455 Deja-vu
Die Birke dort trägt ihr frühherbstliches Laub - noch grün,
aber schon trocken und angewelkt, gelb schimmern bereits manchen Stellen am Rand - im sonnigen Nachmittagslicht;
der Wind streicht sanft über die Blätter und bringt sie zum Vibrieren. Ihr
Anblick ruft Erinnerungen hervor, aufgeladen mit altbekannter Sehnsucht, aber
ohne Inhalt. Ich erinnere mich an nichts Konkretes, nur an das Gefühl. Ich
komme nicht durch zum Kern. Vielleicht sind in diesen Erinnerungen viele
Herbsttage meiner Kindheit gespeichert, die Ferien sind vorbei, die Hoffnungen
haben sich nicht erfüllt, die Schule hat wieder begonnen, ich bin nicht
ausgekommen. Ich atme durch und will mich den kommenden Herausforderungen
stellen.
Da drüben sehe ich in dem Haus da ein helles Zimmer im
oberen Stock, mit schöner Aussicht und Überblick, große Fenster, die Sonne
scheint hinein. Gleich sehe ich mich in diesem hellen, ruhigen Arbeitszimmer am
Schreibtisch sitzen, die große Bücherwand, ich arbeite an einem Text. Auch
dieses Bild kommt wie eine Erinnerung daher. Aber wo soll ich das erlebt haben?
Keine Ahnung, ich erinnere mich nur an die Intensität des Augenblicks.
Ein Deja-vu, denn jetzt fällt mir ein, mich an dieses Zimmer
schon vor vierundvierzig Jahren erinnert zu haben. Ich wandere als junger
Student durch Graz, und sehe an einem Haus ein Fenster, hinter dem ich ein
solches Zimmer vermute. Auch damals sehe ich mich in diesem Zimmer sitzen und arbeiten.
Vom Fenster aus sehe ich einen großen, schönen Baum. Auch damals ein starkes
Gefühl von Intensität. Vielleicht aber kristallisiert sich in diesem Bild nur
meine Sehnsucht danach, meinen Ort und meine Arbeit gefunden zu haben und die
„Erinnerung“ meint nur meine Gefühle, die Hoffnung, meinen Platz in der Welt zu
finden, und keinen konkreten Ort.
(1.10.)
©Peter Alois Rumpf Oktober
2016 peteraloisrumpf@gmail.com
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