Lager nicht ungefährlich, weil dann auch der Tod genauso absurd und damit genauso wird, wie alles andere, genauso gleichgültig. Und dann ist er eine genau so absurde Option wie alles andere, auch wie das Leben.


Wer schreibt das eigentlich? Sicherlich nicht Peter Rumpf, denn der war nie in einem Lager und – soweit ich ihn kenne - würde er es sich nicht anmaßen, so etwas über das Lager zu schreiben. (Höchstens das in Klammern geschriebene; dieses Herumgetüpfel würde zu ihm passen.)
Nein, der Peter Rumpf ist es nicht, der das geschrieben hat, denn er liegt aktuell angstbefallen im Bett und es ist ihm schlecht.







(11.5.2018)











©Peter Alois Rumpf    Mai 2018     peteraloisrumpf@gmail.com

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