Dienstag, 12. Dezember 2023

3479 Die Bilderrahmen

 



11:04 a.m. Ich liege im Aufwachen so im Bett, ich höre von unten schon die Tageskinder, schlafe wieder ein und döse vor mich hin, gerate in Traumfragmente, treibe in diesem unbestimmten Ambiente, die Gedanken, wenn sie sich durchsetzen, wandern anscheinend ziellos umher und können sich auch irgendwo verlieren … da fallen mir diese zwei alten Bilder im Haus meiner Eltern ein, Erbstücke aus der Familie meiner Mutter, ungarische Reiter- und Hirtenszenen, schon etwas lädiert, vermutlich Barock, vermutlich keine Meisterwerke aus dieser Zeit, aber die Bilderrahmen! Die waren wirklich barocke Meisterwerke, aus einem Stück Holz gearbeitet, ein unglaublich üppiges Geflecht, pompös, ein Gewurl aus dünnen, sich windenden, gekrümmten und gedrehten Holzverstrebungen (Ohne Stückelung und Verleimung!). Nebenbei angemerkt - wie meine Assoziationen halt so ablaufen – ist mir dazu ein Rahmen eingefallen, den sich Hannes Priesch damals im REM aus Nägeln zu einer seiner Zeichnungen gemacht hat. Nicht dass sich die Rahmen ähnlich geschaut hätten – Metall – Holz – aber die Parallele ist die schon ins Absurde kippende Üppigkeit, die unglaublich mächtige Einfassung des beherbergten Bildes und der Aufwand in der Herstellung. Freilich, handwerklich gesehen ist der barocke Holzrahmen viel aufwendiger – es muß daran wochenlang gearbeitet worden sein – und weitgehend weiß man heutzutage nicht, wie so ein Werk technisch hergestellt wurde.

Eines Tages – ich lebte schon in Graz oder Wien, ich war also nicht anwesend – hat ein Antiquitätenhändler und Restaurator meine Eltern heimgesucht und ihnen angeboten, die Bilder zu restaurieren. Dabei hat er ihnen eingeredet, dass die Rahmen für die Bilder viel zu groß und optisch zu schwer, viel zu üppig seien und ihnen schlichtere Rahmen angeboten. Er werde dafür die alten Rahmen übernehmen und mit dem Preis für die Restaurierung runtergehen. Meine Eltern haben sich auf diesen Deal eingelassen und ich vermute, sie wurden dabei richtig über den Tisch gezogen.

Als ich heut im Aufwachen so daliege – und das ist jetzt das Interessante, weswegen ich diese Episode erzähle – und vor meinem inneren Auge diese Bilderrahmen auftauchen und die Geschichte dazu, gibt es mir einen Stich. Ich spüre in meiner Leibesmitte den Schock darüber, dass meine Eltern so schwach und untüchtig waren. Das ist doch komisch! Jetzt bin ich fast siebzig Jahre alt und ertrage es kaum, meine Eltern so in ihrer Hilflosigkeit zu sehen. Und diese Erinnerung löst tatsächlich ein körperlich spürbares ungutes Gefühl, ein richtiges Unbehagen aus. Und nicht nur das: es ist das beklemmende Gefühl, dass ich als Erwachsener meinen Eltern gegenüber immer noch eine so kindliche Haltung eingenommen hatte und da weder eingreifen, noch die Abzocke verhindert konnte.

Korrekterweise muß ich noch anfügen, dass ich mich in der Abschätzung des Wertes der Bilder und der Bilderrahmen geirrt haben könnte, denn ich bin kein Fachmann. Aber ob das wirklich so war oder nur für mich so ausgesehen hat, ist in diesem Fall, was die Pointe betrifft, nebensächlich.


(12.12.2023)


Peter Alois Rumpf Dezember 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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