527 Kleiner Reisebericht
Heute habe ich mit meiner Tochter einen Ausflug nach
Mariazell gemacht. Ich war noch nie in Mariazell und es hat mich auch nie
besonders dorthin gezogen. Ich mag selbst die prachtvollen, reichen, in vollem
Prunk ausstaffierten Barockkirchen nicht, 19. Jahrhundert schon gar nicht – sie
kommen mir immer so unreligiös vor, so theatralisch, kein echtes Pathos
(zum Beispiel für das Evangelium), nur ein vorgespieltes. Alles Theater
sozusagen. Wobei es mir überhaupt nicht um soetwas wie die „Reinheit des
Evangeliums“ geht – bei mir können ruhig, ja gern viele heidnische Momente
dabei sein (wir sprechen hier von Kirchen). Und ganz unabhängig vom
künstlerischen Wert, eine Kirche, so wie ich sie mag, sollte etwas Religiöses
ausstrahlen – was immer das genau ist.
Aber meine Tochter wollte Advent- und Weihnachtsstimmung
erleben und ich bin gern mit ihr hingefahren, denn neugierig, wie Mariazell
wirklich ist, war ich auf jeden Fall, und darauf, ob sich meine Vorurteile
bestätigen oder nicht.
Wir fuhren mit dem Zug, das heißt also auch mit der
Mariazeller Bahn. Bei der Hinfahrt habe ich zum erstenmal den Berg Ötscher
erlebt; was heißt „erlebt“; wir sind halt im Respektsabstand vorbeigefahren und
haben ihn vom Zug aus in einiger Entfernung leuchten gesehen.
Ich bin ein bekennender Verehrer des Berges meiner
Heimat, des Grimming, aber ich war sofort vom Ötscher fasziniert. Der Eindruck
war, der Berg entzieht sich, er bewahrt von sich aus Distanz und strahlt eine
starke Würde aus – ich dachte sofort: ein heiliger Berg!
In Mariazell selber – man verzeihe mir, daß ich dem
Wortspiel nicht auskomme – war die Hölle los. Dichtes Gedränge in Adventmarkt
und Kirche; Massen von Besuchern schieben sich durch mit allem Drum und Dran
und jeder Menge Alkohol. Aber das habe ich erwartet, darauf war ich gefaßt,
deshalb hat es mir auch nicht viel ausgemacht. Die Basilika selber – wie ich es
erwartet habe. Möglich, daß ich zu einer ruhigeren Zeit einen Zugang gefunden
hätte, möglicherweise, ich glaube aber eher nicht.
Auf dem Rückweg sind wir bei einbrechender Dunkelheit die
kurze Wanderung zum Bahnhof gegangen, der Mond leuchtete am Himmel und die
Venus strahlte als Abendstern, ich begrüßte sie unauffällig und allmählich
tauchen dann einzelne andere Sterne auf.
Es war eine kleine Karawane auf dem Weg zum Zug, zum Teil
ziemlich in Eile, ich vermutete zu recht, daß das bereits der Run auf die
Sitzplätze im Zug war, und tatsächlich, die Waggons waren schon ziemlich voll.
Mit Glück fanden wir noch Sitzplätze, sogar zwei Bänke für uns allein.
Auffällig war eine größere Gruppe von – ich weiß nicht –
Tschechen? Slowaken? (am ehesten), oder Polen? - ich bin mir nicht sicher; sie
saßen zu weit weg, als das ich sie gut und deutlich hören hätte können, und
meine Kenntnisse der verschiedenen „Sounds“ dieser drei slawischen Sprachen
sind zu gering, als daß mir das unter diesen Bedingungen klar werden hätte
können. Die waren auch in Mariazell eingestiegen und feierten etwas, waren
laut, lachten, sangen Happy Birthday, einige waren schon etwas betrunken und
wankten beim Gehen. Damit es keine Mißverständnisse gibt: sie waren absolut
keine Rowdies; da waren alte Leute, jüngere, junge, Kinder … einfach eine gut gemischte
fröhlich feiernde Gruppe. Bedrohung ist von ihnen überhaupt keine ausgegangen.
Sie haben niemanden angequatscht, sie waren mehr bei sich.
Dann, irgendwo auf der Strecke nach St. Pölten – der Name
der Stadt geht übrigens auf den heiligen Hippolyt von Rom oder möglicherweise
auf einen aus Porto zurück – nur so nebenbei, damit bewußt wird, wie groß der
gemeinsame, auf einander bezogene Raum in der Antike und im frühen Mittelalter
war – ist eine Gruppe Einheimischer eingestiegen, von denen konnte man nicht
sagen, daß keine Bedrohung von ihnen ausgegangen wäre. Vom Dialekt her tippe
ich auf Niederösterreicher, aber gefragt habe ich sie nicht. Als erstes – ich
saß noch mit dem Rücken zu denen – fiel mit ein scharfer Tonfall auf, auch, wie
sie zu ihren Kindern geredet haben. Dann ging
gleich eine Wolke von Gehässigkeit von ihnen aus; sofort begannen sie
über die Gruppe der feiernden Slawen zu schimpfen. Zuerst habe ich es mehr
atmosphärisch mitbekommen, aber nicht hingehört. Dann habe ich mich in
Fahrtrichtung gesetzt, da mir dabei – normalerweise – wohler ist und erst jetzt
habe ich auf die Gruppe Österreicher gesehen, die sich gleich in die nächsten
beiden Sitzreihen von uns gesetzt hatten; hinter denen saß dann die feiernde
Gruppe. Da habe ich gerade so halb eine Szene mitbekommen; wenn ich sie richtig
verstanden habe, ist einer der Feiernden auf dem Weg zum Klo – schon ein wenig
schwankend, bei ruckelnder und zuckelnder Bahnfahrt – an einem quer zur
Fahrtrichtung sitzenden Österreicher angestreift. Ich habe den Verdacht, daß
letzterer seinen Fuß absichtlich so weit in den schmalen Gang (Schmalspurbahn!)
gestreckt hat, daß ersterer an ihm anstreift. Wenn ich es richtig mitbekommen
habe – wie gesagt, ich war gerade erst in der Umdrehung – hat dann der Österreicher
dem Mann einen Stoß gegeben und irgendwas geschimpft. Gerichtstauglich ist
diese meine Wahrnehmung im Bruchteil einer Sekunde nicht; es ging zu schnell.
Der Gestoßene sagt dann – nicht eingeschüchtert, ruhig, aber dezidiert - zum
Österreicher: „Das ist nicht gut! Was Sie gemacht haben – das ist nicht gut!“
Dann hat er seinen Weg schwankend fortgesetzt. Der Mann hat überhaupt nichts
Aggressives ausgestrahlt, war nicht auf Streit aus; er war nur klar und
entschieden und seine Aussage kann man nur unterschreiben. Im Gegensatz zum
Geschimpfe des Österreichers, von dem ich aus meinem Blickwinkel bloß seine
Hände und Beine gesehen habe, die in verhaltener Wut und gerade noch
zurückgehaltenem Hass gezuckt haben. Dann war die Rede von „Scheißtschuschen“
und „Kanaken“; die ganze Gruppe der Österreicher hat sich über die Ausländer
aufgeregt.
Die ganze Gruppe? Nein, das darf ich nicht sagen, vielleicht
waren einige auch still. So wie ich. Ich hatte Angst. Freilich hätte ich gern
etwas gesagt, aber ich habe mich nicht getraut. Mir sind auch keine Worte
eingefallen und ich war wie gelähmt. Weil ich nicht alles genau mitbekommen
habe, war ich unsicher (Ein gefährliches Zögern; irgendwann ist es dann zu
spät!). Das soll keine Ausrede sein – beziehungsweise hat das vor meiner
inneren Gewissenserforschung als akzeptable Begründung für mein Schweigen nicht
standgehalten, sondern sich als Ausrede entlarvt. Nein, ganz einfach, ich hatte
Angst. Ich hätte sofort eine Gruppe äußerst aggressiver, gewaltbereiter Männer
(und zumindest auch eine Frau) gegen mich gehabt. Erwachsene Männer,
Familienväter. Das einzige, was ich für mein Verhalten eventuell gelten lassen
kann, ist, daß ich ja auch meine Tochter dabei hatte und daß die Gruppe der
Feiernden sehr friedlich waren, aber nicht wehrlos gewirkt haben.
Diese Gruppe der Österreicher haben die ganze Zeit nur
(neidisch?) auf die fröhlich Feiernden gestarrt, um irgendetwas zu aufgreifen
zu können, über das sie sich aufregen können. Gelacht haben sie nur, als sie
glaubten, die ausländische Gruppe steigt bei der falschen Station aus. Dieses
böse, hämische Nazilachen, das niemals befreiend und herzerwärmend sein kann.
Aber die haben ihnen diese „Freude“ (eine echte Freude kann so etwas nie sein!)
nicht gemacht und sind bei der richtigen Haltestelle ausgestiegen.
Ich war erleichtert, als wir endlich ausgestiegen sind und
dieser Situation entkommen, aber ich habe mich elend gefühlt; erstens, soetwas
erleben zu müssen, und zweitens, diesem Hass gegenüber so hilflos und gelähmt
zu sein.
Denn eines ist mir deutlich vor Augen geführt worden: die
Frau Gertrude hat vollkommen recht. Die Freiheitlichen und Hofer, sie
versuchen, „das Niedrigste aus dem Volk, den Leuten herauszuholen“. Und es gibt
verdammt viele, die nur darauf warten, von oben die Erlaubnis zum Zuschlagen zu
bekommen. Und jetzt wittern sie Morgenluft für ihren Hass und die Chance, sich eine
solche Obrigkeit zu wählen, die ihnen die Lizenz zum Töten gibt.
Ich bin ganz sicher, genauso schrecklich ist das, was sich
in unserem Land zusammenbraut. Wenn das so weitergeht, wird es bald sogenannte
„Bürgerwehren“ geben, die sich sehr schnell zu einer neuen SA entwickeln werden.
Sie lauern schon; sie können ihren Hass kaum zurückhalten.
Ich habe Angst. Es mag falsch sein, Angst zu haben, aber ich
habe Angst. Scheißangst. Ich fürchte, es wird wieder Raub, Mord und
Totschlag geben. Ich hoffe, daß ich unrecht habe, aber ich habe Angst.
Meine Tochter hat dann – im bitteren Scherz – vorgeschlagen
auszuwandern. Abgesehen davon, daß wir uns das nicht leisten können – wohin?
Wir haben hin und her überlegt und sind auf Island gekommen. Kann uns wer
sagen, wie man nach Island auswandern kann?
Und noch etwas: das mit dem Islam ist nur vorgeschoben. Wenn
das „erledigt“ ist – oder vielleicht auch schon gleichzeitig – geht es auch
gegen die christlichen, Mariazell besuchenden Slawen.
(3.12.2016)
©Peter Alois Rumpf Dezember
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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