850 In Augen schauen
Die Ästlein des Zweigleins, das da auf dem Kaffeehaustisch
in der schönen Vase steckt, und die über meine Melange ragen, empfinde ich in
ihrer Nähe als tendenziell bedrohlich und schiebe sie weiter weg. Ein bißchen
kalt ist es hier, aber egal, ich bin auf Gönnung unterwegs. Was nimmt man nicht
alles auf sich, um gut zu sich selber zu sein. Ich gönne mir ein Frühstück im
Kaffeehaus, auch wenn jenes zuhause eventuell gemütlicher wäre. Nein, das
Serviert-Bekommen ist schon sehr angenehm.
Ich komme mir fast wie ein mündiger Bürger vor, wenn ich
etwas bestelle, halbwegs zivilisiert esse (mein Schwachpunkt!) und inklusive
Trinkgeld bezahle. Als wär' ich wer. Das alles ist bloßes Theater und ich bin
ein Schwindler.
Alter Jazz vom guten Louis verstärkt mit seiner
zurückversetzenden Kraft – in die Zeiten, als das Hoffen noch geholfen hat –
den Eindruck, als hätte ich noch das Meiste vor mir und als würde es sich schon
noch irgendwie ausgehen. Das mit Souveränität und Selbstbewußtsein meine ich.
In den alten Zeiten, als das Wünschen zwar nicht mehr
geholfen hat, aber man hoffen konnte, daß es sich später! später! wenn ich
einmal groß bin, wenn ich dann erwachsen, noch erwachsener sein werde, erfüllen
wird.
Zurück in die Gegenwart. Durch einen neuen Gast kommen mir
die Leute hier auf einmal verdächtig vor. Wie sie reden, wie sie grinsen oder
eben auch nicht. Irgendwelche Geschäftchen? Ich bin eifersüchtig, eifersüchtig
auf so viel Weltgewandtheit, wiewohl ich auch eine Angstkomponente heraushöre
und aus den Gesichtern herauslese. Liebe Leser, das sind alles Projektionen,
die aus meiner verdrehten Seele kommen. (Red' nicht so g'scheit, das machen
Projektionen immer.) Ich bin ein Stimmungsjunkie und ein Voyeur, der auch sein
Inneres voyeurisiert, ein Produzent absurdester innerer Filme. Echt schade, daß
mir die Tatkraft fehlt, die auf eine echte Leinwand zu bringen. (Oder woraus
bestehen heutzutage die Leinwände in Kinos?)
Plötzlich sehne ich mich danach, in Augen zu schauen.
Normalerweise vermeide ich das panisch. Ich weiche dem aus wie der Pest. Aber
jetzt. Aus der eigenen Fremdheit in die andere Fremdheit. Keine Angst, ich
traue mich das nie und nimmer, höchstens von ganz weit weg. Und ich habe einen
unschuldigen Blick gemeint. Aber soviel Unschuld kratze ich niemals mehr
zusammen. Der Blick würde vielleicht tief unten unschuldig beginnen, aber bis
er heroben und heraußen ist – nein, er wäre doch verseucht.
(20./21.12.2017)
©Peter Alois Rumpf Dezember
2017 peteraloisrumpf@gmail.com
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