Donnerstag, 21. Dezember 2017

850 In Augen schauen

Die Ästlein des Zweigleins, das da auf dem Kaffeehaustisch in der schönen Vase steckt, und die über meine Melange ragen, empfinde ich in ihrer Nähe als tendenziell bedrohlich und schiebe sie weiter weg. Ein bißchen kalt ist es hier, aber egal, ich bin auf Gönnung unterwegs. Was nimmt man nicht alles auf sich, um gut zu sich selber zu sein. Ich gönne mir ein Frühstück im Kaffeehaus, auch wenn jenes zuhause eventuell gemütlicher wäre. Nein, das Serviert-Bekommen ist schon sehr angenehm.

Ich komme mir fast wie ein mündiger Bürger vor, wenn ich etwas bestelle, halbwegs zivilisiert esse (mein Schwachpunkt!) und inklusive Trinkgeld bezahle. Als wär' ich wer. Das alles ist bloßes Theater und ich bin ein Schwindler.

Alter Jazz vom guten Louis verstärkt mit seiner zurückversetzenden Kraft – in die Zeiten, als das Hoffen noch geholfen hat – den Eindruck, als hätte ich noch das Meiste vor mir und als würde es sich schon noch irgendwie ausgehen. Das mit Souveränität und Selbstbewußtsein meine ich.
In den alten Zeiten, als das Wünschen zwar nicht mehr geholfen hat, aber man hoffen konnte, daß es sich später! später! wenn ich einmal groß bin, wenn ich dann erwachsen, noch erwachsener sein werde, erfüllen wird.

Zurück in die Gegenwart. Durch einen neuen Gast kommen mir die Leute hier auf einmal verdächtig vor. Wie sie reden, wie sie grinsen oder eben auch nicht. Irgendwelche Geschäftchen? Ich bin eifersüchtig, eifersüchtig auf so viel Weltgewandtheit, wiewohl ich auch eine Angstkomponente heraushöre und aus den Gesichtern herauslese. Liebe Leser, das sind alles Projektionen, die aus meiner verdrehten Seele kommen. (Red' nicht so g'scheit, das machen Projektionen immer.) Ich bin ein Stimmungsjunkie und ein Voyeur, der auch sein Inneres voyeurisiert, ein Produzent absurdester innerer Filme. Echt schade, daß mir die Tatkraft fehlt, die auf eine echte Leinwand zu bringen. (Oder woraus bestehen heutzutage die Leinwände in Kinos?)

Plötzlich sehne ich mich danach, in Augen zu schauen. Normalerweise vermeide ich das panisch. Ich weiche dem aus wie der Pest. Aber jetzt. Aus der eigenen Fremdheit in die andere Fremdheit. Keine Angst, ich traue mich das nie und nimmer, höchstens von ganz weit weg. Und ich habe einen unschuldigen Blick gemeint. Aber soviel Unschuld kratze ich niemals mehr zusammen. Der Blick würde vielleicht tief unten unschuldig beginnen, aber bis er heroben und heraußen ist – nein, er wäre doch verseucht.







(20./21.12.2017)








©Peter Alois Rumpf    Dezember 2017     peteraloisrumpf@gmail.com

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