491 Um zu verstehen
Von starken, aber vergessenen Träumen gelähmt kommt mein
Bewußtsein nicht in Fahrt. Es zittert und sucht noch herum, während meine Augen
auf mein schief aufgehängtes Hemd starren, die Farben und Muster verständnislos
studierend. Großer Wirbel draußen vor meinem Zimmer. Die Katze schnurrt als
wäre ihr Mechanismus schlecht geölt, es klingt ein wenig blechern. Jetzt knurrt
mein Magen dazu. Aufmerksamkeit und Gedanken taumeln noch hin und her,
verweilen kurz bei dem entsetzlichen Größenwahn eines selbsternannten Genies –
im Gegensatz zur Demut eines im KZ geborenen Kindes (mein Gott! Letzteres darf ich
nicht schreiben. Es gehört durchgestrichen!). Dann wird mein Geist wieder
zögerlich und fragt sich, ob er mit dem „entsetzlichen Größenwahn“ und dem „selbsternannten
Genie“ überhaupt recht hat. Ist der Bann noch immer nicht gebrochen?
Jetzt bin ich bei meinem Irrsinn und meiner Unfähigkeit, den
mir Anvertrauten zu helfen.
Was mache ich eigentlich bei diesen meinen
Halbschlafschreibereien? Ich versuche, die Assoziationsketten einzufangen. Ich
will die DNA meiner Psyche entschlüsseln. Um zu verstehen. Um zu verstehen.
Wohlgemerkt: ich schreibe Psyche, nicht Seele. Die Seele reicht viel weiter.
Sie reicht bis in den Bereich, wo Erziehung, Internalisierung, innerer Monolog
etcetera keine Rolle mehr spielen. So habe ich mir gestern die Begriffe zurecht
gelegt. Aber das eigentliche Forschungsgebiet wäre die Seele und ihre Verbindungen.
In den Ohren spüre ich ein Ziehen (das übliche Surren
erwähne ich nicht), überhaupt erlebe ich meinen Körper noch nicht ganz
zusammengefügt. Jetzt drängt sich das Surren doch vor und hüllt mich komplett
ein wie eine zähe, aber magnetische, vibrierende Substanz. Ich komme mir vor
wie ein Sender, oder eine Trafostation. Nicht schlecht, wenn ich als Sender in
die Unendlichkeit strahle und eine wirkliche Transformation – von mir aus im
Zeitlupentempo – stattfindet. Mit neuerlichem Magenknurren bringt sich wieder
mein irdischer Körper in Erinnerung und bricht die Hülle aus Surren etwas auf.
St. Martin haben wir ja auch bald. Obwohl er heute gestorben ist. Jetzt hat
sich das Ticken des Weckers in den Vordergrund geschoben, dominiert meine
Wahrnehmung, mein Bewußtsein versinkt im Ticken und ist von ihm eingehüllt. Ah!
Mein Bewußtsein geht zu sehr in den äußeren Reizen auf, läßt sich von dem, was
von da draußen auf es einwirkt, fast ganz absorbieren. Gut, dann buchen wir ein
Ticket für Brasilien (oder besser: ein Billet), obwohl ich vermute, daß das ein
Trick der mit dem Traumbewußtsein agierenden Wesen ist; es geht um ein
traumhaftes Brasilien, nicht um das reale. Oder Panama. „Oh wie schön ist
Panama!“ (J.) Der Traum-Stefan-Zweig sagt mir, es gehe um das Entdecken von
Neuem drüben am anderen Ufers des riesigen Sees. Dort ist noch Wildnis.
Ich war gerade dabei, mich wieder aufzulösen, als mich
Kinderweinen unten wieder zurückholt. Ich hülle mich bis zum Hals in meine
Bettdecke ein, mein Schutz gegen die Realität. Auch gegen das Kinderweinen, das
in mir alles Mögliche auszulösen droht.
©Peter Alois Rumpf November
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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