901 „Gewalt macht stark“
Vieruhrsiebenundzwanzig. Meine surrenden Sirenen dröhnen
geradezu; vor allem am linken Ohr spielt es sich ab. Dort läuft ein akustischer
Film, ein richtiger Schinken mit allem Pi Pa Po.
Ich habe das Licht aufgedreht, im Zimmer ist alles still und
starr; alles, was hängt, hängt starr; es geht kein Lüftchen, das etwas bewegt.
Ich wundere mich auch, warum mir das komisch vorkommt, wenn sich im abgeschlossenen
Zimmer nichts bewegt. Dennoch, diese Starre kommt mir abnormal vor.
Das linksseitige Akustikdrama bläst mir – akustisch nur –
fast den Kopf weg.
Einer dieser tieferen, unwillkürlichen und stoßweisen
Atemzüge, wie man es von weinenden Kindern kennt.
Ich liege gütig auf meinen drei Polstern, gütig schaue ich
im Zimmer herum.
Meine Fußsohlen bewegen sich auf die Matratze gestützt ganz
leicht auf und ab. Wer hat ihnen das angeordnet? Ich? Ich kann mich nicht
erinnern.
Ich blicke unzentriert, mit verschwommenem Lesebrillenblick
auf meine kindliche „Ikonostase“; immerhin, sie holt aus mir ein Lächeln
hervor.
Die Starre jedoch hält sich immer noch im Raum auf. War das
gestern noch nicht so? Wird sie auf mich übergreifen? Innerlich lache ich jetzt
über eine kleine Episode bei der Ärztin gestern (ich habe sie angebettelt, auf
jeden Fall das Herz zu untersuchen), dabei geht eine leichte Bewegung durch
mich hindurch. Die Füße zappeln jetzt regelrecht, auf der Matratze aufliegend.
Ich werde versuchen, weiterzuschlafen.
Es stinkt in meiner kleinen Kammer. Ich öffne das Fenster
gerade zur Zeit des beginnenden Vogelgezwitschers. Ein kühle Macht kommt herein
und dehnt sich aus. Ich bleibe wach und wachsam.
Mein linker Arm verkrampft sich beim Festhalten des Notizbuches.
Ich werde wirklich wieder zu schlafen versuchen.
Neunuhrdreißig. In der Ordination. Ich setze mich im
Wartezimmer unter den Bildschirm, damit ich nicht sehen muß, was da so läuft.
An der Wand gegenüber diese depperten Propagandaplakate und Aufrufe, die man
nicht lesen möchte („man“ weiß ich eigentlich nicht: ich. Die ich nicht lesen
möchte), und die man trotzdem liest. Ich lese: „Gewalt macht stark“; dort
gestanden ist aber: „Gewalt macht krank“
- als Aufforderung an den Arzt, bei Verletzungen genauer hinzuschauen. Das
hätte der Hausarzt meiner Kindheit auch aufhängen sollen, aber in seinem
Behandlungszimmer, nicht so wie hier im Warteraum.
(23.3.2018)
©Peter Alois Rumpf März
2018 peteraloisrumpf@gmail.com
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