458 Das Kreuz ist meine Schwachstelle
Meine Schwachstelle bereitet mir heute die stärksten
Schmerzen. Meine Aufmerksamkeit ist sozusagen ans Kreuz genagelt. Sie
registriert darüber hinaus nur das alarmierende Surren in den Ohren. Jenseits
aller Wortspiele: mich bewegen und bücken tut sehr weh. Meine Gedanken zeugen
von einer gefühllosen Geisteskälte. Was sagt mein Herz dazu? Momentan nichts.
Schweigt es wirklich oder spür ich es nicht? Jetzt fühle ich ein leichtes
Stechen in seiner Gegend. Der linke Arm, der das Notizbuch hält, wirkt ein
wenig verkrampft. Ich lasse das Buch los und strecke die Finger meiner linken
Hand aus und schließe sie wieder. Mehrmals öffne ich die Hand und schließe sie
wieder zur Faust. „Schach dem Herztod!“ fällt mir ein, die Kampagne mit dem
einarmigen Dr. Kurt Jeschko, der angeblich mit zwei Frauen im Bett am
Herzinfarkt starb. (Ich selber hocke im Bett und zwei Katzen umkreisen mich.)
Ich wundere mich, wie blöd mein Geist sein kann und worüber er sich amüsiert.
Auch nicht weitergekommen als unsere Väter, einarmig oder nicht.
Ach! Ich wollte ja vor meinem Tod noch den Freud vom Kopf
auf die Füße stellen – oder umgekehrt. Dann sollte ich bald mit der Arbeit anfangen.
Egal, das Wichtigste dazu habe ich eh schon geschrieben, irgendwo tief unten in
der Schublade, so eine Skizze halt. Ich bräuchte ein bedingungsloses
Grundeinkommen, um wirklich daran zu arbeiten. (An einen Lohn für eine solche
Arbeit denke ich gar nicht mehr, ich habe nicht das Gefühl, daß mir soetwas
zusteht.) Das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen denkt sich wahrscheinlich
mein Selbstmitleid. Wenn ich mich behaupten muß, wird es nicht gehen (bei
diesem kaputten Rückgrad!). In einer unfreundlichen Welt gehe ich unter, egal,
wie sehr ich selber ein Grantscherben bin. Im Daseinskampf verliere ich.
Okay, meine Aufmerksamkeit hat sich wieder vom Kreuz gelöst,
der Geist fährt wieder herum und ich war jetzt von den Schmerzen abgelenkt; die
Schmerzstarre ist ein wenig aufgelöst. Meine Aufmerksamkeit wendet sich
naheliegenden Dingen zu; zum Beispiel registriert sie, daß ich hungrig bin und
Lust auf ein Frühstück habe. Meine Disziplin denkt: vorher den Text fertig
schreiben und auf die Schublade stellen, mit vollem Bauch bist du lascher.
Meine Resignation sagt: Stör deine Familie nicht beim Frühstücken! (Nein, das
sagt meine verstörte Seele.) Meine Müdigkeit sagt: ich will noch nicht
aufstehen. Meine Vernunft und meine Neugier sagen: nutze die stille Zeit zum
Lesen (Walter Kempowski, Das Echolot, Freitag, 12. Dezember 1941), das geht
ganz angenehm im Bett. Du frühstückst doch sonst nie vor elf, zwölf, und jetzt ist
es zwischen sieben und acht.
Die eine Katze schnurrt, die andere schreit.
An üben ist heute nicht zu denken.
An üben ist heute nicht zu denken.
©Peter Alois Rumpf
Oktober 2016 peteraloisrumpf@gmail.com
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite