Mittwoch, 5. Oktober 2016

458 Das Kreuz ist meine Schwachstelle

Meine Schwachstelle bereitet mir heute die stärksten Schmerzen. Meine Aufmerksamkeit ist sozusagen ans Kreuz genagelt. Sie registriert darüber hinaus nur das alarmierende Surren in den Ohren. Jenseits aller Wortspiele: mich bewegen und bücken tut sehr weh. Meine Gedanken zeugen von einer gefühllosen Geisteskälte. Was sagt mein Herz dazu? Momentan nichts. Schweigt es wirklich oder spür ich es nicht? Jetzt fühle ich ein leichtes Stechen in seiner Gegend. Der linke Arm, der das Notizbuch hält, wirkt ein wenig verkrampft. Ich lasse das Buch los und strecke die Finger meiner linken Hand aus und schließe sie wieder. Mehrmals öffne ich die Hand und schließe sie wieder zur Faust. „Schach dem Herztod!“ fällt mir ein, die Kampagne mit dem einarmigen Dr. Kurt Jeschko, der angeblich mit zwei Frauen im Bett am Herzinfarkt starb. (Ich selber hocke im Bett und zwei Katzen umkreisen mich.) Ich wundere mich, wie blöd mein Geist sein kann und worüber er sich amüsiert. Auch nicht weitergekommen als unsere Väter, einarmig oder nicht.
Ach! Ich wollte ja vor meinem Tod noch den Freud vom Kopf auf die Füße stellen – oder umgekehrt. Dann sollte ich bald mit der Arbeit anfangen. Egal, das Wichtigste dazu habe ich eh schon geschrieben, irgendwo tief unten in der Schublade, so eine Skizze halt. Ich bräuchte ein bedingungsloses Grundeinkommen, um wirklich daran zu arbeiten. (An einen Lohn für eine solche Arbeit denke ich gar nicht mehr, ich habe nicht das Gefühl, daß mir soetwas zusteht.) Das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen denkt sich wahrscheinlich mein Selbstmitleid. Wenn ich mich behaupten muß, wird es nicht gehen (bei diesem kaputten Rückgrad!). In einer unfreundlichen Welt gehe ich unter, egal, wie sehr ich selber ein Grantscherben bin. Im Daseinskampf verliere ich.

Okay, meine Aufmerksamkeit hat sich wieder vom Kreuz gelöst, der Geist fährt wieder herum und ich war jetzt von den Schmerzen abgelenkt; die Schmerzstarre ist ein wenig aufgelöst. Meine Aufmerksamkeit wendet sich naheliegenden Dingen zu; zum Beispiel registriert sie, daß ich hungrig bin und Lust auf ein Frühstück habe. Meine Disziplin denkt: vorher den Text fertig schreiben und auf die Schublade stellen, mit vollem Bauch bist du lascher. Meine Resignation sagt: Stör deine Familie nicht beim Frühstücken! (Nein, das sagt meine verstörte Seele.) Meine Müdigkeit sagt: ich will noch nicht aufstehen. Meine Vernunft und meine Neugier sagen: nutze die stille Zeit zum Lesen (Walter Kempowski, Das Echolot, Freitag, 12. Dezember 1941), das geht ganz angenehm im Bett. Du frühstückst doch sonst nie vor elf, zwölf, und jetzt ist es zwischen sieben und acht.
Die eine Katze schnurrt, die andere schreit.
An üben ist heute nicht zu denken.

















©Peter Alois Rumpf    Oktober 2016     peteraloisrumpf@gmail.com

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