451 Soll ich ihn erschießen?
Ich irre wiedereinmal am Stadtrand herum und finde weder
Straßenbahn noch Bus, um nach Hause zu kommen. Ich trage einen Rucksack und
eine Tasche, die ich umgehängt habe. Keine Ahnung, woher ich komme, keine
Ahnung, wo ich bin und eigentlich auch keine Ahnung, wohin ich gehe. Ich
vermute nur, ich will nach Hause. Aber wo ist das? Habe ich überhaupt ein
Zuhause?
Ich finde mich in der Gegend nicht zurecht. Und waren da
nicht gerade noch Menschen mit mir? Frau und Kinder vorhin? Wo sind sie jetzt?
Ich weiß es nicht. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich Frau und Kinder
habe.
Jetzt jedenfalls bin ich alleine unterwegs. Ich streife
herum; endlich sehe ich das Schild einer Bushaltestelle. Ich gehe auf diese
Bushaltestelle zu und nehme den Rucksack und die Tasche, die ich umgehängt
getragen hatte, herunter und stelle sie auf den Boden, an die Stange der
Bushaltestelletafel gelehnt. Mit dem Fahrplan finde ich mich nicht zurecht, ich
kann ihn nicht verstehen. Ich weiß es also nicht, ob von hier aus ein Bus in
die Stadt geht, aber fragen werde ich können, wenn der nächste Bus kommt, und
irgendwie muß ich ja von hier aus zum richtigen Bus finden. Irgendwie muß ja diese
Buslinie mit den anderen verbunden sein.
Ich gehe etwas nervös auf und ab. Eine Gruppe von Ungarn
nähert sich lachend und redend und stellt sich auch an die Bushaltestelle, um
auf ihren Bus zu warten. Ein privater Reisebus kommt und die ungarische Reisegruppe
steigt ein. Das ist also kein öffentlicher Bus, sondern von der Reisegruppe
gemietet. Als alle eingestiegen sind, merke ich, die haben auch mein Gepäck
mitgenommen. Ich denke nicht an Diebstahl, nur, daß auch mein Gepäck irrtümlich
in den Gepäcksraum unten verladen wurde. Der Bus fährt schon langsam an, hat
aber die Tür noch offen und ich springe auf und sage dem Fahrer laut und
deutlich, daß mein Gepäck im Bus ist. „Bitte stehenbleiben, ich will meine
Sachen herausholen.“ Mehrmals. Ich bin mir nicht sicher, ob der Busfahrer
Deutsch versteht, immerhin ist es eine ungarische Reisegruppe. Aber er spricht
akzentfrei Deutsch; möglicherweise ist er ein hiesiger Chauffeur. Er sagt aber
nur: “Nein, das mache ich nicht!“ „Aber mein Gepäck!“, sage ich, „ich brauche
es!“ „Nein“ sagt er und zuckt mit den Achseln. Er bleibt nicht stehen und fährt
langsam mit offener Tür weiter. (Im Traum geht das.) Ich bin ratlos. Ich stehe
in der offenen Tür, halte mich an einer Haltestange fest und überlege, ob ich
ihn erschießen soll.
©Peter
Alois Rumpf September 2016
peteraloisrumpf@gmail.com
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