490 Die Bleiweste
In mir hüpft etwas herum. Ich lasse es hüpfen und bete für
meine Kinder. Einmal christlich, einmal toltekisch. Die Flamme des Teelichts
verwandelt sich durch die Gläser der Lesebrille in einen kleinen, strahlenden
Stern. Ich merke plötzlich, daß ich die Zähne zusammenbeiße. Das hat nichts mit
dem jetzigen Moment zu tun; das gehört zu meinen Gewohnheiten, diese ständigen inneren Aufforderungen wie Reiß-dich-zusammen, Streng-dich-mehr-an. Die
begleiten mich schon mein Lebtag wie Hintergrundrauschen; lenke ich meine
Aufmerksamkeit darauf, ist es immer da.
Aber ich will mir den schön-versprechenden Abend nicht
verderben, so führe ich meine Aufmerksamkeit wieder zum Teelichtstern zurück.
Der Duft von Weihrauch breitet sich langsam im kleinen Zimmer aus. Wieder lenkt mich etwas, diesmal ein Krabbeln im Nacken, ab. Neuerlich zurück zum Stern. Die Gedanken werden immer träger. Der Schreibfluß versiegt.
Der Duft von Weihrauch breitet sich langsam im kleinen Zimmer aus. Wieder lenkt mich etwas, diesmal ein Krabbeln im Nacken, ab. Neuerlich zurück zum Stern. Die Gedanken werden immer träger. Der Schreibfluß versiegt.
Ich liege ruhig und still da. Ich bin gerade wach geworden
und eingehüllt in samtene Schlaftrunkenheit. Noch keine Gedanken, noch keine
Sätze. Plötzlich beginnt eine Aufgeregtheit links von der Körpermitte. Zuerst
nur etwa so groß wie ein Ei. Aber bald dehnt sie sich aus und erfaßt meinen
ganzen Körper und macht mein Herz zaghaft. Immer noch keine Gedanken und Sätze
dazu. Ich weiß nicht, wieso und warum. Weil Montagmorgen ist? Aber heute habe
ich doch frei!
Das neue Zentrum der Aufregung ist jetzt mein klopfendes
Herz; es zittert bis in meine Hände. Sich gegenseitig aufhebende Kräfte in mir
scheinen die Klärung des Sachverhalts zu verhindern. So schaut es aus. Eine
dumpfe, gesichtslose und altbekannte Angst verbreitet sich immer stärker und
umhüllt mich. Rückkopplungseffekt. Wo die Aufgeregtheit angefangen hat, sitzt
jetzt ein dumpfer Druck. Jetzt erst legen die Gedanken richtig los. Aber sie
bleiben mir so ausdruckslos und uninteressant, sind schon tausendemale
durchgekaut; ich ergreife keinen und vergesse sie gleich wieder.
Der erste erleichternde Seufzer scheucht die Angst für einen
kurzen Moment zurück. Na gut, irgendwann in der nächsten halben Stunde werde
ich mich in den Tag hineinwälzen, schwerfällig, ein zitternder Koloss. Ich
werde allmählich die Angst verdrängen, die Altlasten vergessen und dabei dieses
und jenes Belanglose machen. Wie einer, der mit Bleiweste trainiert, aber nicht
mehr an sie denkt.
Der entscheidende Kampf wird wohl der mit dem Tod sein. Hoffentlich vergesse ich dann nicht, die Bleiweste abzulegen! (Oder ist dieser Kampf schon längst im Gange? Und nichts ist belanglos?)
Der entscheidende Kampf wird wohl der mit dem Tod sein. Hoffentlich vergesse ich dann nicht, die Bleiweste abzulegen! (Oder ist dieser Kampf schon längst im Gange? Und nichts ist belanglos?)
©Peter Alois Rumpf
November 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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