Donnerstag, 23. November 2023

3471 Von Graz über Schweden nach Wien

 



Mit 24 Jahren bin ich von Graz nach Wien übersiedelt. Mein Studium hatte ich aufgegeben, mit dem Tischlerkurs war ich defacto gescheitert, wenn auch nicht „de iure“, denn formal hatte ich die Gesellenprüfung geschafft, aber ich war viel zu ungeschickt, hatte Angst vor den Maschinen, war viel zu weltfremd und konnte handwerklich viel zu wenig (nicht umsonst bin ich unter der Ansage „du hast zwei linke Hände, du bist für nichts zu gebrauchen“ aufgewachsen). Als ich nach dem Studiumabbruch den als Umschulung vom Steuerzahler bezahlten Tischlerkurs begonnen hatte, wollte ich wirklich schlicht und demütig ein einfacher, braver Handwerker werden und habe das auch beim mißtrauischen, vielleicht prophetischen Arbeitsamtbeamten („… dann wollen sie alle irgendwas mit Kunst machen …“) durchgesetzt. Was für eine Illusion dieser Plan vom braven Handwerker war! Aber während ich den Kurs absolvierte und weil ich mich in dieser Zeit mit meiner linken Blase (soziologisch gemeint!) überworfen hatte, kam ich auf die Idee, nach Schweden auszuwandern, weit in den Norden, weitab vom Schuß, möglichst in einen langweiligen Ort, um einsam und isoliert ein bescheidenes Dasein zu fristen. Das aber war eine genauso unrealistische Idee wie die vom Tischlerkurs, wie ich nach Abschluß des Kurses bei meiner Schwedenreise – zum Teil per Zug, zum Teil per Autostopp – feststellen mußte: Ich bin dort nur sinnlos herumgeirrt und wußte nicht, wie ich auch nur irgendeinen Job auftreiben könnte.

Also wieder zurück. Auf dem Weg nach Graz per Autostopp fand ich eine Mitfahrgelegenheit nach Bruck an der Mur, denn die Frau fuhr nach Wien. Nach einiger Zeit im Auto dachte ich mir: „du mußt eine Arbeit suchen, du mußt ein Zimmer suchen … du kannst genauso gut in Wien anfangen“ – erleichtert dadurch, dass ich mit „meiner“ Szene in Graz total gebrochen hatte. So landete ich zufällig in Wien.

In Graz hatte ich schon – nachdem ich Castaneda zu lesen begonnen hatte und mich diese Geschichten völlig gepackt hatten – alle Arten von Drogen (Alkohol, Kaffee,Tee, Zucker, Selbstbefriedigung – mit Haschisch hatte ich ohnehin kaum Erfahrungen und mit anderen Mittelchen überhaupt keine) und damit meinen vorher üblichen Lebenswandel aufgegeben und mir Nüchternheit, Disziplin und Konfrontation mit der Wirklichkeit verordnet. Außerdem hatte ich weniger gegessen und deutlich abgenommen.

Von Wien war ich zunächst sehr geschockt. An der Arbeitsstelle war ich, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ich handwerklich weit vom Niveau eines Gesellen entfernt war, als Hilfsarbeiter angestellt - was mich wegen des geringeren Anforderungsprofils durchaus erleichtert hat und mir deshalb aus meiner Erfahrung dort (Konfrontation mit der Wirklichkeit) dann recht war – aber selbst dafür war ich zu unselbständig, zu unsicher, zu ungeschickt („Peda! Sei nit schaasaugert!“), sodass ich (Spoiler!) später nach ein paar Monaten auch als Hilfsarbeiter gekündigt wurde. Mein Plan, als bescheidener Mensch ein bescheidenes Dasein zu fristen, löste sich – wiewohl ich es vor lauter Entsetzen zunächst nicht recht wahrhaben wollte, aber wahrgenommen habe – auf; ich war also nicht nur mit meinem Studium gescheitert, sondern scheitere gerade auch mit meinem Plan B.

Und die Stadt: alles war mir fremd, die Sprache unsympathisch, die Leute zu laut, zu aufgeregt, zu frech; die Stadt selbst so grau, so grau, so grau (1978) und zu weitläufig. Ich wohnte im 20. Bezirk in einer Substandardwohnung des Wiener Zuwanderungsfonts (befristet), der Bezirk ein absoluter Kulturschock, vor den Nachbarn, den Leuten im Betrieb hatte ich Angst, vor den Leuten in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich lebte wohl in einer Art Angststarre, dennoch versuchte ich tapfer, die Folgen meiner Lebensentscheidungen, welche ich tapfer versuchte nicht zu bewerten und nicht zu bereuen, zu akzeptieren und die Konsequenzen auszuhalten. Ich habe es noch vor meinem inneren Auge, wie ich gegen 6 Uhr in der Früh bei der damaligen schlechten Verbindung vom 20. in den 15. Bezirk im Bus sitze, von Angst und Kälte (Herbst) bedrängt, kaum in der Lage, wenigstens ein minimales seelisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, Castanedas „Reise nach Ixtlan“ lesend, an das ich mich geklammert habe um nicht durchzudrehen und alles tapfer, tapfer – ich betone: tapfer auszuhalten. In der Wohnung hatte ich kein Bad, kein Klo (nur am Gang), und – nur mit einem Rucksack angereist – außer den vier damals bereits erschienen Castanedabänden keine Bücher, kein Radio, keinen Plattenspieler – also keine Musik – Fernseher sowieso nicht. So war ich fast ohne Ablenkungsmöglichkeit bei meiner „Konfrontation mit der Wirklichkeit“ und – wie es so schön heißt: „auf mich zurückgeworfen“ und gnadenlos mit meinem Scheitern konfrontiert. Die Wohnung war absolut kein „kuscheliger“ Ort, Küche und Kabinett mit Glastür zum Flur, klein, kalt, scheußlich eingerichtet, alles abstoßend designt (ich durfte nichts ändern; wäre aus Geldmangel auch nicht möglich gewesen), als Heizung nur ein Radiator, der selbst denn kleinen Raum kaum ausreichend erwärmen konnte. Gerade zu Beginn meines Jobs hatte ich kein Geld – ich bin mit leeren Händen nach Wien gekommen – sodass ich tatsächlich zu wenig zu essen hatte und zumindest bis zur ersten Lohnauszahlung darbte („Hearst Peda! Host ka Moach!“ (Mark) schrie mich der Chef an, als ich beim Spanplattenschleppen fast eingegangen bin). Ja, ich passte dort überhaupt nicht hin; so ungeeignet wie nur was.

Ich hatte mir auch angewöhnt am Rücken zu schlafen (das schon in Graz, weil ich schon damals merkte, dass ich mich gegen die Angst nicht noch mehr in Seitenlage einkrümmen und ausblenden konnte und mich auch so, am Rücken, offen meine Leibesmitte preisgebend, mich der Wirklichkeit stellen wollte) und das hat dazu geführt, dass ich auch an meinen freien Tagen sofort nach dem Aufwachen aufgestanden bin. Meistens bin ich stundenlang in der Lobau herumgewandert; Kaffeehaus, Gasthaus, Kino, Konzerte, Theater – das alles war finanziell überhaupt nicht drinnen; nur ein Abo in einem Souterrain-Bodybilder-Loch hatte ich mir vom Mund abgespart, weil ich meine körperlichen Kräfte fürs Spanplattenschleppen stärken wollte – in der proletarischen Szene dort war ich genauso fremd, verängstigt und völlig fehl am Platz – ich fand auch keinen Kontakt und somit keinen Sparringpartner zum Trainieren, somit ging nichts weiter und so hatte ich das dann auch bald aufgegeben (wieder gescheitert!). Mein Sonntagsabendgefühl war damals noch schlimmer als zur Schulzeit, weil ich als Erwachsener mir mit meinen Entscheidungen meine grauenhafte Situation selbst eingebrockt hatte. Es war wirklich grauenhaft und ich mußte alle meine seelischen und geistigen Kräfte mobilisieren, um das alles auch nur auszuhalten.

Dennoch – oder gerade deswegen – hatte ich auch interessante Erfahrungen: ich hatte die „erste Pforte des Träumens“ – wie es meine „Referenzzauberer“ nennen – erreicht, die erste Stufe des magischen Träumens, wo man luzide träumt und beginnt, seine gewöhnlichen Träume zu stabilisieren und damit zu verwandeln und in ihnen bewußt zu agieren, als ich einmal beim Einschlafen mein normales Bewußtsein nicht verlor, sondern - der Körper schlafend – wach in einem roten Ambiente ohne übliche Traumszenen dalag. Mehr als Anklopfen an diese Pforte war es nicht, eher noch weniger, denn um dieser Tor zu durchschreiten muß man mit der Alltagswelt zurecht kommen und sein Inneres geordnet haben (um genug Energie für diese Reise zu haben und keine herumschlagenden offenen Ende in seinem Leben). Ich aber kam mit der Alltagswelt (außen und innen) nicht zurande, im Gegenteil, ich war nichteinmal in der Lage, mir günstiges und nicht überteuertes Geschirr oder passende Schuhe zu kaufen – ich meine: ich habe trotz eklatantem Geldmangel überteuertes Geschirr – eh nur das notwendigste: einen Teller, eine Schüssel, einen Topf und Messer, Gabel, Löffel – und zu kleine Arbeitsschuhe gekauft.


(23.11.2023)


Peter Alois Rumpf November 2023 peteraloisrumpf@gmail.com

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